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Leseprobe 2
Kasualien
Paulus. Ein Drama
Gedenktag: 29. Juni
Wie ich zu meinem Vornamen gekommen bin, dem des Völkerapostels? Aus elterlicher Verlegenheit. Da ich zwei Wochen zu früh geboren wurde, waren meine Eltern mit der Namensfindung noch nicht so weit. Man wusste (damals) auch nicht, ob ein Mädchen oder ein Junge geboren werden würde. Nach der raschen Geburt kam von der benachbarten Schwester meines Vaters der Vorschlag wie gerufen: »Nennt ihn doch nach dem Patenonkel ›Paul‹.« Gesagt, getan. Im Stammbaum der Familie, der geschlossen bis 1648 zurückreicht – meine Mutter hat denselben Geburtsnamen wie mein Vater –, gibt es häufig den Peter, den Paul nur bei meinem Patenonkel. Selten war später jemand in der Schule oder im Studium mit diesem Vornamen anzutreffen. Das hat sich erst in den letzten Jahren erfreulich geändert, so dass ich mich mitunter verwundert umdrehe, wenn ein Kind Paul gerufen wird. Was für mich noch ein Vorteil war: Der Name konnte nicht verkürzt werden wie oft üblich.

Wann und wie bin ich meinem Vornamen Paul auf die Spur gekommen? Natürlich im Raum der Kirche, in den Lesungen von Paulus. Irgendwann gab mir der Religionslehrer und ND-Kaplan den Tipp: Lies doch mal die Apostelgeschichte und die Paulusbriefe! Das habe ich getan, von Anfang bis Ende. Da traf ich auf ihn, der sich selbst als »Missgeburt« (1 Kor 15,8) bezeichnet, der ein zornglühender Verteidiger des Alten war, verblendet im Verfolgerwahn, – und dann ein überführter Fanatiker, erblindet, geblendet vom Neuen, am Boden liegend, wie ein Kind an der Hand geführt – und eine neue Blickrichtung bekommt. Gerade erst getauft verkündet er in Damaskus sofort Jesus in den Synagogen, verfolgt von den verwirrten Juden, für die eilige Flucht unterstützt von Christen, indem man ihn bei Nacht in einem Korb die Stadtmauer hinablässt (Apg 9,25; Gal 1). Es folgt die dreijährige Wüstenzeit, dann die Rückkehr nach Damaskus. Von Barnabas, einem aufmerksamen und umsichtigen Hirten, wird er in Jerusalem in die Ur-Gemeinde eingeführt. Und dann geht es los in die Weite. Auf unendlich langen Wegen mit Verfolgungen und Misshandlungen wird er zum Glück gehört, erhört und unterstützt von Menschen, die Christen werden, und gründet so Horchposten für das Evangelium, Gemeinden, denen er Briefe schreibt. Dass er schließlich in Rom landet, war nicht vorgesehen. Spanien war ursprünglich sein Ziel, das (damalige) Ende der Welt. Ein »Eiferer für Gott« (Apg 22,3), vorher und nachher, er weicht dem gewaltsamen Tod nicht aus.

