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Die Schriftleitung
Leseprobe 2
Zweiter Sonntag – 20. Januar 2008
I. Paulus an die berufenen Heiligen (1 Kor 1,1–3)

Zielsatz: Der Anfang des ersten Korintherbriefes soll Anlass sein, für mehr Gelassenheit zu plädieren – auf dem Hintergrund immenser Glaubwürdigkeitsprobleme unserer Kirche.


Eine missglückte Predigt
Man könnte sich den ganzen Tag ärgern, aber man ist dazu nicht verpflichtet.
Vor einigen Jahren kaufte ich mir in Jerusalem eine deutsche Tageszeitung. Was las ich da? Von der Silvesterpredigt eines deutschen Bischofs. Deutschland sei ein »gottvergessenes Land«, in tiefe Unmenschlichkeit versunken, hatte er da gesagt. Was doch die hohen Herren manchmal für seltsame Einfälle haben, dachte ich, noch ziemlich gelassen.
Als ich nach Hause kam, fand ich in der »Zeit«, gleich auf der ersten Seite, einen kleinen Artikel, voller Häme über die Predigt des Bischofs. Warum müssen manche führende Leute in unserer Kirche sich immer wieder solche Blößen geben? Prompt begann ich mich zu ärgern.

Die Situation in Korinth
Zum Glück fiel mir ein Stück aus dem ersten Korintherbrief ein, eben jene Lesung, die wir gerade gehört haben. Paulus hätte jede Menge Anlass gehabt, sich über seine Korinthergemeinde zu ärgern. Und er hat es manches Mal wohl auch getan. Was war in dieser Gemeinde nicht alles los! Der erste Korintherbrief, den Paulus von Ephesus aus nach Korinth geschickt hat, gibt uns davon ein anschauliches Bild.
Die Gemeinde war tief zerstritten. Mindestens vier verschiedene Parteien gab es, die sich ständig in den Haaren lagen. Beim Gottesdienst in Korinth war es zu ziemlichen Rücksichtslosigkeiten gekommen. Die Korinther feierten ihren Gottesdienst in Privathäusern von reichen Gemeindemitgliedern, wo es genügend Platz hatte. Mit dem Gottesdienst war auch noch eine richtige Mahlzeit verbunden. Eigentlich eine schöne Sache, sollte man denken, ein Gottesdienst im kleinen Kreis, dazu ein Mahl, bei dem man sich persönlich näherkommen konnte. Doch leider war es gar nicht so toll. Die Leute aus den bessergestellten Kreisen konnten sich schon sehr früh einfinden, sie tafelten miteinander, und wenn dann abends nach Feierabend die kleinen Leute kamen, die Hafenarbeiter und Sklaven, mussten sie sich mit den kärglichen Resten begnügen, die noch übriggeblieben waren. Und dann feierte man miteinander die Eucharistie. Paulus ist darüber tief empört. Erst diese Rücksichtslosigkeit und dann die Eucharistie – eine solche Feier des Herrenmahls nennt er »unwürdig« (das übrigens ist ursprünglich gemeint, wenn Paulus sagt: »Wer also unwürdig von dem Brot isst, … macht sich schuldig am Leib und am Blut des Herrn«, 1 Kor 11,27).
Doch damit nicht genug. Für den Gottesdienst gab es damals noch keine streng festgelegte Ordnung, es gab kein Messbuch, kein Gotteslob, noch nicht mal einen Liederzettel. Der Gottesdienst war recht lebendig. Jeder aus der Gemeinde konnte etwas dazu beitragen, ein Gebet, eine Fürbitte, einen Lobpreis, einen Gedanken zur Predigt. Jeder konnte sich aktiv beteiligen. Wieder könnte man denken: beneidenswerte Verhältnisse damals! Doch leider taten sich in der Gemeinde einige Dauerredner hervor, die ständig das große Wort führten. Vor allem gab es eine charismatisch angehauchte Gruppe in der Gemeinde, die beim Gottesdienst in begeistertes Lallen und Schreien ausbrach, sich geradezu in religiöse Ekstase steigerte. Und das hielten sie für eine ganz intensive Erfahrung der Gegenwart Gottes. Aber sie schauten etwas geringschätzig auf die normalen Gemeindemitglieder herunter, die ihren Glauben eher in nüchterner Alltäglichkeit lebten. Paulus ist tolerant: Eure charismatische Frömmigkeit könnt und sollt ihr pflegen. Aber ihr sollt die Gemeinde nicht damit überfahren. Und euer Hochmut stört mich sehr, sagt er ihnen.
Es gab in Korinth erbitterte Diskussionen um den rechten Glauben. Einige Christen in der Gemeinde leugneten eine Auferstehung der Toten, also einen zentralen Punkt christlichen Glaubens. Wieder andere hatten noch nicht konsequent genug mit ihrer heidnischen Vergangenheit gebrochen. Sie nah­men weiterhin an Kultmahlzeiten in den Göttertempeln teil; teilweise machten sie das geradezu demonstrativ, um ihre innere Freiheit unter Beweis zu stellen. Wieder andere propagierten eine schrankenlose sexuelle Freizügigkeit.
Und über all diese Fragen war die Gemeinde tief zerstritten. Dazu gab es jede Menge Klatsch und Tratsch übereinander, von dem Paulus auch eine ganze Menge nach Ephesus hinterbracht wurde … Aufs Ganze gesehen alles andere als ein erfreuliches Bild!

