archivierte Ausgabe 1/2025 |
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Die Schriftleitung |
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Leseprobe 1 |
2. Sonntag im Jahreskreis |
I. Füllt die Krüge mit Wasser! (Joh 2, 1–11) |
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Wertvolles Wasser Brasilien, Bundesstaat Piaui: im Landesinneren, dem »Interior«, ein Dorf, in der Nähe ein Tümpel. Darin wurde die Wäsche gewaschen, daraus trank das Vieh, daraus holten die Menschen das Trinkwasser für ihre Wasserfilter. Ein halbes Jahr lang haben die Männer des Dorfes gearbeitet, um eine halbwegs befahrbare Straße durch den Busch zu bauen, über die der Lkw mit der Bohrmaschine in das Dorf kommen konnte. Fritz, ein deutscher Franziskaner, der die Gabe hatte, mit der Wünschelrute Wasseradern aufzuspüren, hatte eine Stelle aufgespürt, an der zwei Wasseradern sich kreuzten. Dort sollte die Bohrmaschine zum Einsatz kommen. Man bohrte, stieß auf das Wasser und baute einen Brunnen. In diesem Brunnen hatte die kleine Gemeinde jetzt Zugang zu sauberem, frischem Wasser. Die drei Besucher, die Fritz in dieses Dorf gefahren hatte, um ihnen den Brunnen zu zeigen, kamen mit dem Dorfvorsteher ins Gespräch. »Was bedeutet es für euch, dass ihr jetzt sauberes, frisches Wasser habt?« fragten sie ihn. »Água é vida«, antwortete er mit leuchtenden Augen: »Wasser ist Leben«.
Wasser ist Leben Anton Rotzetter, Schweizer Kapuziner (gestorben 2016), hat in seinem anregenden Gebets- und Meditationsbuch Gott, der mich atmen läßt ein Gebet geschrieben, das anschaulich die Leben-spendende Kraft des Wassers beschreibt. Darin heißt es: „Gott, Wasser ist etwas Köstliches / Es macht frisch und jung, wenn wir verschwitzt sind / Es macht sauber und rein, wenn wir schmutzig sind / Es stillt unsere Sehnsucht, wenn wir Durst haben / Wasser ist etwas Köstliches // Im Wasser ist Leben / Ohne Wasser verwelken die Blumen / Ohne Wasser sterben die Keime / Ohne Wasser verschmachten die Menschen und Tiere / Im Wasser ist Leben“ Diese belebende Kraft des Wassers haben die Bewohner des Dorfes in Piaui erfahren. Ein Becher reines Wasser war für sie wertvoller als für andere eine teure Flasche kostbaren Weins. Wasser ist Lebenselixier. Mehr noch: Wenn du es Schluck für Schluck über die Zunge fließen lässt, wird Wasser zum Genuss! Wasser, ein Genussmittel! Wer das nicht glauben will, sei eingeladen, bei sonnigem, heißem Wetter eine Bergwanderung zu machen. Da meldet sich bald der Durst, und der wird immer heftiger. Bald schon dürstet nicht nur deine Zunge nach einem Tropfen Wasser, da lechzt dein ganzer Leib nach Wasser. Und wenn du dann an eine Quelle kommst, aus der du mit der hohlen Hand Wasser schöpfen und schlürfen kannst, dann weißt du, welch ein Genuss Wasser ist. Dafür lässt du, wenn es darauf ankommt, jede Flasche Wein stehen.
»Sie haben keinen Wein mehr« Mit solchen Gedanken über das Wasser im Hinterkopf entführe ich Sie nun von dem Dorf im Nordosten Brasiliens und von der Wasserquelle in den Bergen nach Kana in Galiläa. Was sich da ereignete, haben Sie im Evangelium gehört. Eine Hochzeit wird gefeiert. Maria, Jesus und seine durstigen Jünger sind als Gäste dabei. Und dann passiert das Peinliche: Der Wein geht aus – und das, wo das Fest in vollem Gange und der Durst noch lange nicht gestillt ist. Maria bemerkt es als eine der ersten. Sie macht Jesus darauf aufmerksam: »Sie haben keinen Wein mehr!« Was tun? Woher Nachschub holen, wenn alle Vorräte aufgebraucht sind? Niemand möchte doch an einem solchen Tag das Brautpaar beschämen. Die Antwort Jesu ist frappierend einfach:»… dann füllt doch Wasser in die Krüge« Wasser? Einfach nur Wasser? Und das bei einer Hochzeit? Unmöglich! »Versucht es doch einfach« sagt Jesus. Das taten sie. Und alle waren überrascht, wie gut es schmeckte: köstliches Wasser. Verwöhnt vom Wein hatten sie das schon lange nicht mehr gemerkt. Ich gestehe, dass mir bei diesen Gedanken die Fantasie durchbrennt. Trotzdem wage ich einfach mal zu fragen: Warum eigentlich nicht? Wasser ist doch etwas Kostbares und Wertvolles, Ja, Wasser ist Leben, wie es der Dorfvorsteher in Piaui sagte.
