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Die Schriftleitung
Leseprobe 2
Fünfter Fastensonntag – 29. März 2009
I. Das neue Herz (Jer 31,31–34)

Zielsatz: Die Predigt will erschließen, was die von Jeremia verheißene Erneuerung des Gottesbundes für glaubende Menschen heute bedeuten könnte.


Was zu Herzen geht
Viel war letzten Herbst von der New Yorker Wall Street die Rede, wo das Herz der Welt schlägt und vom Infarkt bedroht war. Nahe daran zu versagen war es kaum noch in der Lage, die Blutströme des Kapitals in den Wirtschafts- und Geldkreislauf hineinzupumpen. Bluttransfusionen und Bypass-Operationen sollten den Kollaps abwenden. Vielen ging das zu Herzen. Wie auch nicht: Es trifft sie in ihrer Existenzmitte, wenn die Ersparnisse für das Alter dahinschmelzen und die Unsicherheit überhand nimmt, wovon man morgen oder übermorgen leben soll.
Was einem so zu Herzen geht, bestimmt das Leben und färbt es ein – schwarz, grau oder auch rosarot. Es macht den Kreislauf unseres Lebens aus, durchströmt uns vom Herzen her bis in alle »Adern« hinein. Das kann die Liebe zu einem Menschen sein, die Leben ins Leben bringt. Und es ist unvermeidlich die Sorge um die materielle Lebensgrundlage.

Existenzmitte
Was uns zu Herzen geht, berührt unsere Existenzmitte, es mobilisiert Sehnsucht und Angst, »gute« und »schlechte« Gefühle, in denen wir lebendig werden und uns spüren. Aber was ist in der Mitte? Was ist das Herz? Und wofür schlägt es?
Die Herz-Metaphern auf den Wirtschaftsseiten der Zeitungen verraten es. Ja, wir leben davon, dass das Kapital zirkuliert und uns »mit Blut versorgt«. Ja, im Mittelpunkt steht die Sorge dafür, dass die Wirtschaft »brummt« und wir dabei auf unsere Kosten kommen; dass der Aufschwung gerettet wird und bei uns ankommt. Warum leugnen, was doch offenkundig und nicht von vornherein anrüchig ist? Nur wenn wir es anschauen, kann uns deutlich werden, was das für ein Leben ist, das dieses Herz in unser Leben pumpt.
Es ist das Überlebensnotwendige, mit dem uns dieses Herz versorgt – die Überlebensmittel, mit denen es uns auf sehr hohem oder auf erschreckend niedrigem Niveau versorgt: luxuriös oder so, dass es kaum reicht. Man kann an elementaren Überlebensmitteln arm oder reich sein. Wenn man mit ihnen »gesegnet« ist, mag das Luxus-Überlebensmittel interessantes Erlebnis in den Vordergrund treten, mag einem die Sorge zu Herzen gehen, nichts »Interessantes« zu versäumen. Auch die Erlebnisse sind Überlebensmittel, zum Konsum bestimmt – und von der Sorge bestimmt, wie man sie sich immer wieder neu und möglichst auf höherem Niveau sichern kann.

Lebenssorge und Glaubensfreude
Die Frage ist nicht, ob das sein darf, sondern ob es die Mitte unserer Existenz ausmachen darf – und was dann geschieht. Israel erlebt im babylonischen Exil, wie die Sorge um das Überleben in die Mitte der Existenz gerät und von dort her die Erinnerung an das gute Leben aufzehrt, das es zu Hause in Gemeinschaft mit JHWH führen durfte. Die babylonische Gefangenschaft hatte sich Israel nicht ausgesucht; ebenso wenig das Überspültwerden von der Überlebenssorge in der Fremde, das Abgeschnittensein von den Quellen der Freude. Da gilt es, wenigstens die Sehnsucht nach dem anderen Leben wachzuhalten: wo einem der überwältigende Anblick Jerusalems wieder zu Herzen ginge, der Gottesdienst am Tempel, die Freude an der Tora, das Gespür für Gerechtigkeit, das JHWH seinem Volk geschenkt hatte, die Freude an einer Gemeinschaft, in der das Aufschauen zu Gott und seinem guten Willen im Mittelpunkt steht. Aber die verklärende Erinnerung hilft ja auch nichts. Die Gottesverbundenheit, die einen hineinnimmt in das große Herz JHWHs und mitfühlen lässt mit seinem guten Willen, aufleben lässt in seinem Wohlwollen, kehrt nicht einfach zurück. JHWH-Verbundenheit erscheint jetzt eher als kalte Verpflichtung, als bloßes Muss: Ihr müsst die Tora halten; müsst euch fern halten von den fremden Kulten und ihrer Faszination!
In der Mitte steht das kalte Muss. Davon geht kein Leben mehr aus, geht nichts mehr aus, was uns zu Herzen ginge. So reden sie in Babylon. Symbol für diese kalte Mitte sind die Steintafeln des sinaitischen Gesetzes: ein Herz aus Stein. Wenn doch wieder Leben ausginge von unserem JHWH-Glauben! Wenn wir endlich wieder fühlen könnten, wie es Leben in unser Leben bringt, JHWH anzugehören!
Der Exilsprophet Ezechiel nimmt diese Klage auf; ganz ähnlich wie Jeremia verkündigt er den erneuerten Bund: Ja, so wird es kommen. Ihr werdet aus der JHWH-Gemeinschaft leben können, ihr werdet mit ihm fühlen, ihn »erkennen« und das wird euch mit Leben erfüllen. Er wird das Herz aus Stein aus eurer Mitte nehmen und euch ein Herz aus Fleisch geben. Ihr werdet erkennen und spüren: das Gute, das er euch gegeben hat – und wie ihr es schützen müsst. Das wird eure Leidenschaft sein. Sie wird euch lebendig und sehend machen, euch alle. So dass keine/r den anderen schulmeistern muss (vgl. Ez 36,24–29). JHWH wird die Verstrickungen wegnehmen, die das Volk an Götzen bindet, die nie und nimmer im Mittelpunkt ihres Lebens und Wünschens stehen dürften. Er wird durch seine Ruach die guten Gefühle für JHWH und seinen guten Willen erwecken.