Ich danke Gott jederzeit euretwegen
Heute hörten wir den Anfang seines Briefes nach Korinth. Der allerdings hört sich mehr als erstaunlich an: «Paulus … an die Kirche Gottes in Korinth, an die Geheiligten in Christus Jesus, berufen als Heilige …« und dann fährt er fort: «Ich danke Gott jederzeit euretwegen …, dass ihr an allem reich geworden seid in ihm« (1 Kor 1,1–2.4–5).
Haben wir richtig gehört? Paulus nennt die Korinther »Heilige«. Er sagt: »Ich danke Gott, wenn ich an euch denke!« Macht er sich da was vor?
Nein, Paulus weiß ganz genau, dass in der Gemeinde vieles schief liegt. Und doch bringt er die Kraft und die Reife auf, hinter all den Eifersüchteleien und Streitigkeiten, hinter all den ärgerlichen Profilierungsversuchen, hinter all dem eine tiefere Wirklichkeit zu sehen: Diese Menschen in Korinth, samt all ihrer Fragwürdigkeit – Gott liebt sie!
Diese Gemeinde, in der es so sehr menschelt, ist die Kirche Gottes. Diese Leute, die so inkonsequent und schwach sind, sind von Gott berufen. Diese Menschen, die so egoistisch und rücksichtslos sind, sind dennoch die Heiligen. Für diese Leute, die übereinander herziehen und sich in den Haaren liegen, dankt er Gott!
Wie bitte, ist das ernst gemeint? Es ist! Paulus sieht tiefer. Diese Menschen, so widersprüchlich sie auch sind, hat Gott in seine Gemeinde gerufen. Er liebt sie. Er liebt die Menschen, trotz ihrer Macken, trotz ihrer Abgründe. Und darum kann Paulus die Korinther die »Heiligen« nennen, weil er sie von Gott her sieht. Und darum kann Paulus an ihnen so viel Liebenswertes entdecken – hinter ihrer oft so unerfreulichen Fassade. Er nennt sie »Heilige«. Nicht deswegen, weil sie eine untadelige weiße Weste hätten, sondern deswegen, weil Gott sie – trotz ihre massiven Fehler! – berufen hat.

Kirche aus schwachen Menschen
In einer Kommission der Bischofskonferenz diskutierten wir über das schlechte Image der Kirche. Es herrschte ziemliche Ratlosigkeit. Auch innerhalb der Gemeinden hagelt es Kritik. Auch viele Gutwillige nehmen Anstoß. Es gibt ja auch so viele Beschwerdepunkte … Da sagte ein älterer Theologieprofessor: Leute, denkt mal an die Kirchengeschichte. Da sah es mit der Kirche manchmal viel schlimmer aus als heute. Vielleicht haben wir viel zu überzogene Erwartungen, ein viel zu hohes Ideal, und nehmen es gar nicht mehr ernst, dass die Kirche aus Menschen besteht – Gott sei Dank, übrigens.
Ob wir von Paulus nicht eine Menge lernen könnten? Das heißt keineswegs, alles zu entschuldigen, ständig zu beschwichtigen. Es bleibt die Pflicht, Kritik zu üben, Widerspruch anzumelden, wo es nötig scheint. Aber es heißt wohl: Sich eine gläubige Gelassenheit bewahren. Sich die Freude darüber bewahren, zu dieser Kirche zu gehören. Wie Paulus dankbar war, wenn er an seine Gemeinde dachte. Gott hat eine scheinbar durch nichts zu überbietende Langmut. Zum Glück für uns. Zum Glück für Sie – und für mich!

Franz-Josef Ortkemper

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