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Leseprobe 2
Kasualien
V. Durch Unwetter und hohe See. Gottesdienst am Tag der Seenotretter
Lebensort »unterwegs«
Vorbemerkung der Redaktion: Wer unterwegs ist, ist auf die Unterstützung, Aufmerksamkeit und Gastfreundschaft anderer Menschen angewiesen. Das gilt für Pilgernde wie für Urlaubsgäste – etwa auf der Nordseeinsel Langeoog, auf der unzählige Festlandsmenschen Erholung suchen und mit dem wechselnden Wetter der Nordsee konfrontiert werden. Geborgenheit und Gefahr – beides spiegelt sich in der Predigt wieder, die 2022 am Tag der Seenotretter gehalten wurde (Biblische Bezugspunkte: Ps 23; Lk 15,3–7).

»Der Herr ist mein Lotse. Ich werde nicht stranden.
Er leitet mich auf dunkeln Wassern und führt mich auf der Fahrt meines Lebens.
Er gibt mir neue Kraft und hält mich auf rechtem Kurs um seines Namens willen.
Und geht es durch Unwetter und hohe See, fürchte ich mich nicht,
denn du bist bei mir, deine Liebe und Treue sind mir Schutz.
Du bereitest mir einen Hafen am Ende der Zeit.
Du beschwichtigst die Wellen und lässt mich sicher segeln.
Die Lichter deiner Güte und Freundlichkeit werden mich begleiten auf der Reise des Lebens
und ich werde Ruhe finden in deinem Hafen immerdar.«
(Quelle unbekannt)

»Und geht es durch Unwetter und hohe See …« begann ein Vers in dieser maritimen Psalmvariante. Durch Unwetter und hohe See machen sich die Männer und Frauen der »Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger« (DGzRS) auf, wenn Menschen in Seenot geraten sind. Sie fahren raus, um Leben zu retten, selbst wenn es sie das eigene Leben kosten könnte. Sie machen sich auf die Suche nach Schiffbrüchigen, nach Verletzten und Erkrankten, von Wind und Wellen Abgetriebenen, nach Verirrten, Verlorenen, Erschöpften und um Luft Ringenden. Die Seenotretter setzen alles dran, schnellstmöglich die große Not zu wenden und die Katastrophe zu verhindern.

Schauen wir auf die vergangenen zwei Jahre, sind Unwetter und hohe See – im übertragenen Sinn – ein Dauerzustand. Das Meer an Unheilsituationen will sich nicht mehr beruhigen. Pandemie, Feuersbrünste, Starkregenüberflutungen, Gletscherschmelze – um unser Klima ist es arg schlecht bestellt. Wir Menschen sind nicht mehr in unserem Element, und die Welt ist es dadurch auch nicht.

Manchmal gehen mir biblische Worte oder Vertonungen nur noch schwer über die Lippen und wollen im Halse steckenbleiben. »Himmel, Erde, Luft und Meer zeugen von des Schöpfers Ehr« haben wir in unserem ersten Lied gesungen. Mir drängt sich eher auf: Himmel, Erde, Luft und Meer zeugen davon, wie wir Raubbau an der Natur betreiben. Unablässig. Und unumkehrbar. Das, was am Schöpfungsmorgen so wunderbar, schön und gut angelegt war – wir zerstören und vernichten es bis zur Unkenntlichkeit. Unseren eigenen Lebensraum.

Und dann der verheerende Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine. Mehr als fünf Monate wüten Putins Truppen bereits und färben das Himmelsblau und das die reifen Kornfelder symbolisierende Goldgelb der Landesflagge blutrot. Verbrannte Erde, getötete Zivilisten und Soldaten, eine Kriegsmaschinerie, die in Gang gesetzt wurde – und eine lange währende Friedenszeit, die abrupt zu Ende gegangen ist. Die Zahl der Menschen auf der Flucht aus der Ukraine nähert sich 10 Millionen, das sind Größenordnungen wie die Einwohnerzahlen in Megastädten wie Bogotá, Seoul oder Johannisburg.

