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Die Schriftleitung
Leseprobe 1
25. Sonntag im Jahreskreis
I. Erste und Letzte (Mk 9,30–37)
Ein Platz an der Sonne

Der Slogan »Ein Platz an der Sonne« der Fernsehlotterie ist vielen bekannt. Wahrscheinlich wissen nur wenige, dass der Satz zurückzuführen ist auf Bernhard von Bülow, der Ende des neunzehnten Jahrhunderts in einer Reichstagsdebatte über die Kolonialpolitik sagte: »Wir wollen niemanden in den Schatten stellen, aber wir verlangen auch unseren Platz an der Sonne.«

Das Streben nach einem guten Platz im Leben ist sicher so alt wie die Menschheit. Niemand möchte im Schatten leben, sondern im Sonnenlicht, wo er sich entfalten kann. Die Fernsehlotterie setzt sich für Menschen ein, denen leider zu oft ein Platz an der Sonne verwehrt wird.

Es gehört zum Menschen, nach einem sicheren Platz im Leben zu streben. Dieser Wunsch ist nicht verwerf lich. Von einer buckligen Demut ist auch unter Christen nichts zu halten. Wer ein Streben nach den letzten Plätzen in der Gesellschaft fordert, ist weltfremd.

In jeder menschlichen Gesellschaft gibt es Strukturen, ein oben und ein unten, Menschen, die leiten, und Menschen, die geleitet werden. Selbst die Demokratie, übersetzt »Herrschaft des Volkes«, kann nicht auf Ämter verzichten.

Das Streben der Jünger

Auch die Jünger waren nicht frei von Geltungsstreben. Unterwegs hatten sie darüber gesprochen, wer von ihnen der Größte sei. Als Jesus sie danach fragte, schwiegen sie. Wer gibt solche Gedanken schon gerne zu?

Doch Jesus, der ihren Gesprächsinhalt erahnte, tadelt sie nicht. Er weiß, wie wir Menschen sind. Das Streben nach oben gehört zu unserem Wesen. Jesus lässt das menschliche Streben nach den ersten Plätzen gelten, füllt es aber mit neuem Inhalt: Wer allen dient, der ist in seinen Augen der Größte und Erste. Für ihn ist unten oben, Letzte sind Erste.

Es ist nicht nötig, die Gesellschaftsordnung auf den Kopf zu stellen. Jesus verändert nicht die Positionen der Menschen, sondern ihre Haltung. Ganz gleich, wo einer steht und welche Funktionen er innehat, er ist nur immer dann wirklich groß, wenn er dient, auch durch sein Amt. Selbst der Papst als Oberhaupt der Kirche nennt sich »servus servorum«, Diener der Diener.

Jesus selbst hat diese Haltung vorgelebt. Er war der Erste und Größte, und war doch der Diener aller, der am Kreuz den letzten Platz eingenommen hat. Darum ist seine Erniedrigung auch die größte Erhöhung.

Dienen

Wer sich als Christ verwirklichen will, dem ist ein Platz an der Sonne wichtig, allerdings nicht nur für sich allein, sondern für alle. Christian Morgenstern schreibt in einem seiner bekannten Lieder: »Allen Bruder sein, allen helfen, dienen, ist seit Er erschienen, Ziel allein.«

Heute ist Caritassonntag. Wir werden daran erinnert, wie wichtig die Nächstenliebe für uns Christen ist. In diesem Jahr lautet die Kampagne der Caritas: »Stadt – Land – Zukunft. Hilf mit, den Wandel zu gestalten.« Es geht um den demografischen Wandel, seine Folgen und Auswirkungen.

Die Zahl der Menschen in unserem Land nimmt durch Geburtenrückgang ab, die Bevölkerung wird älter und bunter. Es gibt immer mehr alte und pf legebedürftige Menschen, denen zu wenig Pf legende aus der jüngeren Generation gegenüberstehen. Hinzu kommt die Zuwanderung von Menschen aus fremden Ländern und Kulturen, die bei uns eine Bleibe suchen. Da sind Probleme vorprogrammiert. Sicher ist die Politik gefordert, sich dieser Aufgabe zu stellen. Vor allem aber sind wir Christen aufgerufen, nach Lösungen zu suchen. Wir können die Alten und Kranken nicht einfach sich selbst überlassen und Heimatlose fortschicken. »Not sehen und handeln« bedeutet auch, Fantasie zu entwickeln, wie wir den gesellschaftlichen Wandel gestalten können. In vielen Regionen verlassen Menschen das Land und ziehen in die Städte. Hier genügt es nicht, die Landf lucht zu beklagen, man muss auch Bedingungen schaffen, die ein Leben auf dem Lande attraktiv machen durch eine Verbesserung der Infrastruktur. Dazu gehören Stärkung des öffentlichen Nahverkehrs, ortsnahe ärztliche Versorgung, Einkaufsmöglichkeiten und nicht zuletzt eine Seelsorge vor Ort.

Der Caritasverband hat sich zur Aufgabe gesetzt, den demografischen Wandel in unserem Land mitzugestalten. Darum heißt die diesjährige Kampagne »Stadt – Land – Zukunft«. Caritas praktizieren bedeutet dienen. Wer so im Geiste Jesu handelt, zeigt wahre Große, wie das heutige Evangelium deutlich macht.

Die Kleinen

Jesus verweist uns daher besonders auf die Kleinen. Mit ihnen identifiziert er sich. »Wer ein solches Kind in meinem Namen aufnimmt, nimmt mich auf«, sagt er. Am Ende nimmt jeder, der einen Bedürftigen aufnimmt, Gott auf. Nicht nur der sonntägliche Gottesdienst, auch die Caritas, die wir üben, ist eine Weise der Gottbegegnung. Wer Menschen, die im Schatten der menschlichen Gesellschaft leben, einen Platz an der Sonne verschafft, der sorgt auch gut für sich. Er mischt sich unter die Letzten und wird sich am Ende unter den Ersten wiederfinden, denn so sagt Jesus: »Die Letzten werden die Ersten sein« (Mt 19,30).

Ein einziger Buchstabe verwandelt leben in lieben, wie ein Gedicht von Hermann Josef Coenen deutlich macht:

NUR EIN BUCHSTABE

Leben lernen …
Lieben lernen …
Es sieht so aus,
als ob der Unterschied
winzig wäre:
Nur ein einziger
Buchstabe.

(Hermann Josef Coenen, aus: In Ninive und anderswo, Patmos, Düsseldorf 1989, S.36.)

Heinrich Bücker

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