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Die Schriftleitung
Leseprobe 1
5. Sonntag im Jahreskreis
I. »… auf dein Wort hin« – oder: dem Wunder leise die Hand hinhalten (Lk 5,1–11)
Statio
Die Begegnung des Simon mit Jesus fügt sich nicht nahtlos in dessen bisherige Lebenserfahrung ein. Sie ist im wahrsten Sinne umwerfend. Sie ist Begegnung mit dem Heiligen: Simon begegnet durch Jesus dem Geheimnis Gottes. Ihm wird dabei der abgrundtiefe Abstand schlagartig enthüllt. So ist er nah bei der Berufungserfahrung des Propheten Jesaja: »Weh mir, denn ich bin verloren … denn den König, den Herrn der Heerscharen, haben meine Augen gesehen« (Jes 6,5). Gottesbegegnung und Gottesschrecken liegen eng beieinander. Das aufrichtende Wort Jesu überbrückt diesen Abgrund – damals und auch heute.
Peter Seul

»… auf dein Wort hin werde ich die Netze auswerfen« (Lk 5,5). Was für ein mutiger Satz, den Simon Jesus entgegnet. Mutig? Ja, aber nicht weil man Jesus nicht widersprechen dürfte. Sondern weil Simon wusste, wovon er redet – als professioneller Fischer: Fische mit Schleppnetzen fängt man nachts, nicht mehr bei Anbruch des Tages. Es geht im gerade gehörten Evangelium ums Fischefangen, aber nicht nur. Gewöhnlich wird dieser Abschnitt als Berufungsgeschichte präsentiert. Noch die alte Einheitsübersetzung hat sie mit »Die Berufung der ersten Jünger« überschrieben. Anders als die Vorlage aus dem Markusevangelium (Mk 1,16–20), die viel deutlicher von einer Berufungsgeschichte erzählt, ist im heutigen Text erst ganz am Ende von Nachfolge zu lesen. Zudem erfolgt gar keine direkte, wörtliche Berufung von Jüngerinnen und Jüngern durch Jesus. Wir lesen und hören lediglich diesen Schlussvers: »Und sie zogen die Boote an Land, verließen alles und folgten ihm nach« (Lk 5,11). Allein dieses Ereignis steht im Vordergrund: der wunderbare Fischfang. Lukas platziert das Fischfangwunder mitten ins Geschehen der ersten Wirksamkeit Jesu in Galiläa, in Nazaret, in Kafarnaum, an den Ufern des Sees und mitten darauf. Und er trifft damit genau die Lebenswelt der damaligen Hörerinnen und Hörer. Denn besonders fischreich und deshalb fischereifreundlich war der See Gennesaret. Darauf verweisen nicht zuletzt solche Ortsnamen wie Betsaida (vgl. Mk 8,22–26), was man etwas leichtfüßig mit »Fischfanghausen« übersetzen kann.

Vom Fischen und Fangen

Entscheidend für das heutige Evangelium ist also nicht das Thema Berufung, sondern das Motiv vom Fischfang und darüber hinaus die Metapher von den Menschenfischern. Interessant ist, dass im griechischen Originaltext zwei verschiedene Begriffe dafür verwendet werden. In manch deutscher Übersetzung geht das verloren. Wenn Simon Jesus widerspricht und darauf hinweist, dass sie die ganze Nacht nichts gefangen haben (vgl. Lk 5,5), dann ist im Originaltext von einem Fangen die Rede, das sich auf das Fangen für den Verzehr oder den Unterhalt bezieht: Fische fangen, um davon leben zu können. Simon und seine Gefährten waren Berufsfischer, keine Freizeitangler. Wenn nun nach dem wunderbaren Fang Jesus dem Simon entgegnet: »Fürchte dich nicht! Von jetzt an wirst du Menschen fangen« (Lk 5,10), dann kann dieses Fangen – oder genauer: Einfangen noch besser mit »Retten« übersetzt werden. Menschen fangen, Menschen fischen, das heißt: Menschen retten, Menschen vor dem Untergang bewahren, Menschen zurück ins Leben führen. Wer genau auf diese Wortwahl hört und ihren Sinn versteht, findet sich sofort in einer anderen Welt wieder. Hier geht es nicht mehr um Fischen und Angeln, nicht mehr um Wels und Barbe im fischreichen See von Galiläa. Hier geht es um mehr: um das Leben, das Glück, das Heil von Menschen. Wer kann da noch unbeteiligt weghören?