Doch wo bleibt dann bitteschön das Wunder, das Zeichen, wie Johannes es nennt? Vielleicht ist das das Wunder: Jesus lädt die Menschen ein, den Wert des Wassers neu zu entdecken. Er lädt sie ein, in die Schule des Schöpfers zu gehen, der das Wasser als etwas Wunderbares und Wertvolles, ja als Lebensquelle geschaffen hat. Ob das vielleicht schon das Wunder ist, dass den Menschen das Wasser wie kostbarer Wein schmeckt? »Nur Wasser!« Dieses verächtliche »nur« vor dem Wasser streicht Jesus einfach. Damit macht er den Blick frei für das, was Wasser ist: Erfrischung, Belebung, Kraftquelle, Neugeburt: »Ich fühle mich wie neu geboren!« sagt ja mancher nach einem erfrischenden Bad. Wasser ist Leben: das ist dann die Botschaft.
Wenn ich diese Botschaft in die Nähe meines Lebens rücke, kenne ich Erfahrungen, in denen ich sagen muss: Ich habe keinen Wein mehr! Mir ist in meinem Leben der Wein ausgegangen, das Faszinierende, das Reizvolle, das Prickelnde, das Umwerfende, das Begeisternde und Geistvolle. Mir ist verloren gegangen, was im Leben einfach Spaß macht, was lockt, was Sehnsucht weckt. Stattdessen lebe ich meine Tage gelangweilt, ernüchtert, tagein tagaus im gewohnten Trott. Ich habe keinen Wein mehr. In der Lebensmitte macht mancher diese Erfahrung – und ganz oft auch im Alter. Da ist kein Wein mehr für Genießer: nur noch das Wasser des eintönigen Alltags. Das »nicht mehr« prägt für viele die Tage. Der Wein des Besonderen ist rar geworden. Auf ein Wunder, das alles verändert, kannst du lange warten! »Füll die Krüge mit Wasser«, sagt mir Jesus. Es muss doch nichts Außergewöhnliches sein. Füll das Wasser deines Alltags in die Krüge: das Wasser des täglichen Einerleis, das Wasser manchmal erdrückender Verpflichtungen, das Wasser des Loslassens und des Freigebens, das Wasser des Nicht-mehr-Gefragtseins. Kein Wein, sondern alltägliches Wasser. Das, was ich habe, soll ich in die Krüge füllen: Wasser!
Das Wunder kann auch bei mir geschehen, wenn ich vor dem Wort »Wasser« das verächtliche »nur« streiche. Dann spüre ich vielleicht, wie wunderbar und wertvoll Wasser ist. Das setzt allerdings voraus, dass ich das Träumen vom Wein drangebe, mich anschaue, wie ich bin: mich den Alltagsmenschen – und dass ich dazu ja sage. Dann kann ich mit Anton Rotzetter beten: »Gott, Wasser ist etwas Köstliches. Im Wasser ist Leben«
Vielleicht war es ja auch ganz anders … Wenn das in Kana so gewesen ist, wie ich es zu deuten versucht habe, dann wäre das für mich ein »wunderbares Wunder«. Aber vielleicht war es ja auch ganz anders, so, wie es wörtlich im Evangelium steht: Jesus wandelt Wasser in Wein. Auch dann hätte ich meine helle Freude an diesem Wunder – und ich würde Jesus bitten: Wandle ab und zu das ernüchternde Wasser in den Krügen meines Lebens in berauschenden Wein! Wenn das aber nicht so ist, dann erinnere ich mich an den Dorfältesten im Nordosten Brasiliens und an seine gemeißelten Worte; »água é vida«.
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