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Die Schriftleitung
Wort an die Leser
»Unsere Buchstabenketten sind Hängebrücken über einen Abgrund namens Wirklichkeit. Ich erlebe mich, mich hinüberhangelnd, ohne je drüben den Fuß setzen zu können auf etwas, was mich trägt.« So lässt Martin Walser den Protagonisten seines Romans Das dreizehnte Kapitel, den Schriftsteller Basil Schlupp, an die Frau schreiben, mit der er sich auf eine Art Briefaffäre einlässt (TB Reinbek 2014, S. 111). Das Bild von der »Buchstabenkette« als »Hängebrücke über einen Abgrund namens Wirklichkeit« ist mir nachgegangen. Vielleicht taugt es auch als kleiner Anstoß zur homiletischen Selbstvergewisserung: Wie ergeht es uns mit der Sprache im Dienst der Verkündigung? Auf welche Weise arbeiten auch Predigt und Katechese an Buchstabenbrücken »über einen Abgrund namens Wirklichkeit«? Wie wirklichkeitshaltig ist das, was ich auszudrücken versuche? Und erfahre ich mein sprachschöpferisches Tun womöglich selbst als abgründig? Erlebe ich mich mitunter wie Walsers Schriftsteller beim Betreten meiner Sprachbrücken als »hinüberhangelnd, ohne je drüben den Fuß setzen zu können auf etwas, was mich trägt«? Oder ist mir solche Erfahrung im Umgang mit (Predigt-)Sprache eher fremd?

Die Briefadressatin in Walsers Roman, Maja Schneilin, ist nun just evangelische Theologieprofessorin. So nimmt sie denn in ihrem Antwortbrief das Bild auf. Es verbindet sie in ihrem prekären Verhältnis mit dem Schriftsteller und lässt sie diesen zugleich theologisch herausfordern: »Ihre, unsere Wörterbrücke wird in die Luft gebaut. Von einem festen Drüben kann noch nicht die Rede sein. Die Wirklichkeit als Abgrund lasse ich zu. Vorerst. […] Ich möchte Sie verführen zum Brückenbau ins Voraussetzungslose. Wir wissen nicht, wo wir landen werden. Aber wir können’s nicht lassen, ins Voraussetzungslose zu bauen, von Wort zu Wort zu Wort. Ich bin übermütig genug, den Heiligen Geist für den Souffleur zu halten« (ebd., S. 119 f.). Wieder auf die homiletische Ref lexion gewendet: Lasse ich in meiner theologisch geprägten Sprache die »Wirklichkeit als Abgrund« zu? Und kann ich mich in der Verkündigung auf jenes »Voraussetzungslose« verlassen, das mich auch ohne »festes Drüben« trägt – sodass mein Tun keine Luftnummer bleibt, selbst wenn ich nicht weiß, »wo wir landen werden«?

Den Abgrund der Wirklichkeit ernst zu nehmen, gerne zu ringen um ebenso anspruchsvolle wie ansprechende Buchstabenketten als »Brückenbau ins Voraussetzungslose« und darin hoffentlich auch den verborgenen »Souffleur« inspirierend zu erfahren – »von Wort zu Wort zu Wort«: Das wünsche ich Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, im Namen der Redaktion für Ihren Dienst!

Martin Rohner

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