Oft wird gesagt, er sei vom Saulus zum Paulus geworden. Das ist eine Fehldeutung. In der Apostelgeschichte (13,9) wird sein hebräischer Namen Saul(us) neben dem griechisch-römischen Paulus, »der Geringe« genannt. Von Apg 7,58 bis 13,9 wird er nur Saulus genannt, von 13,13 an, mit dem Beginn der ersten Missionsreise, nur noch Paulus, außer rückblickend in 22,7; 26,14. Auch ist er nicht vom Pferd, sondern wandernd »zu Boden« gestürzt (Apg 9,4; 22,7; 26,14) – eine Metapher für den Beginn seines Wandlungsweges. Und der wird wie ein kostbarer Edelstein dreimal durch die Apostelgeschichte weitergereicht, um ihn von unterschiedlichen Seiten betrachten zu können. Für mich war der äußere Weg des Heidenapostels oder Völkermissionars eine Erkundung seiner Welt. Was hat seine Wandlung ermöglicht? Der Sturz zu Boden ist auch ein Bild der Überwältigung des Paulus. Als ich nach Wochen der biblischen Lektüre damals auf Röm 11,33–36 stieß, kam ich in Atemnot. War das der Schlüssel? Die Verse schließen die Kapitel 9 bis 11 im Römerbrief ab, in denen Paulus sich mit der Frage abmüht, wieso seine früheren Glaubensgeschwister, die Juden, nicht zum Glauben an Jesus Christus gefunden haben. Mit der Antwort macht er es sich nicht leicht. Eine letzte Lösung findet er nicht. Am Ende leiht er sich Worte aus dem Alten Testament, eine Blütenlese aus den Büchern Jesaja, Ijob und den Psalmen: »O Tiefe des Reichtums, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes!« In ihnen spiegelt sich die Erfahrung Gottes wider: ER ist weit über unser Denken hinaus, er ist größer, er ist unverfügbar, er ist unfassbar in seiner Größe und in seiner Zuwendung zu den Menschen. Und wir – wir können nur mit den armen Worten dieser Erde von ihm sprechen. »Reichtum, Weisheit, Erkenntnis« – heute füllen sich diese Worte anders. Paulus beginnt immer wieder mit dem nicht auslotbaren Abgrund des göttlichen Geheimnisses: »Aus seinem Reichtum beschenkt er alle, die ihn anrufen.« (Röm 10,12) »Das Geheimnis der verborgenen Weisheit Gottes …: was kein Auge geschaut und kein Ohr gehört hat, was in keines Menschen Herz gedrungen ist, was Gott denen bereitet hat, die ihn lieben.« (1 Kor 2,8f.) Seine Weisheit geht über alles menschliche Vorstellungsvermögen hinaus. Seine Weisheit ist in Jesus Christus, den er zum Gegenbild menschlicher Gewalt und Selbsterhöhung gemacht hat, sichtbar im Kreuz. Niemand hat Gott und seine Pläne verstanden. Paulus steht mit Staunen vor der überwältigenden Wirklichkeit Gottes und versucht immer neue Worte. Und dann fasst er zusammen: »Denn aus ihm und durch ihn und auf ihn hin ist die ganze Schöpfung. Ihm sei die Ehre in Ewigkeit. Amen!« (Röm 11,36) So ist es für Paulus: »Nichts gibt es, was sich nicht Gott verdankt, was nicht auf ihn verweist, was nicht auf ihn zugeht und in ihm mündet.« (Heinrich Schlier)

Der Blick vom Boden her, von unten her führt Paulus immer neu in das sprachlose Staunen vor der Wirklichkeit Gottes. Das steht für ihn am Ende eines gedanklichen Kraftaktes über drei Kapitel hin. Für den Glauben und seine Lebenskraft ist Denkfaulheit tödlich. Immer wieder hat Paulus den Glauben denkend durchdrungen und den Aufbruch gewagt, den Ruf »Komm herüber« (Apg 16,9) beherzigt. In immer neuen Zusammenhängen hat er diesen unverfügbaren Gott verkündet.

Vor vielen Jahren bekam ich eine Paulus-Karte geschickt – ein Detail aus dem Tympanon des Westportals der Kathedrale von Conques am Jakobsweg, entstanden in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts.1 Da ist Paulus im Paradies des himmlischen Jerusalem zu sehen, unter einem Bogen neben Abraham, dem »Vater des Glaubens«. Er gehört zum Volk der Erwählten – mit seiner Doppelgeschichte. Nicht mehr wie sonst zumeist trägt er das Schwert des Wortes, sondern die Siegespalme (vgl. Offb 7,9) über der rechten Schulter. Sein Gesicht: still vor Staunen, als ob ihm die Augen übergehen von der überwältigenden Größe Gottes. Und sein Mund: entspannt und geschlossen. Kein Wort ist mehr nötig. Vollendung.

Dankbar bin ich für die Namensgebung. Gerne trage ich den Namen und feiere den Gedenktag voll Hoffnung.

Anmerkungen:
1 https://www.tourisme-conques.fr/de/de-conques/tympanon#de-un-tympan-didactique-et-polychrome

Paul Deselaers

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