archivierte Ausgabe 2/2011 |
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Die Schriftleitung |
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Leseprobe 1 |
Dritter Fastensonntag – 27. März 2011 |
1. Predigtvorschlag I. Wasser auf die Mühlen der Frage nach Gott (Ex 17,3–7) |
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Zielsatz: »Ist der Herr in unserer Mitte oder nicht?« – das ist die entscheidende Frage unserer Tage, unserer Existenz als Christinnen und Christen. Die Predigt lädt dazu ein, der Wucht dieser Gottesfrage nachzuspüren und mit dem Volk Israel, mit Moses und Jesus nach einer eigenen Haltung, vielleicht sogar nach Antwortsplittern zu suchen.
Wüstenfrage in Berlin »Ist der Herr in unserer Mitte oder nicht?« Das ist die Frage. Ich meine sogar, das ist die einzige Frage, an der unser Leben hängt, die erste und die letzte. In Berlin – und auch in anderen großen Metropolen Europas, Sie erinnern sich vielleicht – fuhren im letzten Jahr Busse mit einer besonderen Aufschrift durch die Städte (www.buskampagne.de). Vielleicht fahren sie immer noch, ich weiß es nicht. Auf diesen Bussen war eine Aussage zu lesen, eine Antwort auf diese große, einzige Frage. Sie lautete: »Es gibt (mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit) keinen Gott.« (Der Text auf den Bussen, die durch London fahren, ist vielleicht noch prägnanter: »There’s probably no god. Now stop worrying and enjoy your life.«) Viel ist seitdem von einem »neuen Atheismus« zu lesen. Er ist offensiv und manchmal aggressiv, er ist in seinem öffentlichen Auftreten originell und in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Der neue Atheismus wirbt für seine Position auf Bussen und in Büchern, die nicht in wissenschaftlichen Bibliotheken, sondern auf den Sachbuch-Bestsellerlisten stehen. Und seine Antwort auf die Gottesfrage ist nach wie vor ein Nein. Ein nachdrückliches, altes Nein. Es gibt keinen Gott. Dieser Atheismus bringt die ganz alltägliche Gotteskrise vieler Mitmenschen zum Ausdruck, die davon überzeugt sind, in einer gottlosen Welt, in einer gottlosen Zeit zu leben. »Ist der Herr in unserer Mitte oder nicht?« Diese Frage sollte uns beschäftigen, die wir jetzt zum Gottesdienst versammelt sind. Haben Sie, haben wir mit unserer Entscheidung, heute hier zu sein, schon unsere Antwort auf diese Frage, auf die Wüstenfrage des Volkes Israel gegeben? »Ist der Herr in unserer Mitte oder nicht?«, so fragt das Volk mehr als nur einmal. Das Buch Exodus berichtet von der Flucht der Israeliten durch das Schilfmeer und vom schwierigen, lebensgefährlichen Weg durch die Wüste zum Sinai. Immer wieder gibt es echte Notlagen zu bestehen: Verfolgung durch die übermächtigen Ägypter (Ex 14) – wir werden davon wieder in der Osternacht hören – bitteres Wasser (Ex 15,22–25), kein Brot (Ex 16). Und die Flüchtlinge machen nicht nur Mose, sondern Gott selbst für die Bedrohung und die Not verantwortlich und wünschen sich zu den Fleischtöpfen Ägyptens zurück. Ich meine, dass ihre Frage fast noch radikaler ist als die Antwort des neuen Atheismus auf den Bussen in Berlin. Die Frage des Volkes Israel ist ja nicht: Gibt es Gott? Seine Existenz war für die Menschen des Alten Testamentes unstrittig. Aber: Ist er in unserer Mitte? Steht er zu uns? Will er mit uns zu tun haben? Oder lässt er uns in der Wüste verhungern, verdursten, verrecken? »Ist der Herr in unserer Mitte oder nicht?« – das ist die radikalste Anfrage an uns als Christinnen und Christen. Hier geht es um alles. Wenn Gott nicht in unserer Mitte wäre, weil es ihn nicht gibt, wenn er nicht in unserer Mitte wäre, weil er kein Interesse an uns, an unserem Schicksal hat, sollten wir jetzt nach Hause gehen, Rasen mähen zum Beispiel, oder fernsehen oder frühstücken. Jedenfalls bräuchten wir dann nicht auf Ostern zuzugehen. Ich möchte mit Ihnen gerne dieser radikalen Frage nachspüren. Lassen wir doch diese Frage zu unserer Frage werden.