Babylonische Gefangenschaft?
Ich weiß nicht, wie es ihnen, liebe Zuhörer und Zuhörerinnen, mit diesem Rück-Blick in längst vergangene Zeiten geht: als die Propheten den Mut- und Freudlosen von der guten Gottesleidenschaft kündeten, um sie bereit zu machen für den neuen Bund. Vielleicht denken sie: Babylonische Gefangenschaft, das kennen wir: Freudloser Muss-Glaube; dass man sich verzehrt in der Sorge ums »gut leben«; das kalte Herz einer Ökonomie, die alles unter die Quasi-Naturgesetze stellt, nach denen wirtschaftliche Macht vermehrt wird. Auch das kennen wir: Die guten Gefühle sucht man überall, nur nicht in der Gottverbundenheit. Gott, sein guter Wille, seine Zukunft, die Herausforderung, in der er uns anruft, gehen uns nicht mehr wirklich zu Herzen. Pflichtgemäß halten wir das weiterhin für wichtig. Aber es fehlt der Geist, der es in unserer Existenzmitte lebendig machte und uns aus der babylonischen Gefangenschaft der kalten Herzen befreite.
Die Kälte in unserer Mitte. Noch der Glaube ist davon angesteckt. Wir sind dagegen: gegen die kalte Genusssucht, das Erfolgsmenschentum, die Rücksichtslosigkeit einer globalisierten Habsucht. Wo ist der gute Geist, der uns im Herzen erfahrbar macht, warum wir von all dem nicht aufgefressen werden wollen; die »Ruach«, die in uns lebendig macht, wofür man leben möchte, weil es einfach »nur« gut und erfüllend ist, mehr als wir es uns je wünschen könnten? Gottesherrschaft sagt Jesus dafür.

Mehr wollen, mehr lieben
Es wird darauf ankommen, den Hunger und den Durst nach mehr zu spüren, so dass wir uns nicht abspeisen lassen mit dem, was uns der kalte Lauf der Dinge in der babylonischen Gefangenschaft an Vergnügungen, Aufregungen und Ablenkungen zuteilt. Da mag es eine Hilfe sein, auf Menschen zu schauen, in denen der Geist lebendig war und ist; die ein Herz haben oder hatten für das Mehr: für die Segnungen der Liebe, in der die Menschen nicht mehr nur das Ihre suchen und deshalb mehr finden können als sie gesucht haben; für die Freude am Reichtum und der Vielfalt einer Schöpfung, die nicht verdorben werden dürfen; für die Not der am kalten Herzen unserer Welt Verzweifelten.
Freude, Leidenschaft und Lust, aus der babylonischen Gefangenschaft auszubrechen, können das Herz erreichen, wenn man sie im großen Herzen anderer Menschen lebendig sieht. Es gibt sie immer wieder: Sie nehmen sich ein Herz, mehr zu sehen, zu wollen und zu lieben; sie ließen sich von Gottes Geist ein sehnsuchtsvoll hörendes und sehendes Herz schenken. Halten wir uns erst einmal an sie, damit wir uns vorstellen können, wie das ist: wenn Menschen mehr kennen und mehr lieben als den Lebens-Konsum.
Auch Institutionen können ein großes Herz haben. Das Hilfswerk MISEREOR fällt mir nicht nur deshalb ein, weil heute MISEREOR-Sonntag ist. Und an diesem großen Herzen kann man teilhaben. Auch so könnte die Glaubensfreude aufkeimen, ohne die unsere Herzen kalt bleiben, und die Kirchen auch. Auch so könnte es damit beginnen, dass Gottes guter Geist eindringt in verhärtete und erkaltete Herzen.

Jürgen Werbick

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