archivierte Ausgabe 1/2012 |
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Die Schriftleitung |
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Leseprobe 1 |
Taufe des Herrn – 08. Januar 2012 |
I. Taufe und unser Selbstbewusstsein (Mk 1,7–11) |
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Zielsatz: Die Liebe Gottes zum Menschen gibt ein wahres Selbst-Bewusstsein, das Menschen verändern kann.
Heute zu seinem Recht kommen Wer verzichtet schon freiwillig auf sein Recht? Wer ist von sich aus schon bereit, ein ihm zustehendes Recht nicht in Anspruch zu nehmen? Allein um schon nicht als dumm und hinterwäldlerisch zu gelten, ist man darauf aus, sich sein Recht zu verschaffen. Ob es um Reklamationen von Waren geht, die einen kleinen Defekt haben oder wo der Farbton nicht mit dem im Katalog abgebildeten übereinstimmt. Ob es Lieferzeiten sind, die nicht eingehalten werden oder Handwerker nicht pünktlich sind, schnell wird zum Telefonhörer gegriffen und sich beschwert oder vom Preis etwas abgezogen, um zu seinem Recht zu kommen. Es wirkt schon fast lächerlich, wenn nach Abschluss des Sommerurlaubs der Reiseveranstalter wegen entgangener Urlaubsfreuden auf Schadensersatz verklagt wird, weil im Nachbarappartement ein Kleinkind schrie, oder ein Insekt durch die Ferienwohnung lief. Bei Strafmandaten wegen zu schnellen Fahrens wird inzwischen eher überlegt, ob man dagegen nicht Einspruch erheben sollte, anstatt seinen Fahrstil zu ändern. Die Befürchtung, übers Ohr gehauen zu werden, scheint allerorten zu lauern, sodass es nicht verwundert, dass inzwischen jeder zweite Bundesbürger eine Rechtsschutzversicherung abgeschlossen hat, Tendenz steigend. Es muss nicht verwundern, dass die Gerichte unter der Last von Bagatellfällen stöhnen und selbst das Bundesverfassungsgericht ein Bußgeld für offensichtlich aussichtslose und banale Eingaben erwägt. Auch im Umgang mit den Kindern lässt sich beobachten, dass das Recht-Bekommen ein wichtiges Erziehungsziel ist. »Lass dir nichts gefallen, wehr dich bloß, wenn du dich ungerecht behandelt fühlst!«, heißt es da, ohne nach den Hintergründen jenseits des subjektiven Gerechtigkeitsgefühls zu fragen. Erst sich behaupten und dann vielleicht fragen, oder?
Das geht in tiefere Schichten des Selbstbewusstseins Sich sein Recht zu verschaffen, ob unter den Erwachsenen oder bereits bei den Kindern, seine Rechte mehr zu kennen als z. B. seine Pflichten, das kennzeichnet auf vielen Ebenen einen Teil unseres gegenwärtigen gesellschaftlichen Umgangs und sagt darüber hinaus auch etwas über unser Selbstverständnis aus. Unser Hang, unbedingt sein Recht zu bekommen, es ohne wenn und aber durchzusetzen, rührt in den meisten Fällen an tiefere Schichten unseres Selbstbewusstseins. Da ist zum einen die Angst, zu kurz zu kommen, übervorteilt, nicht entsprechend behandelt zu werden, keine Anerkennung zu erfahren, keine ausreichende Wertschätzung zu bekommen, nicht ausreichend gewürdigt oder gar geliebt zu werden. Und zum anderen zeigt sich in dem Hang der unbedingten Selbstbehauptung die abnehmende Fähigkeit, mit Zufällen, Endlichkeiten und Unwegsamkeiten des eigenen Lebens fertig zu werden, als ob die Ursache für das eigene Scheitern immer nur bei den anderen, den Umständen oder bei sonst wem läge. Beide Bereiche, die Angst zu kurz zu kommen und die Unfähigkeit, mit dem eigenen Leben fertig zu werden, rühren letztlich an die Frage nach dem eigenen Selbstwert, nach der Würde, die jeder einzelne in sich und mit sich trägt.
Die Schwäche der Selbstrechtfertigung Mag der gewonnene Rechtsstreit auch eine innere Befriedigung verschaffen, mag das Durchsetzen seines Rechtes auch eine Genugtuung bedeuten, mag eine Reklamation auch zu einer angemessenen Entschädigung führen, es bleibt doch der schale Geschmack, dass das eigene Selbstverständnis, der eigene Selbstwert von diesen äußeren Erfolgen letztlich nicht getroffen und gestärkt werden kann. So berechtigt es auch in vielen Fällen sein kann, dass man sich zur Wehr setzt, nicht alles mit sich machen lässt, so sehr muss man aber darauf achten, dass man mit dem Versuch, sich sein Recht zu verschaffen, es sich zu »fertigen«, sich selbst jedoch letztlich nicht rechtfertigen kann. Es ist wie Münchhausens trickreiche aber letztlich aussichtslose Idee, sich selbst samt Pferd am Haarschopf aus dem Sumpf der Angst und der Unfähigkeit herauszuziehen. Anerkennung, Bestätigung und Wertschätzung sich selbst zu verschaffen, sich selbst zu rechtfertigen, indem man sich sein Recht verschafft und fertigt, dass kann letztlich nicht Grundlage sein, um sein Leben zufrieden oder gar glücklich zu bestehen. Abgetrotztes Recht ist eine schlechte Basis für das eigene Leben. Selbstrechtfertigung, Anerkennung, die wir uns selbst verschaffen, trägt nicht das eigene Leben, hat keinen großen Wert, ist Makulatur, ist letztlich durch das Recht verschleierte Egozentrik.
