archivierte Ausgabe 1/2010 |
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Die Schriftleitung |
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Leseprobe 2 |
Dritter Sonntag | 24. Januar 2010 |
IV. Lesepredigt: Durch die Blume gesagt (1 Kor 12,12–31a) |
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Etwas klar zu sagen und doch nicht verletzend, das ist eine hohe Kunst. Sie hat sich in der Redensart verborgen, etwas durch die Blume zu sagen. In bildlichen Andeutungen kommt etwas zur Sprache, nicht unverblümt. Die Wirkung solcher Worte ist dann eher, dass jemand nicht verletzt ist, sondern beginnt, seinen Platz im Bild zu suchen.
Paulus beherrscht diese Kunst. Klug geht er darin vor. Das Gleichnis vom Leib und den Gliedern war damals bekannt. Paulus hat es nicht erfunden, wohl aufgegriffen. Allerdings ist die Anwendung auf die Gemeinde Jesu, auf die Kirche, umso erstaunlicher. Darin setzt er einen besonderen Akzent, der nachdenklich macht: »… gerade die schwächer scheinenden Glieder des Leibes sind unentbehrlich« (1 Kor 12,22). Paulus führt das weiter aus und denkt, im Bild gesprochen und durch die Blume gesagt, an die Weichteile des Leibes. Zudem hat er den Unterleib im Blick, »die weniger anständigen Glieder« (1 Kor 12,23). Beim Namen genannt: Er spricht vom ganzen Intimbereich. All das, umhüllt mit Scham und Scheu, ist dem Gleichnis zufolge besonders wichtig. Und in der Realität ist es auch so. Menschen, die nur aus Kopf und Geist bestünden, nur aus Wille und Verstand, wären halbiert und unfruchtbar. Der ganze Mensch mit allen seinen Gliedern ist wichtig, dazu gehört der Unterleib, dazu gehören Sinnlichkeit und Sexualität.
Paulus spricht »durch die Blume«. Was ist der Klartext, die unverblümte Wirklichkeit? Offenbar gab es damals in Korinth Christen, die sich im siebten Himmel glaubten. Sie waren überzeugt, alles zu dürfen und zu können, was ihnen in den Sinn kommt. Sie wähnten sich in der großen Freiheit. Doch sie schauten auf die anderen herab. Sie fanden die anderen kleinkariert, unfrei, geistlos, ängstlich. Die Gefahr, dass mitten in der Gemeinde eine Art Zweiklassengesellschaft entstand, war riesengroß: Oben getrennt von unten. Alle wollten sich doch auf den Geist Jesu Christi berufen. Da schauen die einen auf die anderen herab, erniedrigen sie zu Hinterbänklern.
Der Apostel beschönigt mit seinem Gleichnis nichts. Es ist wirklich so. Die einen sind geistbewegter als andere. Allerdings: »Gott hat den Leib so zusammengefügt, dass er dem geringsten Glied mehr Ehre zukommen ließ, damit im Leib kein Zwiespalt entstehe, sondern alle Glieder einträchtig füreinander sorgen« (1 Kor 12,24). Eine Art Ausgleich also: Gelten die Zonen des Unterleibs als »unanständiger«, weil sie auch Schmutz machen, so sind sie besonders zu pflegen. So soll es in der Gemeinde sein. Die unscheinbaren Christen verdienen besonderen Respekt und ausdrückliche Hochachtung. Auch sie sind Christen, auch sie haben den Geist, auch sie haben einmalig und unersetzbar etwas zu sagen. Was wäre der Tisch ohne die Toilette? Wir wurden alle (!) mit dem einen Geist getränkt. Alle leben von derselben Substanz. Es gibt keinen Grund zur Überhebung, keinen Anlass zu einem christlichen Zweiklassensystem.
Gibt es nicht im Raum der Kirche den Eindruck, dass einige immer »oben« stehen, andere immer »unten«. Was würde Paulus heute sagen, wenn er Fernsehübertragungen von Papstbesuchen miterlebt oder das Alltagsgeschäft der Kirche mit Sitzungen? Wie würde er den normalen Gottesdienst erleben? Wo würde er die »weniger anständigen« Gemeindemitglieder suchen und finden? Die Sorge um die Einheit ist entscheidend. Es soll nicht anarchisch zugehen und genauso wenig bevormundend und uniformiert.
Wo bin ich in diesem Bild, das Paulus »durch die Blume« vermittelt? Fühle ich mich eher missachtet? Bin ich eher im Machtgehabe anzutreffen? Wie sieht es für mich aus, wenn alle ein Wort mitzureden haben? »Alle« sind ja vom selben Geist getränkt. Gerade Minderheiten hätten dann eine besondere Würde.
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Paul Deselaers |
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