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Leseprobe 2
Liedpredigt zum Advent
Spuren des Trostes. Zum Lied »Die Nacht ist vorgedrungen« (GL 111)

Vorbemerkung: In der Reihe Liedpredigt werden in loser Folge Predigten zur Erschließung von Kirchenliedern veröffentlicht. Den adventlichen Anfang macht eine Betrachtung des Liedes »Die Nacht ist vorgedrungen«, das im Gotteslob unter der Nr. 111 veröffentlicht ist. Wenn es im Gottesdienst möglich ist, empfiehlt es sich, den Text vom Kantor vorsingen oder vom Lektor vorlesen zu lassen und ggf. am Ende als Ganzes mit der Gemeinde zu singen.


12. November 1937. Jochen Klepper (1903–1942), Dichter mit einem abgebrochenen Theologiestudium, notiert in seinem Tagebuch: »Ich schrieb ein neues Kirchenlied, wie oft, wenn mir um Trost sehr bange ist« (Jochen Klepper, Unter dem Schatten deiner Flügel. Aus den Tagebüchern der Jahre 1932 bis 1942, Stuttgart 1956/Gießen 22002, 318). Jochen Klepper schreibt Kirchenlieder, um darin Trost zu finden. Er schreibt sie nicht einfach. Er ringt sie seiner eigenen Lebensnot ab. (Vgl. Wolfgang Frühwald, Art. »Klepper, Jochen«, in: LThK3 6 (1997), Sp. 130). Kleppers Lieder entspringen seiner eigenen Suche und Sehnsucht nach Trost, nach einem Trost im Glauben. Sie erzählen von seiner Erfahrung des Glaubens, von einem tiefen Vertrauen, von einer großen Hoffnung. Deshalb vermögen sie noch heute diesen Trost zu verkünden. Und sie ermutigen, in den eigenen, großen wie kleinen Lebensnöten Trost im Glauben zu suchen.

1937 ist Kleppers Lebensnot besonders groß. Weil er mit einer Jüdin verheiratet ist, schließen ihn die Nationalsozialisten aus der Reichsschrifttumskammer aus. Damit steht seine Existenz als Schriftsteller auf dem Spiel. Am 18. Dezember 1937 schreibt Jochen Klepper das Lied »Die Nacht ist vorgedrungen«. In diesem Lied möchte ich heute mit Ihnen Spuren des Trostes nachgehen.

Die Nacht ist vorgedrungen,
der Tag ist nicht mehr fern.
So sei nun Lob gesungen
dem hellen Morgenstern.
Auch wer zur Nacht geweinet,
der stimme froh mit ein.
Der Morgenstern bescheinet
auch deine Angst und Pein.

Dem alle Engel dienen,
wird nun ein Kind und Knecht.
Gott selber ist erschienen
zur Sühne für sein Recht.
Wer schuldig ist auf Erden,
verhüll nicht mehr sein Haupt.
Er soll errettet werden,
wenn er dem Kinde glaubt.

Trost und Hoffnung sind in der ersten Strophe in ein natürliches und vertrautes Bild gekleidet, in das Bild der Morgendämmerung, den Übergang von der Nacht zum Tag, vom Dunkel zum Licht. Ein Punkt tritt in diesem Bild hervor: der Morgenstern. Mit diesem Stern, der am Himmel den nahenden Morgen ankündigt, ist biblisch Jesus Christus gemeint (vgl. Offb 22,16). Er, der Morgenstern, ist die Quelle des Trostes. Denn er bescheint »Angst und Pein« der Menschen. Und das heißt nicht, dass er sie ins Rampenlicht setzt, damit jedermann sie sehen kann. Nein, Jesus Christus nimmt unseren Ängsten und Ungewissheiten ihre Dunkelheit, ihren Schrecken, indem er uns mit ihnen nicht alleine lässt und indem er den vermeintlichen Wichtigkeiten der Menschen ihre ängstigende Macht nimmt. Deshalb ist ihm Lob zu singen.

