archivierte Ausgabe 1/2021 |
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Die Schriftleitung |
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Leseprobe 1 |
Werktagspredigten |
Advent: Visionen über das Ziel des Gottesvolkes und der Völker |
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Erste Adventswoche: Der Himmel soll zerreißen | Das Sehnen nach Klarheit (Jes 63,15 – 64,8; Mk 13,24–37)
»Komm und hilf mir!« Wann haben Sie das letzte Mal Gott oder einen Menschen so dezidiert um Unterstützung gebeten? Und wie war das? Fühlte es sich für Sie leicht und richtig an? Fühlten Sie sich dadurch schwach oder gedemütigt?
Menschen sind schon sonderbar. Einerseits wünschen sie sich oft wahnsinnig viel und andererseits trauen sie sich oft nicht zu bitten. Erst recht nicht laut und deutlich. Andere sollen erahnen, was ich brauche, ich will mich nicht einfach mit meinen Bitten begreif-bar machen.
Umso befreiender hört sich diese Klage an. Da traut sich ein Volk etwas: »Warum hat Gott den Himmel nicht zerrissen und ist herabgestiegen? Wir sind doch sein Volk!« So wütend klagen die Menschen ihren Gott an. Sie sind verzweifelt. Sie suchen nach ihm. Er soll ihnen wieder Halt geben. Orientierung. Klarheit. Hilfe.
Das Klagen. Es ist ein Rufen nach Antworten, wenn man selbst nur Fragen hat. Sie kennen das vielleicht. Der oder die andere soll Klarheit herbeiführen, wo ich es selbst nicht kann. Und von Gott erwarten wir das am allermeisten: Er soll uns helfen. Er soll uns eine Richtung geben, Orientierung sein.
Umso wichtiger ist es, zu verstehen, dass eine Bitte auch bedeutet, dass ich mich begreif-bar mache. Der oder die andere lernt mich besser kennen, ich zeige etwas von mir und mache mich damit angreifbar. Denn ich sage: Sieh her, ich brauche dich, ich kann nicht alles allein.
Vor Gott machen wir uns angreifbar, er darf uns begreifen, er darf uns verstehen. Ob er für unsere Bitten den Himmel aufreißen und herabsteigen wird? Auf seine Weise jederzeit. In unserem Sehnen nach Klarheit, unserem Bitten um Hilfe ist er gegenwärtig. Er sagt: Du brauchst nicht perfekt sein. Das ist ein Stück des Weges auf Weihnachten zu.
Zweite Adventswoche: Das Gottesvolk als Freudenbotin auf dem Weg in die Freiheit | Gott tröstet (Jes 40,1–11; Mk 1,1–8)
Gott trägt die Lämmer auf dem Arm, direkt an seinem Herzen hält er sie. Er gibt ihnen Geborgenheit, beruhigt und tröstet sie. Stellen Sie sich dieses Bild einmal vor: Wie Gott Sie an seinem Herzen trägt, wie ein Lamm. Lämmer sind Kinder. Und wir sind Kinder Gottes.
Kinder tröstet man gern und oft: Man nimmt sie auf den Arm, pustet, singt und sagt beruhigende Worte. Die Tränen versiegen oft so schnell, wie sie kamen. Die Kinder hüpfen vom Schoß ihrer Eltern und spielen weiter. Kind sein dürfen. Das ist etwas Befreiendes, Beruhigendes. Kinder zeigen ihre Verletzlichkeit oft und viel. Und sie finden Trost.
Bei Erwachsenen ist das anders. Sie sind »groß« geworden und auf diesem Weg ist das freie Äußern von Gefühlen vielen abhandengekommen. Sie haben es irgendwie verlernt. Und trotzdem sind da Trauer, Angst und Wut – oder andere Gefühle, die Trost brauchen. Manche Menschen spüren eine Verletzung in sich, die keiner sieht.
Gott tröstet. Der Bibeltext, der gerade gelesen wurde (Jes 40,1–11), macht das erlebbar. Gott kann Balsam für die eigenen Verletzungen sein. Aber er ist kein Scharlatan. Er bedeckt nicht einfach das, was nicht heil ist. Sondern er tröstet. Er leidet mit uns, er hält uns im Arm, er hält unsere Ohnmacht aus. Er ist in unserem Leid präsent. Manchmal spüren wir das nicht, manchmal schon. Gottes Trost annehmen. Sein Kind sein dürfen. Das ist ein Stück des Weges auf Weihnachten zu.
