archivierte Ausgabe 5/2023 |
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Die Schriftleitung |
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Leseprobe 1 |
19. Sonntag im Jahreskreis |
I. Bewährungsprobe unseres Glaubens |
(Mt 14,22–33) |
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Statio
Urlauber an der See kennen die sturmbedrohte Überfahrt zur Insel mit der Fähre; Wandernde in den Bergen wissen um das herausfordernde Überwinden des Bergpasses; Pilgernde kennen das »Dazwischen« zwischen Aufbruch und Ankunft; das Leben zwischen »nicht mehr« und »noch nicht« ist vielen von uns vertraut: persönlich, kirchlich, gesellschaftlich. Wie ängstlich, mutig oder vertrauensvoll wir in den Übergängen leben, zeigt sich immer neu und anders. Bitten wir zu Beginn des Gottesdienstes im Kyrie-Lied, dass wir in den Übergängen des Lebens auf das Weggeleit Gottes vertrauen können.
Geschichte, Teil 1
Eine Geschichte zu Beginn: Ein achtjähriger Junge fällt beim Spielen in einen tiefen Schacht, der keine sechzig Zentimeter breit ist. Verwirrung, Panik, Menschen, die hin und her rennen. Geschrei, Rufen, dass dies getan werden müsse oder dies und wieder das. Männer kommen mit Leitern, Schaufeln und Stricken. Sie horchen in den Schacht, ob das Kind noch lebt. Einer will einen Bagger holen, um direkt neben dem Schacht einen neuen Schacht zu graben. Das sei die einzige Möglichkeit, das Kind noch zu retten, sagt er.
Die einzigen, die bei all diesem Geschrei und Gerenne ruhig bleiben, sind die Eltern des Jungen. Als sie zum Schacht kommen, wird es still. Jeder sieht, wie der Vater sich über die Öffnung beugt. Im selben Augenblick ertönt aus dem Schacht ein herzzerreißendes Geschrei …
Angst in unserem (Glaubens-)Leben
Hier unterbreche ich die Geschichte zunächst. Ich denke, jeder von uns kann gut nachempfinden, welche großen Ängste der kleine Junge in dem Schacht auszustehen hat. Solche Angst-Momente, Schreck-Sekunden kennen Sie und ich aus eigenem Erleben: wenn Beziehungen zerbrechen, wenn wir ausgenutzt und links liegen gelassen werden, wenn Krankheit und Tod plötzlich in unser Leben einbrechen – all das kann uns den Boden regelrecht unter den Füßen wegziehen und in einen Abgrund der Verzweiflung und der Hoffnungslosigkeit stürzen. Auch unser Glaubensleben wird von Schicksalsschlägen immer wieder erschüttert: Manchmal fühlen wir uns stark im Glauben, gefestigt durch positive Erlebnisse, voll Freude über die Erfahrung der Nähe Gottes. Doch dann geraten wir in die Dunkelheit schwieriger Situationen. Wir verlieren den Halt. Alles wankt und schwankt. Gottes Nähe scheint ganz fern.
Die Angst der Jünger
Das Evangelium berichtet, dass auch den Jüngern eine Glaubenskrise nicht erspart bleibt. Es beginnt mit einer herben Maßnahme von Jesus: Eben noch haben die Jünger die Speisung der Fünftausend miterlebt. Was wäre da naheliegender, als diesen »Triumph« ihres Meisters auszukosten? Sich in seinem »Erfolg« zu sonnen? Jesus aber sieht es anders. Es geht ihm nicht um weltlichen Erfolg. Er muss wohl gespürt haben, so berichtet der Evangelist Johannes, dass die Leute ihn nach der Brotvermehrung zu ihrem König machen wollten: Endlich einer, der allen Brot gibt. Er soll unser Anführer sein. Aber nicht dazu ist Jesus gekommen. Sein Auftrag ist es nicht, ein neues Reich auf Erden aufzurichten. Sein Reich ist anderer Art. Er nennt es »das Himmelreich«. Es bricht dort an, wo Menschen mit Gott versöhnt sind. Es ist das Reich des Glaubens, des Vertrauens auf Gottes »Herrschaft«.
