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Die Schriftleitung
Leseprobe 2
23. Sonntag im Jahreskreis
II. Christus als das Fenster zum anderen
(Mt 18,15–20)
»Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.« – Vielleicht einer der beliebtesten Sätze aus den Evangelien. Wo und wie immer wir uns zum Gebet versammeln, da ist Christus mitten unter uns. Es gibt sogar einen Kanon, der nur aus diesem einen Satz besteht. Die Aussage Jesu macht uns Mut, sie baut uns auf, und der Kanon macht beim Singen auch gute Laune. Jedoch beim Blick auf das heutige Evangelium kommt erst einmal alles andere als gute Laune auf: Da geht es um Zurechtweisung, um Ausschluss aus der Gemeinde, um ein Binden und Lösen im Himmel und auf der Erde. Und dann am Ende dieser unser Satz: »Wo zwei oder drei …« Wie soll denn das beides zusammenpassen: schwierige Gespräche, Zurechtweisung, Ausschluss und dann die doch einfach ganz positive Zusage Jesu »Ich bin mitten unter euch«? Ist das nicht ein Widerspruch?

Das Evangelium von hinten gelesen


Manchmal lohnt es sich, Texte nicht von vorne zu lesen, sondern von hinten. Also nicht mit dem ersten Satz anzufangen, sondern mit dem letzten. Denn oftmals spricht Jesus den entscheidenden und wichtigen Satz am Ende seiner Gleichnisse und Lehren und will uns damit einen Hinweis geben, wie wir ihn besser verstehen können. Manchmal kann es da helfen, nicht einfach bis zum Schluss des Evangeliums zu lesen und dann über den Anfang zu rätseln, sondern ein zweites Mal zu lesen und mit dem Ende zu beginnen. Drehen wir das Evangelium einmal so um, dann lautet es (in voller Länge):

»Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.
Was auch immer zwei von euch auf Erden einmütig erbitten, werden sie von meinem himmlischen Vater erhalten.
Amen, ich sage euch: Alles, was ihr auf Erden binden werdet, das wird auch im Himmel gebunden sein, und alles, was ihr auf Erden lösen werdet, das wird auch im Himmel gelöst sein.
Wenn dein Bruder gegen dich sündigt, dann geh und weise ihn unter vier Augen zurecht! Hört er auf dich, so hast du deinen Bruder zurückgewonnen. Hört er aber nicht auf dich, dann nimm einen oder zwei mit dir, damit die ganze Sache durch die Aussage von zwei oder drei Zeugen entschieden werde. Hört er auch auf sie nicht, dann sag es der Gemeinde! Hört er aber auch auf die Gemeinde nicht, dann sei er für dich wie ein Heide oder ein Zöllner.«
(Mt 18,20.19.18.15–17)

Hören oder lesen wir das Evangelium in dieser Reihenfolge, dann steht der bekannte Satz »Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind …« in einer ganz anderen Dramaturgie. Es ist nun die Grundlage, auf der jede menschliche Begegnung stattfindet – und zwar die schönen wie auch die unangenehmen Begegnungen. »In meinem Namen versammelt sein«, das betrifft nicht nur das gemeinsame Gebet oder den Gottesdienst, nicht nur Pfarrfeste und Ferienfreizeiten. »In meinem Namen«, das betrifft all die Begegnungen, in die wir als Christinnen und Christen hineingehen, es betrifft unser ganzes Leben, auch außerhalb dieser Kirche und dieser Gemeinde. In jeder Begegnung ist Jesus mitten unter uns.

Christus als Fenster

Dietrich Bonhoeffer benutzte dafür ein recht anschauliches Bild. Er sprach davon, dass Christus zwischen mir und dem anderen steht. Christus ist für ihn dabei nicht wie eine Mauer, die mich vom anderen trennt, sondern wie ein Fenster, durch das wir den anderen sehen. Jesus will uns helfen, den anderen so zu sehen, wie er ihn geschaffen und gedacht hat – er will uns helfen, ihn so zu sehen, wie er ihn sieht. Das ist eine Herausforderung, die viele Paare in Beziehungen kennen: den anderen so sehen, wie er wirklich ist und nicht, wie ich ihn gerne haben möchte. Aber diese Herausforderung, dieses Fenster, besteht nicht nur da, wo sich zwei Menschen begegnen, die sich lieben oder sich freundschaftlich sehr nahe sind. Es gilt besonders auch dann, wenn es schwierige Begegnungen sind. In der Arbeit mit Kolleginnen und Kollegen oder in der Freizeitgruppe, vielleicht auch im erweiterten Verwandtschaftskreis. Auch und gerade dann steht Christus zwischen den beiden Menschen, die sich begegnen und will durch seine Anwesenheit die Begegnung gestalten. Die schönen Momente genauso wie die, von denen er selbst im Evangelium spricht: wenn wir die schwierige Aufgabe haben, jemanden zurechtzuweisen, mit jemandem ein klares oder klärendes Wort zu sprechen. Auch in diesem Momenten ist Jesus anwesend und steht als Fenster zwischen uns – und dieses Fenster, Jesus, hat dann ein klares Ziel. Er möchte, dass wir den anderen »zurückgewinnen«: »Hört er auf dich, so hast du deinen Bruder zurückgewonnen.« (Mt 18,15b) Das ist das Ziel von klaren Worten: den anderen nicht zu verlieren und ihn, wenn es irgendwie geht, eben nicht auszuschließen. Denn bevor Jesus von der Zurechtweisung spricht, erzählt er im Matthäusevangelium das Gleichnis vom verlorenen Schaf. Dort heißt es am Ende: »So will auch euer himmlischer Vater nicht, dass einer von diesen Kleinen verloren geht.« (Mt 18,14) Menschliche Begegnungen, die schönen wie die schwierigen, stehen unter der Zusage, dass Jesus anwesend ist, dass er die Begegnung gestalten möchte.