Die erste Strophe des Liedes legt noch weitere Spuren des Trostes. In den ersten beiden Zeilen zitiert der Dichter den Römerbrief, in dem der Apostel Paulus schreibt: »Die Nacht ist vorgerückt, der Tag ist nahe. Darum lasst uns ablegen die Werke der Finsternis und anlegen die Waffen des Lichts« (Röm 13,12). Die erhellende und erlösende Hoffnung, die wir in Jesus Christus haben, ruft uns zur Veränderung, zur Umkehr, zu einem bewussten Leben. Sie ruft uns dazu, selbst zu Hoffnungsträgerinnen und Hoffnungsträgern zu werden.

Damit sind wir auf der dritten Spur, die Klepper in diese erste Strophe hineingeschrieben hat: »Der Morgenstern bescheinet auch deine Angst und Pein.« Hier schreibt ein Christ, der aus seiner Erfahrung, aus seinem eigenen Erleben anderen Christinnen und Christen seine Hoffnung mitteilt, indem er sie – jede und jeden Einzelnen – direkt anspricht: Es geht um »deine Angst und Pein«.

Aber was wird aus dieser sprachlichen Finesse des Dichters, wenn wir dieses Lied singen? Wen haben wir vor Augen, an wen denken wir, wenn wir dieses »deine« singen? Von wem lassen wir uns in Anspruch nehmen, ihm oder ihr den Trost des Morgensterns zu bezeugen? Was Jochen Klepper schreibt, ist ein tief beeindruckendes Zeugnis. Wenn wir es heute singen, ist es an uns, »jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die (uns) erfüllt« (1 Petr 3,15).

Erst die zweite Strophe des Liedes führt uns hin zum Weihnachtsgeschehen: Es ist, als sängen die Hirten, nachdem sie die Botschaft der Engel gehört hatten: »Dem alle Engel dienen, wird nun ein Kind und Knecht.« Und es ist, als erfassten die Hirten mit einem Mal, was die Geburt Jesu für die Menschheit bedeutet. Sie entdecken eine Spur des Trostes: »Wer schuldig ist auf Erden, verhüll nicht mehr sein Haupt. Er soll errettet werden, wenn er dem Kinde glaubt.« Durch Jesus, das Kind in der Krippe, werden wir den vergebenden Vater kennen lernen. Jesus befreit uns aus den Fallstricken der Schuld, denen wir nicht entgehen können. Es ist tröstlich zu wissen, dass Gott vergibt und uns Rettung, einen neuen Anfang schenkt. Gelingen wird dieser Neuanfang jedoch nur, wenn er getragen ist vom Glauben an das Kind und daran, wie dieses Kind unsere Welt und unsere Wichtigkeiten auf den Kopf stellt.

Die Nacht ist schon im Schwinden,
macht euch zum Stalle auf!
Ihr sollt das Heil dort finden,
das aller Zeiten Lauf
von Anfang an verkündet,
seit eure Schuld geschah.
Nun hat sich euch verbündet,
den Gott selbst ausersah.

Noch manche Nacht wird fallen
auf Menschenleid und -schuld.
Doch wandert nun mit allen
der Stern der Gotteshuld.
Beglänzt von seinem Lichte,
hält euch kein Dunkel mehr.
Von Gottes Angesichte
kam euch die Rettung her.

»Ihr sollt das Heil dort finden, / das aller Zeiten Lauf / von Anfang an verkündet, / seit eure Schuld geschah.« Diese vier Verse stehen genau in der Mitte der dritten Strophe. Sie bilden damit genau die Mitte des Liedes, und dieser Wendepunkt ist auf besondere Weise gestaltet. Während in den anderen Strophen die erste Hälfte jeweils mit einem Punkt endet, fehlt dieser ausgerechnet in der dritten Strophe. Hier dichtet Klepper so, dass der Satz über die übliche Zäsur hinwegreicht. Er macht auf diese Weise deutlich, dass das Heil, das im Stall zu finden ist, alle Zeiten umgreift. Die Geburt des Gottessohnes, für uns Christen der Mittelpunkt der Geschichte, wird zwar zu einem geschichtlichen Datum, doch derart, dass sie eine Heilsbedeutung für alle Zeit hat. Auch dies eine Spur des Trostes: Unser Gestern, unser Heute, unser Morgen – all unsere Zeit ist getragen vom Heil dessen, der sich uns in Jesus Christus verbündet.

