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Die Schriftleitung
Leseprobe 1
Verkündigung des Herrn
Andere Umstände (Lk 1,26–38)
Statio

»Gott übersteigt uns unendlich, er ist immer eine Überraschung, und nicht wir bestimmen, unter welchen geschichtlichen Umständen wir auf ihn treffen, denn Zeit und Ort sowie Art und Weise der Begegnung hängen nicht von uns ab. Wer es ganz klar und deutlich haben will, beabsichtigt, die Transzendenz Gottes zu beherrschen.« Diese Worte von Papst Franziskus aus dem Schreiben Gaudete et exsultate (Nr. 41) können wir wie eine Überschrift über dem heutigen »Hochfest der Verkündigung des Herrn« lesen. Lassen wir uns von der Botschaft des heutigen Tages anrühren und bitten wir darum: dass wir wie Maria aus Nazaret offen sind für das Unvorhersehbare, das unsere kühnsten Träume weit übersteigt.

Siegfried Kleymann


Schwangerschaftstest
Zum heutigen Fest gibt es ein interessantes Bild. Es zeigt im Stile klassischer Malerei die Gottesmutter Maria. Sie lehnt sich in die Ecke einer holzgetäfelten Wand. Man erkennt sie schnell an ihrer traditionellen Erscheinung: lange Gewänder, ein blauer Schleier, lange Haare. Überraschend ist die Geste. Eine Hand hält sie vor Überraschung vor den Mund, die Augen dazu weit aufgerissen. Die zweite Hand hält den Auslöser für die Überraschung: einen Schwangerschaftstest – und dieser ist offenbar überraschenderweise positiv. Im Jahr 2011 druckte die anglikanische Gemeinde St. Matthew in Neuseeland dieses Bild auf eine Plakatwand und löste damit Kontroversen aus. Vielen war das Bild zu menschlich oder banal, anderen schlichtweg blasphemisch. Man kann den Ärger nachvollziehen. Ein Engel, eine Botschaft vom Allerhöchsten selbst ist schon deutlich spiritueller als ein Schwangerschaftstest. Trotzdem fangen das skurrile Bild und auch manche unserer Synonyme für »Schwangerschaft« ein, was das Evangelium nur am Rande beschreibt.

In froher Erwartung
In dem Moment, als Maria der Engel erscheint, erschrickt sie. Gerade dieses Erschrecken zeigt das erwähnte Bild mehr als deutlich. Es wird nicht gesagt, dass Maria Angst gehabt hätte – sie erschrak nur. So als ob sie aus ihrer Routine aufgeschreckt worden wäre. Ein Gefühl, das werdende Eltern kennen. Viele Paare wünschen sich Kinder und hoffen auf eine Schwangerschaft. Für andere kommt sie überraschend, womöglich sogar ungeplant. In jedem Fall bedeutet die Botschaft »Ihr werdet ein Kind bekommen«, dass die bisherige Routine ein Ende finden wird. Schwangerschaft, Geburt und das Leben mit einem Kind sehen anders aus als das Leben zweier Erwachsenen allein. Auch hier geht es nicht um Angst, aber vielleicht um ein spontanes Überfordert- und Sprachlossein. Da sitzt man dann schon mal da und macht große Augen, bis der Verstand wieder einsetzt und die Freude durchbricht. Das Evangelium zeigt ziemlich deutlich, dass es Maria nicht anders gegangen ist. Nicht nur das erste Erschrecken und Überlegen, sondern auch ihre Nachfragen zeigen, dass die große, neue Botschaft erst einmal sacken muss. Es wird noch ein bisschen Zeit brauchen, bis Maria zu Elisabet geht und beide ihre Freude teilen. Dann passt auch wieder der Ausdruck »in froher Erwartung« sein.