Zeit zu murren oder: Probe und Streit Aber: Darf man so radikal fragen? Als israelitischer Flüchtling in der Wüste, als Christin am dritten Fastensonntag, als Prediger am Sonntagmorgen? Diese Unsicherheit spiegelt schon der Text der Lesung aus dem Buch Exodus. Der Durchzug durch die Wüste bietet genug Gelegenheiten, die Gottesfrage zu stellen. Und immer wieder ist da der Vorwurf an das Volk Israel: »Ihr provoziert Gott und fordert ihn heraus, ihr stellt ihn auf die Probe. Ihr murrt.« Mose trägt diesen Vorwurf vor in unserer Lesung, ja er nennt den Ort, an dem er auf Gottes Wort hin das Wasser aus dem Felsen geschlagen hat, Massa und Meriba, das heißt Probe und Streit. (Die Experten für das Buch Exodus und seine Textentstehung sagen uns, dass diese Perspektive später als die ursprüngliche Erzählung in den Text eingebracht worden ist, als Ermahnung, als Rüge an das Volk, das Gott eben durch sein mangelndes Vertrauen, durch fehlende Hoffnung auf sein Handeln provoziert. Fest steht jedenfalls:) Die Frage danach, ob Gott in unserer Mitte ist, ist eine Streitfrage. Sie fordert uns, das Volk, heraus und sie fordert Gott heraus. Das Buch Exodus berichtet davon, wie Gott sich provozieren, herausrufen lässt von dieser Frage, von den Notlagen der Israeliten, von der Not seines Volkes. Die Wüstenflüchtlinge hatten Hunger und kein Brot, sie drohten in der Wüste zu sterben. Sie murren – und Gott schickt ihnen Brot vom Himmel, Manna (Ex 16). Nun, in der Lesung, die wir gehört haben, hat das Volk kein Wasser. Die Menschen drohen zu verdursten, mitten in der Wüste, in die sie auf Gottes Wort hin geflohen sind. Und wieder hilft Gott auf Drängen des Mose. Ich glaube, wir dürfen, ja wir müssen rufen und fragen: Gott, bist du in unserer Mitte? In der Fastenzeit, in den Wüstenzeiten unseres Lebens, auch auf der Durststrecke, auf der sich unsere Kirche im Moment befindet. Ja, auch auf die Gefahr hin, dass andere uns vorwerfen, wir würden Gott auf die Probe stellen. Gott lässt sich fragen: Bist du in unserer Mitte oder nicht?
Antwortsplitter Die kurze Lesung aus dem Buch Exodus stellt aber nicht nur die Frage nach Gott – sie erzählt auch von Gottes Handeln. Die Lesung lässt sozusagen Wasser auf die Mühlen unserer Gottesfrage fließen und bringt dabei – hoffentlich – etwas in uns in Bewegung.
1. Wasser und Brot – Gottes Sorge suchen Die Israeliten haben Durst. Es fehlt ihnen an Wasser – an Trinkwasser zum Überleben. Lebensgefährlicher Durst – das ist keine Kleinigkeit. Wem sauberes Wasser zum Überleben fehlt – derzeit geht es auf der Welt mehr als einer Milliarde Menschen so! – der kann schon an Gott zweifeln. Sauberes Wasser braucht jeder und jede, um menschenwürdig zu leben. »Wenn dich ein Durstiger fragt ›Wo ist Gott?‹, dann gib ihm einen Becher Wasser und sag: ›Hier!‹« – das darf man sicher so sagen. Wasserknappheit ist auch eine Aufforderung an uns zu helfen und Wasserträger zu werden, zum Beispiel mit einer wirklich spürbaren Spende zur diesjährigen MISEREOR-Fastenaktion. Aber die Israeliten meinen ja mit ihrer Klage Gott. Sie wenden sich – über Mose – an den, der sie aus Ägypten herausgeführt hat. Suchen wir Gottes Sorge, wenn wir Not haben, Lebensnot? Was fehlt Ihnen an »Wasser«, um lebendig sein zu können, frisch und »innerlich grün«? Wonach haben Sie Durst für Ihr Leben? Und was macht die Durststrecke unserer Gemeinden, unserer Kirche oft so staubig, so trocken? Suchen wir Gottes Sorge gegen diesen Lebensdurst, vertrauen wir darauf, dass er aus Felsen, aus dem, was uns hart und unerbittlich erscheint, Wasser fließen lassen kann? Rufen wir Gott an, beten wir, fragen wir ihn dann: »Herr, bist du jetzt in unserer Mitte oder nicht?« (kurze Stille)