»Noch manche Nacht wird fallen / auf Menschenleid und -schuld. / Doch wandert nun mit allen / der Stern der Gotteshuld.« Wenn man sich noch einmal die Situation vor Augen führt, in der Jochen Klepper diese Zeilen schreibt, dann gewinnen sie eine beinah unglaubliche Intensität. Der von den Nationalsozialisten bedrängte Schriftsteller bekennt, dass der Stern der Gotteshuld auch die Menschenschuld begleitet. Ich lese dies als einen Ausdruck von Vergebung, die nicht selbst richtet, sondern die eigene Sache Gott anvertraut, ja die Gott zutiefst vertraut. Einmal mehr eine Spur des Trostes: Anderen Menschen zu vergeben, schenkt Trost. Denn es macht das eigene Leben leichter und heller.

»Gott will im Dunkel wohnen, / und hat es doch erhellt. / Als wollte er belohnen, / so richtet er die Welt.« Diese Verse der fünften Strophe klingen paradox. Doch mir scheint, dass gerade darin zwei weitere Spuren des Trostes auszumachen sind. »Gott will im Dunkel wohnen, / und hat es doch erhellt.« Gott will bei den Armen, den Bedrängten, den Notleidenden, den Schuldigen sein, ja er will in den Dunkelheiten unseres Lebens wohnen. Doch wann immer er dort hinkommt, wird es hell. Denn Gott ist Liebe, und diese Liebe macht das Dunkel hell. Es ist paradox: Gott will ins Dunkel, aber er bringt unweigerlich sein Licht mit. Gottes Liebe wird uns auch entgegentreten, wenn wir dereinst im Tod vor unseren Schöpfer treten. Dann wird er uns richten – voll Güte und Liebe, so, als wollte er die Welt belohnen. So steckt in diesen Versen der Trost der Liebe, mit der Gott uns immer wieder und immer neu begegnet. Darin steckt aber auch der Trost, Gott nicht verstehen zu müssen. Er ist bisweilen paradox, er ist so, dass wir ihn mit unserer menschlichen Logik nicht verstehen.

Jochen Klepper hat Kirchenlieder geschrieben, wenn ihm um Trost sehr bange war. Auf diese Weise hat er in seine Lieder Spuren des Trostes und der Hoffnung hineingeschrieben: Spuren der Umkehr und des Miteinanders, Spuren der Vergebung und des Vergeben-Könnens, Spuren der Zeit und der Ewigkeit, immer und zuallererst Spuren Gottes. Diese Spuren vermögen auch uns zu trösten. Allerdings fordern sie uns auch auf, selbst zu Trösterinnen und Tröstern zu werden, den Nächsten, den Traurigen und Verzweifelten unsere Hoffnung zu bezeugen.

Ein kleines Wort hat in »Die Nacht ist vorgedrungen« übrigens eine besondere Bedeutung. In den ersten vier Strophen taucht jeweils das Wörtchen »nun« auf. Es markiert den Wendepunkt, den die Geburt Jesu in vielerlei Hinsicht bedeutet: Ab jetzt wird’s anders. Das Wörtchen »nun« zeigt aber auch an, dass diese Wende nicht ein für allemal und nur vor langer Zeit geschehen ist. Sie ereignet sich immer neu, immer wieder. Heute. Jetzt.

Gott will im Dunkel wohnen
und hat es doch erhellt.
Als wollte er belohnen,
so richtet er die Welt.
Der sich den Erdkreis baute,
der läßt den Sünder nicht.
Wer hier dem Sohn vertraute,
kommt dort aus dem Gericht.

Stefan Voges

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