In guter Hoffnung
Die Hand vor dem Mund auf dem Bild führt aber auch zu einem weiteren Detail des Evangeliums. Maria überlegte, was dieser Gruß zu bedeuten habe. Die Gedanken ziehen immer weitere Kreise, immer neue Eventualitäten tauchen auf – und überhaupt: Was wäre, wenn …? Dass man angesichts von zu erwartendem Nachwuchs auch ins Nachdenken und Grübeln kommt, kennen viele Eltern. Junge oder Mädchen? Welcher Name? Wird alles gut gehen? Werden wir gute Eltern – und vor allem: was heißt »gute Eltern«? Ich kann mir nicht ausmalen, welche Fragen Maria durch den Kopf gingen. Das Evangelium überliefert immerhin eine Frage, die sie laut stellt. Aber diese große Frage nach dem »wie?« gibt Einblick in ihre Ratlosigkeit und Unsicherheit. Am Ende spricht sie dann aber doch die große Zustimmung: »Mir geschehe, wie du es gesagt hast.« Das ist das Großartige an Maria, das Positive, das nach vorne Gerichtete. Ein Ausdruck für die Schwangerschaft heißt »in guter Hoffnung sein«. Trotz aller Fragen, Unsicherheiten und vielleicht auch Zukunftsängste nie die Hoffnung verlieren. Das neue Leben hat mit Gott begonnen, und mit seiner Hilfe wird es gut werden. Wie, wann und mit welchen Problemen, das wird sich zeigen – genauso wie sie auch zu ihrer Zeit gelöst werden.

In anderen Umständen
Ein dritter Ausdruck für Schwangerschaft lautet »in anderen Umständen sein«. Ein Umstand kann zum einen etwas Wichtiges und Ausschlaggebendes sein, eben ein wesentlicher Umstand. Ein Umstand kann aber auch schlichtweg umständlich, also schwierig oder anstrengend sein. Für eine Schwangerschaft können beide Aspekte passen. In jedem Fall wird nach einem anfänglichen Überraschtsein und den vielen Fragen, die sich einem stellen, mit der Zeit eines deutlich: Hier zeigt sich eine andere Facette von Dasein, hier zeigt sich etwas, das über menschliches Vermögen hinausgeht. Auch für die Geburt selbst benutzt man gerne ein religiöses Wort, wenn man vom »Wunder der Geburt« spricht. Beim Taufgespräch erzählen Eltern immer wieder, dass die Zeit der Schwangerschaft für sie eine durchaus spirituelle Zeit war. Gerade Eltern, die es gewohnt sind anzupacken, zu arbeiten, selbst kreativ zu sein und einfach »Macher« sind, erleben plötzlich, wie ein anderer in ihrem Leben kreativ wird. Schwanger zu werden hängt nicht nur vom eigenen Wollen ab. Ein Kind, das neun Monate heranwächst, sich allmählich entwickelt, im Ultraschall sichtbar wird, im Bauch tritt …: Das kann man nicht selbst »machen«. Zu erleben, dass ein anderer lenkt, erschafft, wachsen lässt und wir lediglich etwas dazu beitragen können, ist für viele eine neue Dimension der Wahrnehmung. Das sind dann tatsächlich andere Umstände, wenn man lernt, wie groß, zerbrechlich und wunderbar das Leben ist, und wie groß dann erst der Gott des Lebens sein muss, der all dies hält und begleitet.

Nähe

Neben der negativen Reaktion auf das ungewöhnliche Marienbild der Kirche St. Matthew in Neuseeland gab es natürlich auch positive. Die klassischen Darstellungen der Verkündigung an Maria zeigen neben Maria selbst meist den Engel und eine schöne Gartenlandschaft oder ein gemütliches Zimmer. Der Heilige Geist als Taube oder Strahlen, die auf Maria fallen, verdeutlichen noch mehr die Transzendenz des Geschehens. In der modernen Darstellung fanden Menschen Anhaltspunkte für den Menschen Maria, für ihre Fragen und Überraschung, genauso wie für die Freude, die uns später das Magnifikat erzählen wird. All das, von der Freude über die Unsicherheit bis hin zum Staunen über das Wunder des Lebens, ist für das eigene Erleben vieler Menschen mehr als nachvollziehbar. Maria wurde so zur einer Identifikationsfigur, zu einer, mit der man mitfühlen kann, und zu einer, die sicher auch mit einem selbst mitfühlt. Wenn dieser Sprung gelingt, in Maria einen Menschen zu erkennen, der große Nähe zu meinem Leben hat und dessen Nähe man gleichzeitig sucht, dann ist die Nähe zu Gott auch nicht fern.

Thomas Neuberger

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