Ein Wort, das Wirklichkeit erschafft
Menschen einfangen, Menschen fischen, Menschenfischer: Das ist eine Metapher, ein Sprachbild, in dem von einer neuen Wirklichkeit die Rede ist. Diese neue Wirklichkeit wird durch das Wort Jesu erschaffen. Das Bild von den Menschenfischern steht für die Wirksamkeit dieses Wortes. Denn so fügt sich der zweifelnde Realist Simon der scheinbar irrsinnigen Idee des Wanderpredigers: »Doch auf dein Wort hin werde ich die Netze auswerfen.« Und siehe: Das Wort ist Wirklichkeit geworden, eine Wirklichkeit, die in dem Bild von den Menschenfischern auch zukünftige Bestandsgarantie erhält. Die Zusage Jesu: »Von jetzt an wirst du Menschen fangen!« lässt keine Zweifel mehr an dem, was sich ab jetzt ereignen wird. Jesus macht es selbst vor, denn er ist in dieser Geschichte mit seinem Wort der erste Menschenfischer. Und doch bleibt es eine fremde, weil neue und überraschende Wirklichkeit, mit der niemand auch nur im Entferntesten gerechnet hatte. Schier absurd klingt die Aufforderung Jesu in Simons Ohren: Wer über Nacht nichts fängt, braucht auch nicht mehr auf den Morgen und das Tageslicht zu hoffen. Was für ein Unfug in den Ohren eines erfahrenen Fischers! Umso größer ist der Schrecken, der alle angesichts des wunderbaren Fischfangs ergriffen hat. Auch hier lässt sich das Wort im griechischen Original noch besser mit Erstaunen oder Ehrfurcht übersetzen. Fridolin Stier hat in seiner sprachlich wunderbaren Übersetzung dafür das etwas altmodische Wort »Schaudern« verwendet. Ein Schrecken, der die Beteiligten erschaudern und staunen und sie in Ehrfurcht zurücklässt. Hier ist in der Tat etwas Ungewöhnliches geschehen!

Gegen alle Erfahrung und wider alle Zweifel?

