Prediger und Katechet – Startseite
Startseite » Aktuelle Ausgabe » Leseprobe 1
Titelcover der aktuelle Ausgabe 5/2025 – klicken Sie für eine größere Ansicht
Die Schriftleitung
Leseprobe 1
19. Sonntag im Jahreskreis
II. »Seid wie Menschen, die auf ihren Herrn warten« (Lk 12,35–40)
Ziemlich anstrengend, oder? Das heutige Evangelium macht Druck: Haltet euch allezeit bereit! Eure Lampen sollen immer brennen, eure Hüften immer gegürtet sein! Um viel Bewegungsfreiheit bei der körperlichen Arbeit zu haben, raffte und schnürte man sich das Gewand um die Hüften. Auch die brennende Lampe steht für Einsatz und Aktivität und nicht – wie das Licht, das man abends löscht – für Ausruhen und Schlafen. Die Bilder sprechen eine deutliche Sprache: Seid allezeit bereit! Sei es bis in die dritte Nachtwache hinein – das heißt: bis drei Uhr früh. Bleibt in Hab-Acht-Stellung. Lasst nicht nach. Haltet euch bereit!

Hand aufs Herz: Wer soll das aushalten? Wo bleiben denn die notwendige Ruhe und Entspannung zwischendurch? Wenn ein Seil immer auf Spannung ist, droht es doch irgendwann zu zerreißen. Irgendwann geht auch dem Fittesten die Puste aus. Wer kennt denn nicht den – ganz berechtigten – Wunsch, auch mal in legere Kleidung zu schlüpfen und das Licht zu löschen, um auszuruhen und um neue Kraft zu schöpfen? Das heutige Evangelium klingt anders: ziemlich fordernd, ganz schön anstrengend!

Die Hoffnung nicht aufgeben

Aber es kann doch nicht sein, dass uns das Evangelium die Luft abschnüren und Druck ausüben will! Dem ursprünglichen Sinn des Wortes nach heißt doch »Evangelium« »gute Nachricht«, »frohe Botschaft«. Also suche ich nach Blickwinkeln und Verständnisweisen, die mir helfen, im heutigen Evangelium die gute Botschaft zu entdecken. Wo hält sie sich versteckt? Welche Zugänge helfen, das Evangelium als Evangelium zu verstehen?

Hilfreich ist ein Blick auf die ersten Leserinnen und Leser des Lukasevangeliums. Sie gehören zur dritten Christengeneration: Um das Jahr 80 dürfte das Lukasevangelium entstanden sein. Seit dem Wirken Jesu hat sich viel verändert. Rechneten die ersten Christen noch mit der baldigen Wiederkunft Jesu, ist seither viel Zeit vergangen. Die akute Naherwartung verblasst: Allzu lange lässt die Wiederkunft Jesu schon auf sich warten. Notgedrungen richtet man sich in der Welt ein. Man hat schließlich auch Verantwortung: für die Familie, für Freunde und für die Gemeinde. Man sorgt vor und plant und kann doch nicht nur von der Hand in den Mund leben: Die Gemeinden organisieren sich, während die ursprüngliche Erwartung, dass Jesus wiederkommen wird, in Vergessenheit gerät.

Doch gerade gegen diese Gefahr erhebt das heutige Evangelium die Stimme: Gebt diese Hoffnung nicht auf! Streckt euch nach der Wiederkunft Jesu aus! Das Lukasevangelium erinnert daran: Es mag lange dauern, man mag schon gar nicht mehr damit rechnen, aber lasst euch diese gute Aussicht nicht rauben. Irgendwann – ob am Ende des eigenen Lebens oder am Ende der Welt – wird die Wiederkunft gefeiert. 

Das heutige Evangelium setzt einen Kontrapunkt: Es mahnt in eindringlichen Worten, die Hoffnung auf die Wiederkunft Jesu nicht zu vergessen. Einer Gemeinde, die drauf und dran ist, nicht mehr nach oben oder nach vorne zu schauen, schreibt das Lukasevangelium diese Worte ins Stammbuch: Lasst eure Lampen brennen! Bleibt bereit! Trotz aller Zweifel und Ermüdungserscheinungen ist und bleibt das unsere Hoffnung: Der Menschensohn wird kommen!

Die Wiederkunft feiern

Warum empfinden wir das Evangelium eigentlich als so fordernd und anstrengend? Womöglich liegt es auch daran, dass wir uns unter der Wiederkunft Jesu etwas Bedrückendes oder Bedrohliches vorstellen; etwas, das uns angespannt in die Zukunft blicken lässt. Aber genau das sollte ja die Wiederkunft Jesu nicht sein!

Könnte ich die Wiederkunft Jesu nicht auch positiv verstehen? Gürtet eure Hüften und lasst eure Lampen brennen, könnte doch auch heißen: Lasst euch die Freude auf die Wiederkunft Jesu nicht rauben! Bleibt bei dieser Hoffnung! Lasst diesen Stern an eurem Lebenshorizont nicht untergehen! Atmet auf und schöpft aus der Erwartung der Wiederkunft Jesu Kraft!

Die Wiederkunft Jesu ist keine Katastrophe, vor der man sich fürchten müsste. Eigentlich will sie das genaue Gegenteil sein: eine Hoffnung inmitten aller Katastrophen, das gute Ende, das Sehnsuchtsziel unseres Glaubens. Vor der Wiederkunft Jesu sollte man sich nicht fürchten: Sie sollte inbrünstig ersehnt und freudig erwartet werden.