Dritte Adventswoche: Proklamation des Heilsboten | Jubeln über Gott (Jes 61,1–11; Joh 1,6–8.19–28)
Wie oft freuen Sie sich am Herrn? Wie oft jubeln Sie bewusst über Gott? Natürlich tun wir das mit jedem feierlichen Gottesdienst, mit jedem froh geschmetterten Gloria, das die Kirche erfüllt. Aber jubeln? Allein? Im Alltag? Über Gott? Das ist heute selten. Wir sagen »Gott sei Dank«, wenn etwas noch mal gut gegangen ist. Wir wünschen vielleicht auch »Gottes Segen« zum Geburtstag. Aber »Lob sei Gott« kommt heutzutage im Alltag kaum noch über christliche Lippen. Eigentlich schade. Denn Gott ist nicht nur Trostspender, er ist nicht nur gerecht und barmherzig, nicht nur Orientierung und Gegenüber im Gebet. Er ist auch Gastgeber unseres Lebens. Er feiert unser Leben Tag für Tag. Deshalb könnten Christinnen und Christen eigentlich immer fröhlich sein – wie bei einem erhofften Tor des Lieblingsvereins, wie bei der Geburt eines Kindes, wie bei einer schweren Aufgabe, die gelungen ist. Unser Leben ist ein Fest. Gott ist der Gastgeber.
Laut über Gott jubeln, über alles, was er geschaffen hat, das kostet vielleicht im ersten Moment Überwindung – aber es befreit auch: Wer bescheiden ist, will sich oft nicht selbst loben, das riecht nach Eitelkeit. Andere loben sich vielleicht eine Spur zu viel selbst, um sich von ihrem Umfeld wahrgenommen zu fühlen.
Gott dafür loben, dass mir etwas gelungen ist, das kann jeder und jede. Gott beschenkt, Gott feiert uns. Jeden Tag.
Dieser Jubel, diese Freude. Sie sind ein Stück des Weges auf Weihnachten zu.
Vierte Adventswoche: Gottes Haus und Erwählter als Mitte | Haus und Zelt (2 Sam 7,1–16; Lk 1,26–38)
Für den Namen Gottes ein Haus bauen. Das ist für Gott denkbar. Ihm allerdings selbst ein Haus bauen, in dem er wohnt, ein festes aus Zedernholz, das lehnt er ab. Stattdessen dreht er das Bild um und sagt dem Menschen zu: Ich werde dir ein Haus bauen!
Es ist das Bild des Zelts, in dem Gott wohnt, das hier erstaunt. Wir kennen Kirchen aus Stein, um Gott zu ehren. Wir kennen seit Corona auch Freiluftgottesdienste, klar. Aber das Normale, das Gewohnte ist eine Kirche als Haus Gottes.
Umso feiner erscheint dieser Unterschied: seinem Namen ein Haus bauen: ja. Ihm selbst: nein. Was sagt das über unser Gottesbild? Versuchen wir Christinnen und Christen Gott in der Kirche zu beherbergen oder versuchen wir, ihn dort einzuschließen? Das Bild des Hauses birgt ja vieles, was wir mit dem eigenen Glauben verbinden: Heimat, Gemeinschaft, Wärme. Aber es bedeutet auch: Mauern, verschließbare Türen, Grenzen.
Ein Zelt ist anders: Es bietet zwar auch Schutz, aber seine Haut ist so dünn, dass andere von draußen immer mitbekommen, was drinnen passiert. Wie wäre es, wenn wir die Kirche mehr wie ein Zelt denken: eine Umrandung des Eigenen, ein einfacher Schutz vor dem Regen, eine durch-scheinende Haut? Mit genug Platz und Wärme für die Gemeinschaft des Glaubens. Mit der Flexibilität, jeden Tag an einem anderen Ort Gott zu loben und ihm zu danken.
Die Herberge, die wir Gott bereiten, ist Symbol für die Art und Weise, wie Gott in unserem Leben, in unserer Gesellschaft Platz findet.
Gott den passenden Raum geben. Das ist ein Stück des Weges auf Weihnachten zu.
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Regina Laudage-Kleeberg |
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