Freigeben des anderen

Das allerdings erfordert eine Offenheit von den Personen, die sich begegnen. Das muss noch gar nicht bedeuten, dass sich beide bewusst sind: »Wenn wir uns begegnen, dann ist Jesus mit dabei«, sondern es bedeutet eine grundlegende Offenheit für den anderen. Unsere Begegnungen werden ja dadurch erst lebendig, dass wir bereit sind, uns auch vom anderen bewegen und anstoßen zu lassen. Durch das, was uns der andere aus seinem Leben erzählt; durch das, was er uns fragt. So entsteht ein Austausch, und wir verlassen die Begegnung verändert. Was nun aber, wenn mein Gegenüber nicht zu dieser Veränderung bereit ist? Leider erfahren wir das immer wieder, wenn etwa gute Freundschaften und Beziehungen plötzlich zerbrechen und es nicht mehr möglich ist, mit dem anderen darüber zu sprechen; wenn es im Gespräch nur noch zu Missverständnissen kommt, wenn ein klärendes Gespräch nicht erwünscht ist; wenn man sich gar nicht mehr versteht oder der Kontakt sogar komplett vom anderen abgebrochen wird. Das ist schmerzhaft. Was ist dann? Ist auch dann Christus noch anwesend, noch »mitten unter uns«? Ja. Auch für diese Situation hatte Bonhoeffer ein sprachliches Bild: das Freigeben. Er schrieb: »Ich muss den Andern freigeben von allen Versuchen, ihn mit meiner Liebe zu bestimmen, zu zwingen, zu beherrschen. Weil Christus an meinem Bruder schon längst entscheidend gehandelt hat, bevor ich anfangen konnte, zu handeln, darum soll ich den Bruder freigeben für Christus, er soll mir nur noch als der begegnen, der er für Christus schon ist.« Auch wenn es schwer ist: In solchen Momenten können wir darauf vertrauen, dass Christus an unserem Gegenüber handelt, dass Jesus mit ihm unterwegs ist, auch wenn wir es im Moment nicht sein können (oder uns vorstellen können) oder nie wieder sein werden. Der andere fällt ohne uns nicht ins Nichts, sondern wird ebenso wie wir von Christus begleitet. Vielleicht würden wir uns wünschen, dass es anders laufen würde, dass sich die Person anders entwickelte, andere Entscheidungen treffen würde, einen anderen Weg einschlagen würde. Aber – wie Bonhoeffer sagt – dann steht der Moment des Freigebens an. Das kann man ganz bewusst machen, indem man zum Beispiel für die andere Person betet und sich vorstellt, wie man sie nun loslässt und in die Hände Jesu gibt. Dann ist es wieder Jesus, den ich selbst gebeten habe, zwischen mich und den anderen zu treten und die Beziehung nun auf eine andere Weise zu gestalten.

Bedingungslose Anwesenheit Christi


Christus, der zwischen mir und dem anderen steht – oder in den Worten des Evangeliums: »Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.« Vor schwierigen Gesprächen oder Begegnungen macht es uns Mut, wenn wir ganz bewusst um die Anwesenheit Gottes beten. Doch täten wir das vor jeder menschlichen Begegnung im Alltag, dann würde uns das schnell überfordern. Deshalb ist es gut, dass die Zusage Jesu nicht an eine Bedingung gebunden ist, sondern ganz bedingungslos gilt. Dort wo wir im Alltag als Christinnen und Christen unterwegs sind und Menschen begegnen, ist er mit dabei. Er macht uns das Angebot, das Fenster zu sein, das uns den Blick auf den anderen öffnet und uns hilft, dem Gegenüber in seiner Freiheit und seiner Geschichte mit Gott zu begegnen.

Regina Maria Frey

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