archivierte Ausgabe 1/2016 |
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Die Schriftleitung |
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Leseprobe 2 |
Fest der Heiligen Familie |
II. Wurzeln und Flügel (Lk 2,41–52) |
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Momentaufnahmen aus Kindheitsjahren
Da viele von uns hier in einer Zeit aufgewachsen sind, in der man nicht ständig ein Handy bei sich hatte, um besondere Momente zu fotografieren, kennen Sie das vermutlich auch: Im Fotoalbum gibt es Lücken. Ganze Jahre sind vergangen, ohne dass es davon ein Bild gäbe. Eben noch liegt das Baby in Mamas Arm – und auf der nächsten Seite läuft das Kind schon. Nochmal umblättern und wir sehen es im Kindergarten und zwei Seiten weiter das erste Klassenfoto. Beim Blättern im Album verfliegen die Jahre wie im Zeitraffer. Dazwischen aber ist viel passiert, auch wenn es nicht im Bild festgehalten ist; vielleicht sogar Wichtigeres als das Fotografierte.
Ähnlich geht es einem, wenn man im Lukasevangelium liest. Eben noch die Geburtsszene im Stall mit den Hirten und dem Engel, dann die Beschneidung und der Gang nach Jerusalem und die Begegnung mit Simeon und Hanna. Und dann blättert man um und schon ist Jesus zwölf Jahre alt und er ist wieder in Jerusalem, diesmal mit seiner Familie beim Paschafest. Wir haben es gerade gehört. Und wieder eine Seite weiter lässt sich bereits der erwachsene Jesus von Johannes taufen, und dann hat der Dreißigjährige den ersten öffentlichen Auftritt. Und in den Jahren dazwischen? Wir wissen nicht viel davon. Nur mit einem Satz füllt der Evangelist Lukas die Kindheitslücken: »Das Kind wuchs heran und wurde kräftig; Gott erfüllte es mit Weisheit, und seine Gnade ruhte auf ihm« (Lk 2,40).
Die Jahre in Nazaret waren für Jesus sicherlich genauso prägend, wie für jeden Menschen die Kinder- und Jugendzeit ist. Das heutige Evangelium zeigt ausschnitthaft den Zwölfjährigen im Tempel. Aber das Fest der Heiligen Familie lenkt unseren Blick über diese einzelne Situation hinaus auf den so selbstverständlichen Umstand, dass Jesus in einer Familie aufgewachsen ist, die sein Leben sicherlich grundlegend geprägt hat.
Familienerfahrungen prägen
Auf sich allein gestellt überlebt kein Kind. Die nächsten Bezugspersonen geben ihm, was es zum Leben braucht: Nahrung, Wärme, Liebe, Schutz, Geborgenheit, Worte, Berührungen, Zuwendung, Kontakt zu anderen Menschen, und weiter dann die Sprache, Erzählungen, Lieder, Handgriffe, das Vormachen, das Mitnehmen in unterschiedlichste Situationen, Anregungen, Zutrauen, das Loslassen. Mit der Familie, wie auch immer sie aussieht, lernt ein Mensch all das Wichtige, das er braucht zum Leben, Selbstvertrauen, Orientierung, Mut, Zuversicht, sich durchsetzen, sich einfügen, verzeihen, Verantwortung übernehmen, das grundlegende Lebensgefühl, eine Ahnung wie Gott ist, eine Vorstellung, welche Welt wir wollen und was wir erreichen können, ein Gespür für Gut und Böse, das Entdecken der eigenen Begabungen und so weiter. So vieles Weitere könnte hier aufgezählt werden. Die Prägung durch das Umfeld, in dem ein Mensch groß wird, ist bei aller Individualität nicht zu unterschätzen. Ist uns das Leben eines Menschen heilig, dann ist es auch seine Familie.
Mehr als uns oft bewusst ist, prägt uns die Herkunftsfamilie, sind wir Kinder unserer Eltern, tragen wir in uns ihr Erbe, nicht nur in den Genen, sondern mehr oder weniger auch in Verhaltensweisen, in Wertevorstellungen, in Sichtweisen, in Stärken und Schwächen und bisweilen auch im Aussehen. Natürlich sind wir nicht nur eine Kopie. Jeder entwickelt sich; sein Leben wird durch Erfahrungen, freie Entscheidungen, Einflüsse weiter geprägt, aber die Ausgangsbasis ist doch stark von der Familie vorgegeben. Bei Jesus war das nicht anders.