»Doch auf dein Wort hin …« – Das Wort Jesu verlangt eine echte Ant-Wort, die Glauben heißt. Glauben an die Wirksamkeit dieses Wortes, das heißt Vertrauen, nicht Glauben als Für-wahr-halten im Sinne einer Aussage wie: »Ich glaube, dass Gott die Welt erschaffen hat.« Glauben heißt hier existenzielle Bereitschaft zur Antwort, ist Wagnis und schließt eine Risikobereitschaft mit ein, sich auf etwas Neues einzulassen wider alle eigene Erfahrung. Das heißt, das erfahrungsgemäß Unmögliche für möglich zu halten – »… auf dein Wort hin«. Simon zeigt diese Risikobereitschaft und erfährt einen Neuanfang, der sein ganzes Leben verändern wird, sozusagen ein »Startschuss« zu einem neuen Leben als Menschenfischer.
Aber gleich dreimal sei an dieser Stelle und aus heutiger Sicht kritisch zurückgefragt. Erstens: Woher soll man dieses Vertrauen eigentlich bekommen in einer Zeit wie der unsrigen, die nicht erst seit der Corona-Pandemie geprägt ist von der Zerbrechlichkeit und Verletzlichkeit allen Lebens, die geprägt ist von apokalyptischen Endzeitszenarien angesichts eines unaufhaltsamen Klimawandels und Artensterbens und vielem anderen mehr? Vieles ist aus den Fugen geraten, bei vielen nicht zuletzt auch der persönliche Glaube. Handelt Gott (noch) in dieser Welt? Auf welchen Gott soll man eigentlich vertrauen angesichts einer von ihm geschaffenen Welt, die uns irgendwie feindlich begegnet? Die Tatsache sei hier einmal ausgeklammert, dass auch wir dieser Welt feindlich entgegentreten.
Zweitens: Das Bild von den Menschenfischern bleibt ambivalent. Kann man solchen Leuten trauen? Woher weiß ich, dass es ihnen darum geht, Wege in ein neues Leben aufzuzeigen? Und nicht vielmehr um Macht und Manipulation, um eigene Ideologien unters Volk zu bringen? Die Grenze zwischen Menschenfreundlichkeit und Menschenfeindlichkeit ist ein schmaler Grat. Zu vielfältig sind die Sinnangebote, die einem tagtäglich begegnen, um hier eindeutig die Spreu vom Weizen zu trennen. Dass Menschenfischen nicht selten auch mit Machtpolitik zu tun hat, auch das erleben wir täglich in den Nachrichten. Nicht zuletzt auch innerhalb der Kirche sind wir in den letzten Jahren mit den Abgründen einer vermeintlich seelsorgerlichen Praxis konfrontiert worden, die sich selbst pervertiert hat.
Schließlich drittens: Recht befremdend für gewöhnliche Christinnen und Christen von heute wirkt doch die Radikalität, mit der sich Simon und die anderen diesem Wanderprediger anschließen. Sie lassen alles zurück: Familien, Freunde, Partnerinnen und Partner, Söhne und Töchter, ihren Beruf, ihre Heimat. Denken wir das mal auf unsere Lebenswelt bezogen: Was würde das auslösen? Interessanterweise lässt Lukas Jesus in der Folgezeit nicht mehr öffentlich am See auftreten. Er kehrt nur noch einmal mit seinen Jüngerinnen und Jüngern zurück, um vor ihnen bei der Stillung des Seesturms seine göttliche Macht zu demonstrieren (Lk 8,22–25). Weiß der Evangelist, dass eine Rückkehr Jesu in einem Streit mit den zurückgelassenen Familien hätte enden müssen? Nicht auszudenken, welche Wendung das Evangelium hätte nehmen können …

Mutig bleiben und nicht müde werden

Doch trotz dieser letzten Radikalität in der Entscheidung der ersten Jüngerinnen und Jünger ist die Erzählung aufgrund ihrer Konzentration auf das Fischfangwunder gerade kein Appell, den wir heute schnell als unrealistisch und als überhöhte Forderung abtun würden. Vielmehr können wir sie als eine »Mutmachgeschichte« hören, gegen unsere Erfahrungen und durch alle Zweifel hindurch aufmerksam zu bleiben für ein Wort, dem wir vertrauen können und wollen. Welches Wort wäre das für dich, für mich? Gibt es so eines in meinem Leben? Oder suche ich noch danach?
Meistens kommt es doch nicht ganz so direkt daher wie damals am See. Oftmals muss das Vertrauen auf ein bestimmtes Wort auch gegen die Erfahrung durchgehalten werden, dass die überwältigende Wirkung des Wortes sich nicht unmittelbar einstellt. Und wie oft hören wir so ein Wort, nehmen es aber nicht wahr. Zum Beispiel den ermutigenden Zuruf eines guten Freundes: »Du schaffst das!« Oder die gegenseitige Zusage in einer Partnerschaft: »Das stehen wir gemeinsam durch!« Gerade diese Worte verändern Wirklichkeit, unsere Wirklichkeit. Vielleicht muss man im Kleinen, im Alltäglichen anfangen, solche Worte nicht nur zu hören, sondern sich auch auf sie einzulassen, sie Wirklichkeit werden zu lassen. Sogar mehr noch dann, wenn die großen Zusagen und Versprechungen unhaltbar geworden sind. Göttliche Worte finden viele Kanäle, auch ungewohnte und unscheinbare jenseits der bekannten Frequenzen. Das zumindest dürfen wir den vielen biblischen Texten entnehmen, in denen diese Worte die Hauptrolle spielen.
Das für uns entscheidende Wort zu hören und den wunderbaren Fischfang immer wieder für möglich zu halten, braucht Geduld, Aufmerksamkeit für die leisen Töne. Und es braucht Ausdauer – so hat es die Dichterin Hilde Domin in einem wunderbaren Bild festgehalten:
»Nicht müde werden / sondern dem Wunder / leise / wie einem Vogel / die Hand hinhalten.«

Jan Woppowa

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