2. Wasserstände – den Zeugen vertrauen »Was streitet ihr mit mir? Warum stellt ihr den Herrn auf die Probe?« (Ex 17,2) Mose ist verzweifelt, nicht zum ersten und nicht zum letzten Mal auf dem Wüstenweg. Das Volk setzt ihm zu, sie schreien ihm ihren Durst entgegen und mit dem Durst ihren Zweifel, ihre Angst, auch ihr Misstrauen und ihre Kleingläubigkeit. »Was soll ich mit diesem Volk anfangen? Es fehlt nur wenig, und sie steinigen mich« (Ex 17,4), so wendet sich Mose vertrauend und drängend zugleich an Gott. Und er hat – das wird ganz offensichtlich – einen besonderen Draht zum Herrn. Mose ist ein starker Gottesmann. Er hat sich getraut, vor den Pharao zu treten und ihm Gottes Parteinahme für die Schwachen und die Unterdrückten entgegenzuhalten und ihm die Plagen für Ägypten anzukündigen. Sein Arm und sein Stab teilen auf Gottes Wort hin das Meer, damit das Volk sich in Sicherheit bringen kann gegen die Verfolger, er schlägt das Wasser gegen den Durst aus dem Felsen. Und immer wieder trägt er Gott die Not des Volkes vor, hält den Unmut der Menschen aus, überbringt Gottes Botschaften, geht voran ins gelobte Land. Mose ist, etwas salopp gesagt, ein Wasserstandsanzeiger für Gottes Lebendigkeit. Und das Volk? Es tobt, es schimpft, es misstraut ihm. Die Israeliten haben sogar die Wurfsteine schon in der Hand … Kennen Sie, kennen wir solche Menschen, alte und junge, die vorangehen auf dem Weg durch die Wüste, auf dem Weg zu Gott? Glaubenszeugen, Kirchenmänner mit und ohne Stab, geistliche Frauen, mit Gott im Gespräch, auf der Suche nach lebendigem Wasser, auch für die anderen, auch für uns? Und wie gehen wir mit ihnen um? Schimpfend, misstrauisch – oder hörend, vertrauend auf ihre Kraft, auf ihren Weitblick, auf ihren Mut und ihr Gottvertrauen, wenn sie uns sagen: »Habt Vertrauen, Gott ist in unserer Mitte«? (kurze Stille)
3. Wasser des Lebens – als getaufte Menschen leben Am Jakobsbrunnen begegnet eine Frau aus Samarien einem Mann. Sie kommen über das Brunnenwasser ins Gespräch und darüber, ob es den großen Durst im Herzen und in der Seele stillen kann. Wir lesen diesen Text heute, während wir auf Ostern zugehen. In der Osternacht, bei der Taufwasserweihe, heißt es an Gottes Adresse: »Du hast das Wasser in Dienst genommen für das Werk deines Erbarmens: Im Roten Meer hast du dein Volk durch das Wasser aus der Knechtschaft Ägyptens befreit, in der Wüste mit Wasser aus dem Felsen seinen Durst gestillt …« Die starken, alten Wassergeschichten aus dem Buch Exodus sollen uns Christinnen und Christen an unsere Taufe erinnern, deshalb sind diese Erzählungen Teil der Taufliturgie: Wie das Volk Israel in der Wüste Wasser gegen den Durst empfängt, so soll das Taufwasser für uns Getaufte lebendiges Wasser, Quelle des Lebens werden. Von diesem besonderen, lebendigen Quellwasser erzählt Jesus in der Begegnung am Jakobsbrunnen auch der lebensdurstigen Samariterin: »Wer von dem Wasser trinkt, das ich ihm geben werde, wird niemals mehr Durst haben; vielmehr wird das Wasser, das ich ihm gebe, in ihm zur sprudelnden Quelle werden, deren Wasser ewiges Leben schenkt.« (Joh 4,14) Jesus verspricht also: Wer mit diesem Wasser in Kontakt kommt, wird frisch gewaschen sein, sauber, klar im Kopf, erfrischt. Lebendig für immer. Gerettet. Und die Frau erkennt dann im weiteren Gespräch mit ihm: »Der Herr ist in unserer Mitte, dieser Jesus ist der, auf den wir gewartet haben, der Messias« (vgl. Joh 4,25.26.29). Bewusst getauft zu leben, frisch gewaschen mit lebendigem Wasser und im Bewusstsein, durch die Taufe mitten in der Begegnung mit Jesus zu stehen, in der Quelle guten Lebens, könnte das eine Fastenübung für die nächsten Tage sein? (kurze Stille)
Fastenfrage »Ist der Herr in unserer Mitte oder nicht?« – diese Frage könnte unsere Fastenfrage, unsere Fastenzeitfrage sein. Wenn wir sie ernst meinen – und nicht zu schnell schon für beantwortet halten – , dann wird sie uns durch Mark und Bein gehen, jeden Tag. Bis zum Karsamstag. An Ostern entscheidet sie dann über alles oder nichts. Für Jesus. Und für uns. Wenn Gott dann mit dem Gekreuzigten und mit uns ist, kann keiner gegen uns sein, nicht einmal der Tod.
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Dominik Blum |
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