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Die Schriftleitung
Leseprobe 2
DAS THEMA: EVANGELISCH PREDIGEN
»Im Anfang war das Wort«

Eine ökumenische Predigt


Vorbemerkung: Die folgende Predigt hielt Landesbischof Ralf Meister von der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers am 22. März 2015 im katholischen Dom St. Petrus zu Osnabrück. Sie fand statt im Rahmen der Ökumenischen Fastenpredigten als »Kanzeltausch« der leitenden Geistlichen der römisch-katholischen und der evangelischen Kirchen in Niedersachsen. – Der Predigt lag als Schrifttext zugrunde Joh 1,1–14.


Anfänge sind wichtig

»Ilsebill salzte nach«: Das ist der schönste Satz, mit dem je ein deutscher Roman begann. Er gewann 2007 den Wettbewerb der »Initiative Deutsche Sprache« und der »Stiftung Lesen«. Die Jury entschied, dass dieser Satz Lust auf die folgenden 700 Seiten von Günter Grass’ Roman Der Butt macht. »Ilsebill salzte nach.« Dieser Satz mit nur drei Wörtern weckt Neugier. Wer ist diese Ilsebill? Kein gewöhnlicher Name. Aber da gibt es dieses Märchen »vom Fischer und seiner Fru«, die heißt auch Ilsebill. Ist diese Ilsebill auch so eine? Eine, die meckert und nörgelt und nie genug bekommt? Und sie salzt. Es geht also um Essen. Sowas liest man in der Weltliteratur viel zu selten. Und dann salzt sie auch noch nach. Etwas stimmt also nicht, hat zu wenig Würze, ist ohne Pep. Was wird es sein? Ilsebill salzte nach. Ein verheißungsvoller Anfang für einen Roman.

Anfänge sind wichtig. Ob ich ein Buch kaufe oder nicht, entscheidet sich für mich oft am ersten Satz, den ich noch im Buchladen lese. Der Titel lockt mich in den Griff nach dem Buch. Und der erste Satz verlockt mich zum Kauf. Der erste Satz des Buches, das ich gerade lese, heißt: »Alles werde ich sowieso nicht erzählen. Schließlich komme ich aus der osteuropäischen Schule der Diskretion. « (Adam Zagajewski, Die kleine Ewigkeit der Kunst. Tagebuch ohne Datum, München 2014) Der Anfang kann bewirken, dass wir uns in einen Gedanken verlieben, dass wir berührt werden und neugierig sind auf die vollständige Erzählung. Ein guter Anfang trägt oft durch eine ganze Geschichte. Anfänge sind wichtig. Bei Büchern und bei Menschen.

An welche Anfänge erinnern Sie sich, liebe Gemeinde? An den Anfang Ihrer Liebe? Ach, was könnten wir erzählen. Vom ersten Blick, vom ersten Satz, vom ersten Kuss … Erinnern Sie sich an Ihren Anfang als Mutter oder Vater, als Ihr Kind Ihnen zum ersten Mal seine zarten, unabgelaufenen Füße entgegenstreckte und seine kleine Hand sich um Ihren Finger schloss? An den Anfang eines unvergesslichen Urlaubsabends, der nach Meer roch und nach Freiheit, mit dem warmen Sommerwind, der die Ewigkeit aufrief ? Der Anfang eines neuen Berufslebens. Der Anfang einer Krankheit. Der Anfang einer Trennung. Ob Glück oder Leid, Anfänge prägen uns. Sie setzen uns auf ein Gleis, auf dem wir fahren, auf manchen dann ein Leben lang. Auch im Glauben. Wie hat es angefangen mit Ihnen und Gott? Erinnern Sie sich an den Anfang, den Gott bei Ihnen gemacht hat, liebe Gemeinde? Welche Worte standen am Anfang Ihres Glaubens?

War es ein Kindergebet? »Lieber Gott, mach mich fromm, dass ich in den Himmel komm«? Oder »Ich bin klein, mein Herz ist rein, soll niemand drin wohnen als Jesus allein«? Begann es mit dem Tischgebet? »Alle guten Gaben, alles was wir haben, kommt, o Gott, von dir, wir danken dir dafür«? Haben Sie in höchster Not zum ersten Mal gerufen: »Gott, steh mir bei«?