Das haben seine Jünger noch zu wenig verstanden. Darum schickt Jesus sie nicht nur heim ans andere Ufer, sondern auch in eine Glaubensprobe, hinaus auf den See, in die Nacht hinein. Er selber bleibt allein zurück, um die Leute zu verabschieden und in der Stille der Nacht zu beten. Diese Nacht aber wird für die Jünger zu einer entscheidenden, unvergesslichen Erfahrung. Ein starkes »Seebeben« (griechisch seismos) ist der Grund, warum die Jünger hart gegen den Wind rudern müssen, weit auf den See Gennesaret hinaus. Sie kommen nur mühsam und langsam voran in ihrem von den Wellen »bedrängten« Boot. Jesus aber scheint weit weg. Er kommt erst »in der vierten Nachtwache« (Mt 14,25) über den See auf sie zu. Warum so spät? Es beginnt schon der Morgen zu grauen. Warum hat er sie die ganze Nacht in ihrer Not allein gelassen? Von dem Berg, wo er sich zurückzog, sieht man weither über den ganzen See. Hat er etwa weggeschaut, als sie in Seenot geraten sind? Hat es ihn nicht bekümmert, dass sie so sehr in Bedrängnis waren?
Die Jünger sehen, wie eine Gestalt über das Wasser auf sie zukommt. Sie erfasst schiere Panik, und sie schreien vor Angst. Erst als das unbekannte Wesen sie anspricht, da erkennen sie, dass es nicht ein »Gespenst« ist, da hören sie vielmehr die vertraute Stimme Jesu: »Habt Vertrauen, ich bin es; fürchtet euch nicht!« (Mt 14,27)
Die Todesangst des Petrus
Petrus nimmt Jesus beim Wort und seinen ganzen Mut zusammen. Es ist sein erster »Soloauftritt« im Matthäusevangelium – und dann gleich einer ohne Boden unter den Füßen. Das einzige, was ihn trägt, ist das Wort Jesu. Petrus geht diesem »Komm!« (Mt 14,29) beherzt entgegen. Als er schon fast da ist, sieht er plötzlich die Gefahr und den Wahnsinn der Situation. Darin geht er unter. Sein anfängliches Vertrauen wird von den Wellen weggespült. Was bleibt, ist der Ruf: »Herr, rette mich!« (Mt 14,30) – die Anrufung dessen, was der hebräische Name »Jesus« bedeutet: »Gott ist Hilfe«. Das genügt. Mehr braucht der Glaube, der im Zweifel unterzugehen droht, nicht zu tun.
Petrus erlebt das durch die Hand Jesu. Durch seine Zweifel hindurch wird er gerettet. Dennoch nennt Jesus ihn einen »Kleingläubigen« (Mt 14,31). Schon vorher bekommen das auch andere zu hören (vgl. Mt 6,30). Dieser Kleinglaube ist der Glaube der Jünger. Er ist Glaube, weil er glauben will. Er ist Kleinglaube, weil er sich an der Menschlichkeit der Menschen bricht. Dieser Glaube wird von Jesus provoziert und kritisiert, aber auch gehalten und gestärkt.
Jesus hält uns
Das heutige Evangelium zeigt mir gerade in den hoffnungslosen Situationen meines Lebens einen Ausweg auf. Es sagt mir: Mitten im Chaos wartet eine Hand auf dich, die dich auffängt. Mitten in der größten Hoffnungslosigkeit und Verlassenheit gibt es einen, der für dich da ist und der mit dir gehen möchte. Es zeigt mir: Jesus hält dich auch in den Stunden, in denen du dich ganz von ihm verlassen fühlst. Er bewahrt dich zwar nicht vor den Stürmen, er bewahrt dich aber in den Stürmen. Er greift nicht sofort ein, um dir die Arbeit abzunehmen. Er lässt dich erst einmal selber »rudern«, damit du dadurch wächst.
Geschichte, Teil 2
Hören Sie jetzt noch, wie die Geschichte vom Anfang zu Ende geht: Der Vater kommt an die Unglücksstelle. Im selben Augenblick ertönt aus dem Schacht ein herzzerreißendes Geschrei: Sein Sohn lebt also noch, aber weil der Vater sich über den Schacht beugt, wird es dunkel im Loch, so dass der Junge noch mehr in Angst und Panik gerät.
Da sagt der Vater: »Keine Angst. Wenn es dunkel wird, bin ich es«! Das Geschrei verstummt, und sorgfältig gibt der Vater seinem Sohn Anweisungen, was er zu tun und zu lassen habe. Er lässt ein langes Seil hinunter, erklärt seinem Sohn, wie er es unter seinen Achseln befestigen soll und beginnt dann behutsam zu ziehen. Wenig später ist der Junge gerettet! Keinen Augenblick Angst hat er mehr gehabt, auch nicht, wenn es noch einmal dunkel wurde im Schacht. Jedes Mal, wenn das passierte, dachte er an das, was sein Vater gesagt hatte: Wenn es dunkel wird, bin ich es!
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Peter Seul |
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pastoral.de
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