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Leseprobe 2
Allerheiligen
II. Die »Muster-Durchbrecher« (Mt 5,1–12)
Verhaltensmuster durchbrechen

Zu einem Psychologen kam ein Ehepaar. Obwohl sie einander nach wie vor liebten und keinesfalls auseinandergehen wollten, hatten sie ein unlösbares Problem: Ständig gerieten sie in Streit, meist aus nichtigen Anlässen. Der Psychologe begriff schnell, dass beide in einem fatalen Verhaltensmuster gefangen waren. Statt jedoch lang und breit die Ursachen zu analysieren, gab er ihnen folgenden Rat: »Wenn Sie wieder in Streit geraten, soll der, der als Erster daran denkt, ins Schlafzimmer gehen, auf seine Seite des Ehebettes, und einen Fuß aufs Bett setzen. Der andere soll es ihm nachtun. Dann streiten Sie weiter!« Beim nächsten Gespräch erzählten sie: Beim ersten Streit hätten sie das tatsächlich so gemacht – und hätten dermaßen lachen müssen, dass der Streit vergessen war. Das Verhaltensmuster war durchbrochen worden!

Solche »Muster« gibt es oft bei ausweglos erscheinenden Problemen, aber auch sonst im menschlichen Verhalten. Etwas Neues wird erst dann möglich, wenn es gelingt, ein »Muster« zu durchbrechen.

Was hat das nun mit dem Fest »Allerheiligen« zu tun? Ich glaube, dass viele Heilige genau solche »Muster-Durchbrecher« waren! Sie haben ungewöhnliche Dinge getan, die die meisten Menschen niemals wagen, ja an die sie nicht einmal denken würden, und haben dadurch Großes möglich gemacht. Und die Seligpreisungen aus der Bergpredigt, die wir als Evangelium gehört haben, kann man als Anleitung lesen, Muster zu durchbrechen. Meist versteht man sie ja eher moralisch: Da werden Tugenden oder Verhaltensweisen genannt, die man sich aneignen muss, um ein guter Christ (oder gar ein Heiliger) werden zu können. Der Anspruch liegt dabei sehr hoch. Es sind Ideale, die uns überfordern. Deshalb bewundern wir zwar diejenigen, die nach solchen Idealen leben, und verehren sie als Heilige, aber wir folgen ihnen selten nach.

Nun kann man die Seligpreisungen auch anders lesen, nämlich als Inspiration und Anleitung, »übliche Verhaltensmuster« zu durchbrechen, oder sie wenigstens einmal in Frage zu stellen. So mancher unter den Heiligen führt uns vor, wie das gehen und was dabei herauskommen kann. An einigen der Seligpreisungen möchte ich das hier durchspielen.

»Selig, die arm sind vor Gott!«


Üblicherweise sagt man ja: »Geld allein macht zwar nicht glücklich, aber es beruhigt …« Also möchte jeder, wenn nicht gleich reich, so doch wenigstens so wohlhabend sein, dass er gesichert leben kann. Und was wollen die Armen? Natürlich mehr Geld, um der Armut zu entkommen! Arm wie reich wollen eigentlich dasselbe, nämlich genug Geld – und befinden sich damit im gleichen »Verhaltensmuster«.

Dass es auch anders geht, lebte der heilige Franziskus von Assisi exemplarisch vor: Er verzichtete ganz auf Geld und Besitz, und hielt auch seine Anhänger dazu an. Er lebte nicht nur äußerlich arm, sondern »Armut« war seine Lebenshaltung, sein Ideal; er war ein »Armer im Geiste«. Das stellte einen Protest gegen das hemmungslose Gewinn- und Besitzstreben der Reichen seiner Zeit dar; er selbst stammte ja aus einer reichen Kaufmanns-Familie. Darüber hinaus war es eine besondere Form von Freiheit: nichts zu brauchen, ohne Sorge zu leben, nichts schützen und verteidigen zu müssen, alles leicht verschenken zu können. Franziskus wurde glücklich damit.

Sein Protest wäre heute aktueller denn je. Und für uns kann er zumindest eine Inspiration sein, uns zu fragen: Was brauchen wir denn wirklich? Leben wir vielleicht freier und glücklicher, wenn wir unsere Bedürfnisse einschränken und uns auf Weniges, aber Wesentliches konzentrieren? Die Leistungs- und Konsum-Gesellschaft hämmert uns ein: »Leiste mehr, damit du dir mehr leisten kannst; konsumiere mehr, das macht dich glücklich!« Dass das nicht funktioniert, ist längst klar. Doch es hat eine gewaltige Verführungskraft. Es ist das »Muster« unserer Wohlstands-Gesellschaft. Wer wagt, es zu durchbrechen?

»Selig die Trauernden!«

Lauter strahlende Gesichter auf den Werbe-Plakaten! Auch als Mitarbeiter/in im Verkauf oder in einer Gastwirtschaft wird man angehalten, stets ein Lächeln auf den Lippen zu haben. Wer kann es sich schon leisten, auch einmal traurig, unglücklich, mit Problemen beladen zu sein? Gleich wird man schief angesehen. Selbst in manchen christlichen Kreisen muss man immer ein Lächeln zeigen.