Die Herkunft Jesu
Dass Jesus der Mensch wird, der von vielen als geradezu göttlich wahrgenommen wird, einer der Wunderbares zu tun imstande ist und faszinierend zu reden weiß, der Menschenherzen bewegt und Wirkungskraft über seinen Tod hinaus erreicht, über Jahrhunderte und über Kultur- und Sprachgrenzen hinweg, hat sicher mit seiner Herkunft zu tun. Zwar hat Jesus so sehr den Rahmen des ihm Vorgegebenen, seiner Großfamilie, seines Volkes, seiner Religion gesprengt, dass den Menschen, die von ihm begeistert waren und darüber nachgedacht haben, wie das alles sein kann, auch noch Jahrzehnte und Jahrhunderte später nichts anderes übrig geblieben ist, als zu sagen: Dieser Mann hat nicht nur eine menschliche Herkunft, sondern auch eine göttliche, oder wie es die Theologen dann formulieren: Er ist nicht nur ein wahrer Mensch, sondern auch wahrer Gott. Aber natürlich war Jesus zunächst voll und ganz Mensch, ein Mann, herangewachsen als Jugendlicher, aufgewachsen in einem familiären Umfeld. Von diesem wissen wir leider nicht allzu viel, aber immerhin werden in der Bibel Geschwister erwähnt und im Sinne eines weiten Familienbegriffs muss man sich auch die entferntere Verwandtschaft unmittelbar dazu vorstellen. Seine Mutter treffen wir immer wieder bis hin zur Todesszene auf Golgota, die Spur des Vaters aber verliert sich früh. Wann er gestorben ist, wissen wir nicht, aber Künstler haben das häufig so verstanden, dass sie Josef schon zu Jesu Kinderzeit als eher alten Mann dargestellt haben. Ob der relativ frühe Verlust des leiblichen Vaters mit beeinflusst, dass Jesus ein so inniges Verhältnis zu Gott entwickelt und ihn liebevoll Abba, Papa, Vater nennt? Die familiäre Herkunft Jesu prägt seine Zukunft, seinen Weg in ein Leben voller Gottvertrauen, im Einklang mit höheren Kräften und Mächten und voll von Heiligem Geist.
Eine durchaus besondere Familie
Das Fest der Heiligen Familie vertieft das Weihnachtsgeheimnis. Da ist nicht einer vom Himmel gefallen, sondern in einer konkreten Familienkonstellation aufgewachsen, und zwar in einer, die ebenso wenig ideal erscheint, wie ein Stall eine ideale Geburtsstätte abgibt. Das Schöne ist, dass uns da eben keine ideale Kindheit in einer Bilderbuchfamilie vor Augen gestellt wird. Der Zauber der Weihnacht hängt auch zusammen mit den Besonderheiten der Heiligen Familie, mit den armen Verhältnissen, in denen das göttliche Licht aufscheint und die Hirten, einfache Leute, anlockt, auch mit der mysteriösen Vaterschaft, im Matthäus-Evangelium auch mit dem Besuch der Sterndeuter und der Flucht vor den Kinder tötenden Soldaten des Herodes. Das alles ist doch sehr speziell und keine durchschnittliche Situation für eine junge Familie. Gott scheut sich offensichtlich nicht, sich in konkrete menschliche Situationen einzulassen. Die Fäden, die Gott in der Hand hat, spannt er nicht von außen, sondern sie sind hineingewoben in den Stoff, der ein Menschenleben ausmacht.
Gottes Segen für alle Familien
Die Vorstellung davon, was eine Familie ist, ändert sich immer wieder, und derzeit besonders. Eines aber bleibt: Das engste Umfeld eines Kindes, das was ihn und sie prägt, ist ebenso heilig wie das Menschenleben selbst. Das Wohl eines Kindes ist vom Wohl seiner Umgebung nicht zu trennen. Wenn in jedem Kind Gott wohnt, so möge sein Segen auf jeder Familie ruhen, egal wie diese nun konkret aussieht. Beides trauen wir Gott zu: dass er sich einlässt in all die so speziellen Situationen, in denen wir Menschen uns entwickeln und unser Leben gestalten von klein an – und ebenso, dass er uns über alle Bindungen der Herkunft hinausführt und wir das Leben in seinem Geist immer wieder neu erfinden können. Wurzeln und Flügeln, so sagt man, schenkt eine gute Erziehung. Und das zählt wohl auch für das Großwerden im Glauben: Wurzeln in der Familie und die Freiheit, sich zur rechten Zeit zu lösen und zu neuen Horizonten aufzubrechen. Die Heilige Familie ist in all ihren Besonderheiten die Basis für Jesu Weg, der ihn weit über seine Herkunft hinausführt, in neue Horizonte der Gotteserfahrung und der Lebensgestaltung.
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Thomas Luksch |
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