Was war Ihr Einstieg in die vertraut-fremde, weltbewegende und wunderbare Welt des Christentums? Oder war es eine Bewegung, eine Geste, eine Berührung?

Am Ende der Anfang: Die Botschaft des Evangelisten Johannes
Anfänge sind wichtig. Auch für Johannes, den letzten der vier Evangelisten, der also das Ende der Evangelienreihe markiert. Beim letzten Evangelium steht der Anfang im Mittelpunkt. Am Ende der Anfang. »Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort.« (Joh 1,1)

Sie werden sich möglicherweise und zu Recht fragen: Warum fängt Johannes so kompliziert an? Warum fängt er ganz anders an als die anderen Evangelisten vor ihm? Warum schreibt er nicht wie die anderen von Engeln und jubelnden Heerscharen, von Krippe und Stall, von Maria und Joseph, von Hirten und Königen, die vor einem Christkind niederknien und es anbeten? Warum kein Stammbaum? Stattdessen: Im Anfang war das Wort … Kannte der jüngste Evangelist die Geburtslegende nicht? Das ist unwahrscheinlich, denn die meisten Forscher gehen davon aus, dass das Johannesevangelium jünger ist als das von Matthäus, Markus und Lukas. Man vermutet, dass es zwischen 100 und 150 nach Christus entstanden ist. Warum dieser andere Anfang? Sollte das Johannesevangelium gleich in einem anderen Denken verankert werden? Das ist wahrscheinlich, denn die Sprache, die hier verwendet wird, deutet auf griechische Einflüsse, die Johannes und seine Gemeinde umgaben: das griechische Judentum, die griechische Philosophie. Und so wird gleich am Anfang ein Wort aufgenommen, das prägend für die griechische Denkart war. »Wort« heißt im griechischen »Logos«, und der Logos war bei den damaligen Philosophen vergleichbar mit der göttlichen Weisheit, der höchsten Instanz. Johannes setzt an den Anfang den Logos. Anders als die Anderen beginnt das jüngste Evangelium mit Worten, die an die Klarheit und Heiligkeit des Anfangs zurückführen.

Liebe Gemeinde, das ist Theologie, etwas abstrakt und theoretisch. Aber ungezählte Gelehrte haben ungezählte Bücher geschrieben, die versuchen, diese bemerkenswerten ersten Glaubenssätze zu deuten. Selbst Goethe, der große deutsche Dichter, rang im Faust mit einer Deutung dieser Verse: »Geschrieben steht: ›Im Anfang war das Wort!‹ Hier stock ich schon! Wer hilft mir weiter fort? …« Und später: »Mir hilft der Geist! Auf einmal seh ich Rat und schreibe getrost: Im Anfang war die Tat.«

Johannes lockt uns weg vom kleinen irdischen Bethlehem und von den vertrauten Erzählungen von der Geburt Jesu. Unser Blick wird in die Weite gezogen. Dorthin, wo wir zunächst nichts sehen, nichts hören können. An einen Ort, der vor aller Zeit liegt und jenseits aller Räume. An den Ort, bevor alles begann. Am Anfang, bevor Himmel und Erde geschaffen wurden, bevor der erste Wind blies, bevor auch nur ein menschlicher Gedanke gedacht und ein erstes Gefühl empfunden wurde. Lange davor. Johannes führt unser Denken in eine zeitliche und räumliche Ferne, viel weiter, als wir es uns sonst zutrauen. Was hat es auf sich mit diesem Anfang?

