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Die Schriftleitung
Leseprobe 1
Einunddreißigster Sonntag im Jahreskreis – 3. November 2013
II. Gott denkt an mich (Lk 19,1–10)

Zielsatz: Der Hörer soll erfahren, dass Gott leidenschaftliche Sehnsucht nach jedem Menschen hat.


Entscheidende Augenblicke

Es gibt Augenblicke, die können ein ganzes Leben verändern oder zumindest entscheidende Weichen stellen.

Wir sprechen gerne von der »Liebe auf den ersten Blick«. Wenn ich mich zu einem Menschen von Anfang an hingezogen fühle. Es zu Knistern beginnt und in Sekundenbruchteilen Gefühle aufbrechen, die ich so nicht für möglich gehalten hätte.

Oder eine ganz andere Weichenstellung: die Diagnose einer lebensbedrohlichen Krankheit. Wenn ich mit dieser niederdrückenden Botschaft zurechtkommen muss, ohne dass ich weiß, wie und ob überhaupt mein Leben weitergeht. Es gibt wohl in jedem Leben Momente, die mein Leben in einem Augenblick so verändern können, so dass ich die Welt plötzlich mit ganz anderen Augen sehe – in jeder Hinsicht.

Zachäus

Zachäus hat in seinem Leben kaum Augenblicke der Sympathie und Zuneigung kennen gelernt. Im Gegenteil: Er spürt nur den Hass und die Abneigung, die ihm entgegenschlagen, wenn man einen großen Bogen um ihn macht. Materiell mangelt es ihm an nichts. Als Oberzöllner verlangt er mehr als ihm zusteht. Aber es fehlt ihm Entscheidendes: Liebe, Freundschaft und Zuneigung. Die kostbaren Augenblicke, auf die niemand in seinem Leben verzichten kann. Als er hört, dass Jesus in die Stadt kommt, ist er mit einem Mal voller Sehnsucht. Es treibt ihn bis hinauf in die Wipfel der Bäume, nur um einen Blick auf diesen Mann zu erhaschen.

Ähnliche Gefühlslage

Hin und wieder ist mir seine Gefühlslage gar nicht so fremd. Wenn es mir ähnlich geht wie ihm und ich auch nicht unbedingt gerade auf einer Sympathiewelle schwimme, weil ich Probleme mit meinen Mitmenschen habe. Und mit dem unterschwelligen Gefühl lebe: Ich werde zurückgesetzt und komme nicht zum Zug, ich bin nur eine Randfigur. Es fehlt mir Entscheidendes in meinem Leben. Gerade dann kann ich vielleicht besser verstehen, was Zachäus erlebt hat. Nämlich eine Begegnung, die tatsächlich sein Leben verändert – von einem Augenblick zum anderen.

Jesus nimmt Zachäus in den Blick


Jesus bleibt auf seinem Weg durch die Stadt genau unter dem Baum stehen, auf dem Zachäus sitzt und schaut auf zu ihm. Jesus nimmt ihn in den Blick. Ein ganz neues Gefühl für Zachäus. Wo sonst die Menschen auf ihn herabblicken, ihn beschimpfen oder sogar vor ihm ausspucken, bekommt er Ansehen und Beachtung geschenkt. Voll Liebe, voll Wärme ruft ihm Jesus zu: »Zachäus, komm schnell herunter. Denn ich muss in deinem Haus zu Gast sein!« Ein geradezu durch-dringender Ruf. Er hört seinen Namen mit einem Mal ganz anders: Nicht mit Hass und Verachtung, sondern wie aus dem Munde eines Freundes. So als wollte Jesus zu ihm sagen. »Was machst du denn da oben, komm herunter, wir haben keine Zeit zu verlieren. Es gibt so viel Wichtiges zu bereden!« Jesus lässt Zachäus aufhorchen. Mit einem Mal steht er im Mittelpunkt. Und in diesem Augenblick holt ihn seine Geschichte ein. Was wird alles auf ihn zukommen? Wie wird Jesus mit ihm umgehen?

Ein Augenblick von Unsicherheit und Scham

Von einem ähnlichen Augenblick der Unsicherheit und Scham erzählt der indische Freiheitskämpfer Mahatma Gandhi aus einem Leben: »Ich war 15 Jahre, als ich einen Diebstahl beging. Weil ich Schulden hatte, stahl ich meinem Vater ein goldenes Armband, um die Schuld zu bezahlen. Aber ich konnte die Last meiner Schuld nicht ertragen. Als ich vor ihm stand, brachte ich vor Scham nicht den Mund auf. Ich schrieb also mein Bekenntnis nieder. Als ich ihm den Zettel überreichte, zitterte ich am ganzen Körper. Mein Vater las den Zettel, schloss die Augen und dann – zerriss er ihn. ›Es ist gut‹, sagte er noch. Und dann nahm er mich in die Arme. Von da an hatte ich meinen Vater noch viel lieber.«

Gandhi durfte dieses für ihn erlösende Wort seines Vaters hören: »Es ist gut!« Und ich glaube, genau das war es auch, was Zachäus von Jesus hören und spüren durfte. Dass einer ihm sagt: »Es ist gut. Es muss endlich einmal Schluss sein! Es muss Schluss sein mit deinem alten Leben. Und jetzt lass uns nicht in der Vergangenheit wühlen, sondern lass uns nach vorne schauen.« Jesus macht in einem Augenblick Schluss mit allem, was Zachäus bisher erlebt hat. Er macht Schluss mit Abneigung und Hass und er setzt mit Liebe und Zuneigung auf einen neuen Anfang. Und weil Zachäus ein Gespür für diesen Augenblick hat, deswegen kann er einen Schlussstrich unter sein altes Leben setzen. Er will die Hälfte des Vermögens den Armen geben und was er zu viel gefordert hat, erstattet er vierfach zurück.