Wie oft im Leben droht uns – wie den Christen des Lukasevangeliums – gerade diese Hoffnung zu verlassen! Im alltäglichen Einerlei, wenn mich die Arbeit fordert und – oft genug – auch überfordert, wenn wir in Pflichten und Aufgaben untergehen, dann schenkt die Hoffnung auf die Wiederkunft Jesu eine gute Aussicht. Sie erinnert mich, dass nicht ich die Welt retten kann, sondern dass uns die Rettung und Erlösung geschenkt werden: mit der Wiederkunft Jesu!

In schwierigen Situationen – in Krisen oder im Streit, in Krankheit oder im Angesicht des Todes – kann einem die Hoffnung schnell abhandenkommen. Da ist es gut, sich zu erinnern, dass alle Widrigkeiten dieser Welt nicht das letzte Wort haben. Am Ende stehen nicht die Trennung, das Versagen, die Hilflosigkeit oder der schmerzliche Abschied von lieben Menschen. Am Ende steht Er. Habt diese Hoffnung immer im Handgepäck – wie eine brennende Lampe und ein gegürtetes Gewand: Atmet in dieser Hoffnung auf und wartet voll Zuversicht auf den, der die Klage verstummen lässt, der die Tränen trocknen und den Tod für immer vernichten wird.

Das ist der Fluchtpunkt unserer Hoffnung: dass am Ende nicht die Kälte oder die Nacht, nicht die Leere oder die Sinnlosigkeit steht, sondern Er. In dieser Hoffnung darf ich leben, unter dieser Aussicht auch Schmerzliches durchstehen. So ist mir das Evangelium eine wohlgemeinte Erinnerung. Gerade in den grauen und schmerzlichen Situationen meines Lebens ermuntert mich das Evangelium: »Seid wie Menschen, die auf ihren Herrn warten!«

Die Klopfzeichen hören

Schlussendlich geht es auch nicht nur um die große Wiederkunft Jesu am Ende der Zeit oder am Ende des eigenen Lebens. Bis dahin sind wir nicht als Waisen unterwegs: als ob wir in unserem Alltag und in unserem Leben von Gott und Jesus verlassen wären … In der Johannesoffenbarung sagt Jesus der Gemeinde von Laodizea: »Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an.« (Offb 3,20) Der Satz ist im Präsens formuliert. Das heißt: Jetzt, in der Gegenwart, in diesem Augenblick steht Jesus an der Tür und klopft. Buchstabiere ich diesen Satz ins heutige Evangelium hinein, geht es nicht nur um das Warten auf die große Wiederkunft Jesu einst. Das Warten muss nicht Jahre oder Jahrzehnte dauern. Immer wieder klopft Jesus an die Tür meines Alltags. Alles, was in meinem Leben geschieht, ist von diesen Klopfzeichen Jesu unterlegt. Auch so macht der Satz Sinn: »Seid wie Menschen, die auf ihren Herrn warten und ihm öffnen, wenn er anklopft.« Das Evangelium lädt mich ein, in meinen Alltag hineinzuhören, um diese Klopfzeichen Jesu zu erlauschen. Nicht erst in ferner Zukunft, sondern schon jetzt und immer wieder klopft er an die Tür meines Lebens.

Ein plötzlicher Anflug von Freude oder Mut: ein Klopfzeichen Gottes! Eine schöne Situation, ein Blick in die Natur, der mich berührt, ein gutes Gespräch, eine helfende Hand, eine Freundin oder ein Freund an der Seite: Klopfzeichen Gottes! Aber auch ein Gedanke, der mir nachgeht, Trauer, die mich bedrückt, ein Zweifel, der mich herausfordert: All das können Klopfzeichen Gottes sein, die mich an ihn erinnern, die mich nicht vergessen lassen, worum es im Leben geht. »Seid wie Menschen, die auf ihren Herrn warten und ihm öffnen, wenn er kommt und klopft.« Bei so vielen Gelegenheiten klopft es, klopft Er an die Tür des Alltags: seine Nähe, Güte und Barmherzigkeit sind nur einen Türspaltbreit entfernt!

Ihnen und mir wünsche ich, dass wir diese Klopfzeichen Gottes in unserem Leben hören, dass wir Menschen sind, die mit seiner Ankunft rechnen: mit der großen Wiederkunft einst, dem Fluchtpunkt all unserer Hoffnung, aber auch mit den vielen Ankünften Gottes in unserem Leben. Ihm immer wieder die kleinen Türen und die großen Pforten unseres Lebens zu öffnen, darum geht es. Dieser Gott wünscht sich nichts sehnlicher, als uns nahe zu sein. Das ist die gute Nachricht, das entscheidende Evangelium!

Hans-Georg Gradl

Zurück zur Startseite

pastoral.de


Das bewährte
BasisProgramm
auf CD-ROM


pastoral.de - BasisProgramm

oder

Die
Web-Plattform
im Browser


pastoral.de - Web-Plattform

Vergleichen Sie hier


Prediger und Katechet
Telefon: +49 (0) 711 44 06-140 · Fax: +49 (0) 711 44 06-138
Senefelderstraße 12 · D-73760 Ostfildern
Kontakt | AGB | Datenschutz | Impressum | Barrierefreiheit