Damit nicht genug. Es gibt sie noch und verstärkt, auch wenn sie wegen anderer schlimmer Nachrichten kaum mehr in den Medien vorkommen: die Bootsflüchtlinge, die die gefährliche Fahrt über das Mittelmeer riskieren, um in Europa auf eine Zukunft in Würde und Sicherheit zu hoffen. Es gibt sie noch, die Hungersnöte in Ostafrika. Und es gibt sie neu bei uns: die Sorge vor dem nächsten Winter. Wer hat in all dem geballten Verhängnis noch Energie? Ja, es ist schwere See! Da braucht es umso mehr Menschen, die rausfahren, wenn andere reinkommen. Sofort. Wir können alle Notfallnummern und alle Rettungsdienste durchgehen. Wenn ein Notruf eingeht, wird unmittelbar der Alarm ausgelöst. Ob freiwillige Feuerwehrleute oder berufliche Rettungskräfte – sie lassen alles stehen und liegen, um denen in Not zu Hilfe zu eilen. Wer SOS absetzt – »save our souls, rettet unsere Seelen« –, der löst den unmittelbaren Einsatz der Hilfsdienste aus: »search and rescue« – Suche und Rettung in Luftund Seenotrettungsfällen. Wenn die Wachehabenden an den Badestränden eines Unglücksfalls gewahr werden, zögern sie keinen Augenblick, ihrem Namen und Anspruch gerecht zu werden, Leben zu retten.

Wie oft werden Eltern Retter für ihre Kinder – und bisweilen auch umgekehrt. Wie oft setzen sich Geschwister oder Freundinnen mit Hingabe ein. Wie oft sind es (zunächst) Unbeteiligte oder Fremde, die sich vom Hilfeschrei und dem Elend anderer anrühren lassen. Sofort reagieren sie aus einem Impuls der Menschlichkeit heraus.

In ihrem Handeln sind all diese Retterinnen und Retter dem Hirten ähnlich, von dem im Gleichnis aus dem Lukasevangelium die Rede war. Er lässt seine Herde zurück und geht dem verlorenen Schaf nach, bis er es findet. Und wenn er es gefunden hat, nimmt er es voll Freude auf die Schultern, und wenn er nach Hause kommt, ruft er seine Freunde und Nachbarn zusammen und sagt zu ihnen: Freut euch mit mir; ich habe mein Schaf wiedergefunden, das verloren war.

Auch in diesem Evangelienabschnitt geht es um existenzielle Not, um Dringlichkeit. Um Dazugehörigkeit eines und einer jeden einzelnen zur Menschheitsfamilie. In Gottes Augen darf niemand verlorengehen, Schiffbruch erleiden, untergehen. Gott ist auf der Suche nach dem Menschen. Nach dir und mir. Weil er uns liebt. Gott scheut sich nicht, rauszufahren, wenn andere reinkommen. Gottes Rettung ist eine fürs ewige Leben, aber das beginnt schon hier und jetzt. Sofort.

Das Gleichnis vom guten Hirten aus dem Neuen Testament und Psalm 23 aus dem Gebetbuch der Juden hängen ganz eng zusammen. Auch den Psalm betet jemand, der Verlorenheit, Not, Angst und Untergang kennt. Womöglich sogar jemand, der Hirten erleben musste, die nur vermeintlich welche waren. Statt sich für ihre Schützlinge einzusetzen, haben sie sich an ihnen vergriffen: Lehrkräfte, Priester, Trainerinnen, Vorgesetzte.

Jedenfalls sind Missstände, lebensbedrohliche Gefahren und Verzweiflung den Menschen der Bibel nicht fremd. Zu Wasser und zu Lande kannten auch die Menschen damals schon Erfahrungen von Verlassensein und Einsamkeit, von Ohnmacht gegenüber einem übermächtigen Gegner, von Verfolgung und Not. Doch gerade im Elend der Sklaverei hat das Volk Gottes die Erfahrung der Befreiung gemacht. Gerade in schier aussichtslosen Situationen haben einzelne eine Stärke erfahren, die stärker ist als jede Gewalt, eine Rettung, die sie als Gottes wirkmächtige, liebende Gegenwart in ihrem Leben gedeutet haben. Wenn wir den Psalm in der »Seemannsfassung« nehmen, haben sie die Erfahrung gemacht, auch auf dunklen Wassern nicht allein zu sein. Den Lotsen mit an Bord zu wissen, der die Untiefen kennt und die Platen. Der weiß, wie durch die schwere See zu navigieren ist: »Und geht es durch Unwetter und hohe See, fürchte ich mich nicht. Denn du bist bei mir, deine Liebe und Treue sind mir Schutz. Die Lichter deiner Güte und Freundlichkeit werden mich begleiten auf der Reise meines Lebens. Und ich werde Ruhe finden in deinem Hafen immerdar.«

Dem Hirten oder Lotsen allen Lebens – auch meines Lebens – betend zu vertrauen wie in Psalm 23, bewahrt nicht vor Unbill. Aber es lässt mich nicht versinken in den bestürzenden Nachrichten dieser Zeit. Es mag mich öffnen für die Liebe Gottes und befähigen, sie so in die Welt zu tragen, dass die ursprünglich gute Schöpfung zum Vorschein kommen kann. Wie der heilige Ignatius von Loyola ermutigt: Bete, als hinge alles von dir ab. Handle, als hinge alles von Gott ab.

Susanne Wübker

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