Die »Trauernden« durchbrechen dieses Muster. Sie stellen sich der Realität des Lebens, wie sie ist – das heißt: mitsamt ihren Schattenseiten. Sie lassen Trauer und Schmerz zu, obwohl sie es sich eigentlich nicht leisten können. Sie lassen auch den Schmerz anderer an sich heran, lassen die Traurigkeit über das Elend in der Welt zu; sie verdrängen es nicht und sagen nicht: Was kann ich da schon dagegen machen?

Es ist leicht, mit diesem Argument Leid von sich fern zu halten, denn tatsächlich sind unsere Möglichkeiten oft sehr gering. Doch nur wer dieses Muster durchbricht und es wagt, am Elend der Welt und an der eigenen Hilfslosigkeit zu leiden, hat die Chance, doch Möglichkeiten zur Veränderung zu entdecken. Er wird zugleich einer, der »hungert und dürstet nach Gerechtigkeit«. Vielen Heiligen, die große Werke der Nächstenliebe aufgebaut haben, hätte man menschlich gesehen kaum Chancen auf Erfolg zugebilligt. Doch ihr »Hunger nach Gerechtigkeit« war groß genug, das Muster der Gleichgültigkeit zu durchbrechen.

»Selig, die keine Gewalt anwenden!«

Jeder kennt die Kreisläufe von Gewalt und Gegengewalt. Die Geschichte kennt »Erbfeindschaften« zwischen ganzen Nationen. Im Alltag kennen wir die »Nachbarschaftskriege«, entstanden aus oft nichtigem Anlass, immer neu angeheizt dadurch, dass man sich gegenseitig nur noch »zuleide lebt«. Wie unglücklich sich die Streithähne damit machen, merken höchstens andere, sie selber meistens nicht. Doch es ist ungeheuer schwierig, aus dem Muster der Vergeltung auszusteigen. »Gewaltlose« wagen das, und so werden sie zu Friedensstiftern. Ganz Europa hat es nach dem Ende des 2. Weltkrieges gewagt, und so zur Versöhnung zwischen alten Feinden gefunden. Christen waren maßgeblich daran beteiligt. Sehen wir zu, dass uns das nicht wieder verlorengeht!

»Selig, die ein reines Herz haben!«

Wann kann und darf man sich schon zeigen, wie man wirklich ist? Meistens müssen wir doch eine Maske tragen: Wir müssen uns als erfolgreich, optimistisch, sportlich, jugendlich, clever usw. präsentieren, sonst kommen wir nicht an. Selbst in den intimsten Beziehungen spielt man nicht selten einander etwas vor – obwohl dort doch am ehesten die Chance besteht, sich ohne Maske zu zeigen.

Wer »ein reines Herz hat«, verzichtet auf alle Masken und Fassaden, die wir sonst voreinander aufbauen. Er verzichtet darauf, sich gegen andere abzusichern und sich einen geistigen Panzer zuzulegen. Das ist riskant: Man macht sich verletzbar dadurch. Man zeigt sein wahres Gesicht, und man wird angreifbar. Und doch ist das der einzige Weg zu echten menschlichen Begegnungen und Beziehungen. Es ist der Weg zu einem ehrlichen und authentischen Umgang miteinander. So riskant es ist – es hinterlässt doch meist einen nachhaltigen Eindruck, wenn jemand authentisch ist und offensichtlich in Einklang mit sich selbst lebt.

»Selig die Barmherzigen!«

»Ich habe Recht« – und alle anderen natürlich Unrecht! Wie oft behaupten wir unsere Position, unsere Meinung, unsere Verhaltensweise. Selbst wenn wir genau spüren, dass wir etwas falsch gemacht haben, geben wir es nicht zu, sondern schieben lieber anderen den Schwarzen Peter zu. Wer hingegen barmherzig ist, rechnet mit der menschlichen Fehlbarkeit – zuallererst mit der eigenen. Er weiß, dass Gott mit uns barmherzig ist. Darum begegnet er anderen nicht rechthaberisch, sondern mit Verständnis. Er kann eigene Fehler zugeben und um Verzeihung bitten. Er kann anderen vergeben. Die Muster der Rechthaberei werden durchbrochen. Ein Raum der Annahme und Freiheit entsteht: Hier muss ich nicht perfekt sein, denn wir nehmen uns gegenseitig an mit unserer Fehlbarkeit – so, wie Gott uns annimmt.

»Selig, die verfolgt werden!«

Alle diese »Muster-Durchbrecher« riskieren einiges. Denn man eckt an, wenn man sich ganz anders verhält, als man das gewohnt ist, oder als es erwartet wird. Man wird angreifbar und verletzbar. Man riskiert Verfolgung; ohne Widerspruch und Widerstand geht es nicht ab. Dennoch ist dieses Wagnis der einzige Weg, damit Neues wächst, und wir aus unheilvollen Gewohnheiten herauskommen.

Die Heiligen ermutigen uns dazu! Viele von ihnen haben das Unglaubliche versucht, und Dinge getan, die man nicht für möglich gehalten hätte. Wenn uns das nur ein wenig und im Kleinen gelingt, sind auch wir »Heilige« und »Muster-Durchbrecher«, die sich und andere in eine neue Freiheit führen.

Wilhelm Schäffer

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