Sehnsucht nach Anerkennung und Annahme Im Grunde genommen wissen und spüren wir das auch, dass bei allem selbst gefertigten Erfolg immer auch eine Leere zurückbleibt. Erst durch die freiwillige, ungeschuldete Anerkennung durch einen anderen gewinnt die eigene Person Achtung, kann man Rechtfertigung erfahren, blüht der Mensch auf. Es ist wie der Unterschied, ob man sich eine Rose selbst kauft oder ob man sie geschenkt bekommt. Es ist etwas völlig anderes, ob man sich selbst sagen muss, wie großartig man selbst ist und wie liebenswert, oder ob das einem von jemand anderem gesagt wird. Vielleicht ist der leidenschaftliche Einsatz, sich für sein Recht einzusetzen, daher motiviert, unbedingt anerkannt und ernst genommen werden zu wollen. Niemand möchte übergangen und lieblos behandelt werden. Jeder sehnt sich nach dem verlässlichen Versprechen, um seiner selbst willen und ohne Vorleistungen geliebt zu werden. Man kann förmlich sehen, wie jemand aufblüht, der sich geliebt und anerkannt weiß. Man stelle sich einmal vor, wie frei ein Mensch werden kann, wenn er von der Last erlöst ist, selbst für seine Wertschätzung sorgen zu müssen.
Jesu Anerkennung durch den Vater Ein Beispiel dafür liefert uns das heutige Evangelium von der Taufe Jesu. Jesus bezeichnet sich nicht selbst als Messias und Erlöser, er fertigt nicht sein eigenes Recht, sondern es wird ihm zugesprochen und zwar von einem anderen her. Das Evangelium nennt nur eine Stimme aus dem Himmel, womit jedoch Gott Vater gemeint ist. Von einem anderen her erhält Jesus seine Anerkennung als geliebter Sohn. Jesus wird eine Würde zugesprochen, indem das Gefallen an ihm bekundet wird und er damit seine Bestätigung erfährt: »Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Gefallen gefunden!« Keine Angst zu kurz zu kommen, keine Sorge etwas zu verpassen, keine Befürchtung, sein Recht nicht zu bekommen, bestimmen das Denken, Reden und Handeln Jesu, sondern das Gefühl, unbedingt von seinem Vater geliebt zu werden. Das gibt ihm das rechte Selbstbewusstsein, seine Stärke, seinen Mut und sein Selbstvertrauen, sodass er sein Leben als ein Leben für andere Menschen verstehen und leben kann. Die Erfahrung, getragen und geliebt und von Gott gerechtfertigt zu sein, macht es Jesus schließlich möglich, sein Leben für andere Menschen hinzugeben. Auf die Zusage seines Vaters kann Jesus bauen, sodass er sich nicht mehr selbst um seine Rechtfertigung mühen muss. Er wird frei für den Umgang mit den Menschen seiner Umgebung, für die Armen und Schwachen und auch für die, die sich selbst in ihrer selbst gestrickten Anerkennung und Rechtfertigung verstrickt haben.
Taufe als Zusage Gottes an den Menschen, die frei macht Dieses Vater-Sohn-Verhältnis zwischen Gott und Jesus ist die Grundlage für das Heilshandeln Jesu an den Menschen, das schließlich in der Auferstehung seine letzte Bestätigung findet. Jesus, der Prototyp eines ganz und gar von woanders her gerechtfertigten und anerkannten Menschen, wird zur Proexistenz für uns Menschen. Damit aber nicht genug. Die Zusage, geliebt zu werden, Gefallen gefunden zu haben, gilt nicht nur Jesus in der Taufe am Jordan. Bei jeder Tauffeier auch heute noch wiederholt sich der äußere Ritus des Wasser-Übergießens. Er ist das äußere Zeichen dieser Zusage, dass Gott jeden Menschen liebt, an jedem sein Gefallen hat, dass Gott im Heiligen Geist zu jedem Menschen kommt und ihm zu seinem Lebens-Recht verhilft. Was in der Taufe am Jordan Jesus an Anerkennung und Selbstverständnis zugesagt wurde, das ist jedem Getauften zugesagt und wird ihm immer noch zugesagt. Wir brauchen uns nicht selbst Anerkennung und Recht zu verschaffen, wir können letztlich nicht zu kurz kommen, weil Gott uns liebt. Das ist die Botschaft von der Taufe Jesu an die Menschen. Und das hat Folgen: Wer seine Würde und seinen Selbstwert nicht seiner eigenen Größe, sondern Gottes Größe verdankt, der wird frei, sein Leben mit anderen zu teilen, ohne ständig auf sein Recht zu pochen.
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Philipp Reichling |
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