Liebe verändert

Ein Augenblick im Leben eines Menschen, der alles bei ihm verändert und der ihn verändert. Der Name Zachäus bedeutet: Gott denkt an mich. Und genau das steckt als gute Nachricht in dieser Geschichte. Gott denkt an den Menschen, in jedem Augenblick. Er sucht leidenschaftlich nach denen, die verloren sind. Gerade sie nimmt er in den Blick und kreuzt ihre Wege. Und er will dabei mehr als nur eine f lüchtige Begegnung. Aus Sehnsucht nach den Menschen will er bei ihnen Gast sein. Nicht, um mit ihnen abzurechnen, sondern sie erfahren zu lassen, dass Umkehr und Neuanfang dort möglich sind, wo Liebe und Vergebung die Atmosphäre und die Rahmenbedingungen bestimmen. Was sie in einem Menschen bewirken und auslösen können, dafür steht Zachäus. Was ihm gegeben und geschenkt wird, das gibt er zurück.

Jesus glaubt an den Menschen

Wo die Menschen Zachäus ablehnen und verachten, steuert Jesus dagegen. Und warum? Das bisherige Leben des Zachäus ist eindeutig. Er nimmt die Menschen aus und betrügt sie. Die Gesellschaft hat längst über ihn den Stab gebrochen. Doch Jesus glaubt an den guten Kern, der in jedem Menschen steckt. Auch, wenn er nur schwer zu finden ist. Jesus glaubt, dass er ihn freilegen kann und deshalb braucht jeder eine zweite Chance. Auch Zachäus.

»Ich bin gekommen, um zu suchen und zu retten, was verloren ist!« Dieser Satz passt nicht nur zur Zachäusgeschichte. Er könnte über der gesamten Botschaft dieses Jesus von Nazaret stehen. Ein wirkliches Evangelium für alle, die an den Rand gedrängt werden oder sich selbst ausgegrenzt haben, ohne davon wegzukommen.

Für diejenigen, die um ihr Ansehen kämpfen müssen und tagtäglich erleben, dass auf sie herabgeschaut wird und man von ihnen nichts wissen will. Eine Erinnerung, dass man sehr wohl schuldig werden kann und trotzdem eine zweite Chance verdient hat. Und Ermutigung für alle, die beweisen wollen, dass ein guter Kern in ihnen steckt und sie sich im Grunde nichts mehr wünschen als gut zu sein, geliebt und geachtet zu werden.

Für solche Menschen wie einen Zachäus ist Jesus gekommen, nicht um über ihre Fehler großzügig hinweg zu sehen und sie ungeschehen zu machen, sondern weil er an etwas Gutes im Menschen glaubt. Daran, dass für jeden Reue, Umkehr und Wiedergutmachung möglich ist.

Sein Zuspruch an mich

Manchmal empfinde ich es in meinem Leben ganz ähnlich, so wie es Mahatma Gandhi beschrieben hat und ich es aus der Zachäusgeschichte herauslesen kann: Momente von Schuld, Scham und Sprachlosigkeit.

Dann darf ich mir zurufen lassen: Egal wie mein Leben momentan aussieht, Gott sucht mich mit Sehnsucht und Leidenschaft. Und er findet mich, wohin ich mich auch verlaufe und auf welche Bäume ich mich verstiegen habe. Er hat immer ein gutes Wort für mich übrig, auch wenn ich meine Mitmenschen gerade nicht verstehe und mich von ihnen unverstanden fühle. Gerade dann nimmt er mich ernst, wenn ich mich klein fühle, zurückgesetzt und unbedeutend. Er gibt mir Größe und Ansehen zurück, wenn ich glaube: Ich bin zu kurz gekommen im Leben. Er wird immer auf mich warten, um mich zurückzuholen, auch wenn mir Möglichkeiten versperrt sind, die ich mir selbst oder andere mir verbaut haben. In Zachäus hat diese Zuwendung und Liebe Gottes einen Namen und ein Gesicht bekommen, für jeden Menschen – auch für mich. Denn Zachäus heißt: »Gott denkt an mich« – und er ist gekommen, um zu suchen und zu retten, was verloren ist.

Wo mir manchmal selbst die Worte fehlen, dort kann ich mir Worte anderer leihen, um meine Sehnsucht nach Gott hinauszurufen. Und ich finde sie in einem Lied aus dem Gotteslob, wo es heißt: »Sag ja zu mir, wenn alles nein sagt, weil ich so vieles falsch gemacht. Wenn Menschen nicht verzeihen können, nimm du mich an trotz aller Schuld … Gib mir den Mut mich selbst zu kennen, mach mich bereit zu neuem Tun. Und reiß mich aus den alten Gleisen; ich glaube, Herr dann wird es gut« (GL 165).

Matthias Effhauser

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