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Leseprobe 1 |
Pfingsten |
III. Lesepredigt: Lukas und die pfingstliche Sehnsucht (Apg 2,1–11) |
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Pfingsten, das Fest des Geistes Gottes. Auf seiner Spur lade ich Sie ein, mit mir eine kleine Zeitreise zu unternehmen. Sie führt uns in biblische Zeiten zurück, und wir finden den Evangelisten Lukas in seiner mediterranen Schreibstube so ungefähr im Jahr 70 bis 90 unserer Zeitrechnung. Lukas ist bekanntlich der Meistererzähler unter den Evangelisten. Denken Sie nur an seine grandiose Darstellung der Geburt Jesu, die eine der bekanntesten und wirkungsvollsten Erzählungen in der ganzen Menschheitsgeschichte geworden ist und die Sehnsüchte der Menschen über zig Generationen anrührt. Nun hat er sein Evangelium abgeschlossen und ist dabei, in einem zweiten Buch, das wir als Apostelgeschichte kennen, aufzuschreiben, wie es nach Tod und Auferstehung Jesu weitergegangen ist. Und um die Erfahrung und die Sehnsucht darzustellen, wie der Geist Gottes, der in Jesu Leben und Reden so greifbar geworden ist, auch nach dessen Tod und Himmelfahrt weiter wirkt und immer mehr wirken soll, komponiert er wiederum eine umwerfend gute Erzählung. Wir haben daraus in der ersten Lesung gehört.
Wie kann ich den Geist Gottes verständlich machen? Wie soll ich eine so schwer greifbare Realität vor Augen stellen? So ähnlich wird Lukas sich gefragt haben. Er kennt die Erfahrungen und die Sehnsüchte seiner Gemeinde ebenso wie die alten Überlieferungen und will sie neu gestalten. Im Evangelium hatte er, um Jesus bekannt zu machen, von dessen Geburt erzählt, davon, wie Jesus auf die Welt, zu den Menschen kommt. Und in Bezug auf den Geist Gottes beschließt er nun, wiederum eine Anfangsszene konkret vor Augen zu stellen: Wie der Geist Gottes zu den Menschen kommt.
Lukas erzählt den nachösterlichen Erstkontakt der Jünger Jesu mit dem Geist Gottes als konkretes geschichtliches Ereignis. Örtlich platziert wird das in Jerusalem, zeitlich am Pfingstfest nach dem Tod Jesu. Gemeint ist Pentekoste, das jüdische Pfingstfest, das am fünfzigsten Tag nach dem Paschafest gefeiert wurde. Und Lukas beginnt seine Erzählung mit einem Brausen, wie wenn ein starker Wind anhebt, ja sogar ein heftiger Sturm. Die verwendeten Worte für Wind und für Geist gehören im Hebräischen wie im Griechischen zu einem Wortfeld. Das Wehen des Windes ist ein sprechendes Bild für das Kommen des Geistes. In diesem Bild klingt auch gleich mit an, dass der Geist Gottes nicht nur ein Gedankengebilde ist, das dem menschlichen Gehirn entspringt, sondern dass er wie von außen auf uns zukommt, größer ist als unser Geist, unverfügbar. Der Geist weht, wo er will, sagen wir heute noch. Und dann erzählt Lukas, dass »Zungen« erscheinen, wie es heißt, die sich verteilen, auf jeden Jünger eine. So klingen die Themen der Sprache und der Verständigung schon an. Keine echten Zungen, sondern ungreifbare, wie Flammen, und gemeint ist das wohl im Sinn von Sprache. In vielen Ländern ist es das gleiche Wort, Zunge und Sprache, und »in verschiedenen Zungen« steht für »in verschiedenen Sprachen«. Und wer Karl May gelesen hat: Da sprechen Schurken »mit gespaltener Zunge«, was widersprüchliches Reden und Lügen bedeutet. Hier aber lässt sich eine Zunge auf einen jeden nieder, und ich denke wir können das als eine authentische, der Wahrheit verpflichtete Redebegabung sehen.
Was sich da ereignet, braucht Zeugen, braucht Aufmerksamkeit, will wahrgenommen werden. Zum neugeborenen Jesus kommen im Lukasevangelium Hirten vom Feld nebenan, und nun, zur Ankunft des Geistes Gottes, erzählt Lukas, dass eine Menschenmenge zusammenströmt, und er zählt sie alle auf, nach ihrer Herkunft, und geht weit über Jerusalem und über das jüdische Volk hinaus, um zu zeigen: Der Geist Gottes bei den Menschen, das ist relevant für die ganze Welt. Als Höhepunkt folgt das Sprachenwunder: Aus welchem Volk sie auch sind: Ein jeder hört sie in der eigenen Sprache und versteht sie, wie sie Gottes große Taten verkünden.
Die Pfingsterzählung des Evangelisten Lukas war ähnlich wirkungsvoll wie seine Weihnachtserzählung. Über die Jahrhunderte bis zu uns prägte sie Glaubensvorstellungen, diente Malern als Grundlage für ihre Motive. Die Datierung auf den fünfzigsten Tag wurde in unsere Liturgie und unseren Festtagskalender übernommen und festgeschrieben. Und diese erste Charakterisierung des Gottesgeistes ist prägend bis heute: Er ist unverfügbar, er bewirkt Verständigung über Sprach- und Kulturgrenzen hinweg, er bringt Menschen zum Verstehen der großen Taten Gottes. Der Erfolg liegt weniger darin, dass sich einmal alles genau so ereignet hat, als darin, dass diese Erzählung der bleibenden Sehnsucht entgegenkommt, dass der Geist Gottes in der Welt zur Wirkung kommt und die Menschen in diesem lebensförderlichen Geist übereinkommen.
Wir kehren zurück vom Evangelisten Lukas hierher in unser Heute und merken, wie dringend wir ein Pfingstwunder nach wie vor brauchen. Wie nötig wäre es, dass sich auf Menschen, die in entgegengesetzten Fronten stehen, ein und derselbe Geist Gottes niederlässt. Wie nötig wäre es, ein Sprachenwunder zu erleben, Verständigung über Grenzen hinweg. Wie nötig wäre es, dass Menschen nicht nur die eigenen Taten rühmen oder anpreisen, was dieses oder jenes Produkt leistet, sondern Gottes große Taten sehen und rühmen. Wie nötig wäre es, wenn alle mit einer Zunge reden würden, der Wahrheit mehr verpflichtet als den Machtinteressen. Die Pfingsterzählung des Evangelisten Lukas erinnert uns, dass Gottes Geist bereit ist, sich auf Menschen niederzulassen und sie zu begeistern. Pfingsten: weniger ein Ereignis der Vergangenheit als eine aktuelle Sehnsucht.
Der jahrhundertealte Ruf Veni Sancte Spiritus – »Komm herab, o Heilger Geist« – bringt die pfingstliche Sehnsucht zum Ausdruck. Beten/singen wir zusammen die Pfingstsequenz (GL 344)!
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Thomas Luksch |
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