Von einem Anfang erzählen – Sprechen als Schöpfung
Die Naturwissenschaft spricht bei der Frage nach dem Anfang vom Urknall. Der britische Astrophysiker Stephen Hawking nahm 1981 an einer Kosmologietagung im Vatikan teil und stellte die These auf, dass der Urknall eine unweigerliche Konsequenz der Schwerkraft sei und man deshalb keinen Schöpfergott brauche. »Wenn das Universum einen Anfang hatte,« sagte er, »können wir von der Annahme ausgehen, dass es durch einen Schöpfer geschaffen worden sei. Doch wenn das Universum wirklich völlig in sich selbst abgeschlossen ist, wenn es wirklich keine Grenze und keinen Rand hat, dann hätte es auch weder einen Anfang noch ein Ende. Es würde einfach sein. Wo wäre dann noch Raum für einen Schöpfer?«

Wir stellen keine naturwissenschaftliche Theorie gegen eine solche These. Doch wir erzählen von einem Anfang, der sich mit der Erklärung der Gravitation und den Naturgesetzen nicht zufrieden gibt. Der erste Schöpfungsbericht der Bibel sagt: Am Anfang war Gott, »im Anfang schuf Gott Himmel und Erde«. Gott schafft, indem er spricht. Jedes neue Schöpfungswerk beginnt mit der Formel: Und Gott sprach: Es werde Licht. Und es ward Licht. Und Gott sprach: Es werde … Und es ward … Das Johannesevangelium nimmt diesen Gedanken vom Anfang der Bibel auf und präzisiert: »Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort.« Gott ist nicht ohne sein Wort denkbar. Das Wort ist die Macht, durch die Gott Himmel, Erde und den Menschen schafft: Alles ist durch das Wort gemacht. Das Wort ist mehr als eine Ansammlung von Konsonanten und Vokalen. Es ist bei Gott und mehr noch, es ist selbst Gott. Wir denken diesem Gedanken nach. Die Sprache … Die für unser Leben wirkungsvollsten Bücher sind religiöse, das gilt weltweit. Die Geschichten und Texte, die wir lesen, wieder lesen, erzählen, nacherzählen bezeugen bis heute eine leidenschaftliche künstlerische Kraft und eine religiöse Begeisterung. Die Schönheit der Sprache wird in ihrer religiösen Anwendung entdeckt. Die Psalmen, die Suren, die Veden – immer sind sie zuerst mündliche Tradition und werden dann Schrift. Erst sind sie Musik, dann werden sie Bild. Und sie vermitteln eine Ahnung davon, was die Schönheit des Glaubens ist.

Sprechen ist eine Schöpfung. Wort und Ding werden miteinander magisch verbunden. Wenn ich sage: »Ich schwöre«, gilt das noch. In dem Satz wird eine Wirklichkeit geschaffen; die besteht fortan! Aber wer schwört noch? Die Beziehung zwischen Sprache und Welt war niemals mehr so eng wie in der Schöpfung durch Gott. Die Verbindung zwischen Gott und Mensch war niemals mehr so eng wie in der Person Jesu Christi.

Gemeinschaft durch das Wort
Dieses eine Wort am Anfang suchte uns. Es suchte jemanden, der es hört. Und lassen sie es mich ruhig sagen: Wir Christinnen und Christen in allen Konfessionen – evangelisch, katholisch, orthodox – werden in diesem Wort gesucht. Wir sind als Glieder des einen Leibes Christi durch dieses eine Wort untrennbar miteinander verbunden. Halten wir fest: Nichts trennt uns in unserer Gemeinschaft an diesem einen Wort. Und nichts verbindet uns stärker miteinander als dieses Wort, das Fleisch wurde und in uns wohnt.

Dieses Wort, das sich danach sehnte, dass einer ins Gespräch mit ihm eintritt … Gott ist ein mitteilsamer Gott. Kein Selbstverliebter, der sich in der eigenen Schönheit sonnt. Es ist nicht das stumme oder halblaute Reden: Liebt er mich, liebt sie mich? Es ist keine Frage, es ist die Zusage: Ich liebe Dich! Gott ist kein stummer Gigant, der hinter den Himmeln thront und sich selbst genug ist. Das Wesen dieses Gottes ist, dass er sich mitteilen will. Dass er ausströmt und auf Antwort wartet. Der Grund der Welt ist Sprache und Gehör, ist Gespräch. Jesus Christus war wie kein anderer ein Mensch des Gespräches. Er konnte aufmerksamen zuhören. Seine Worte trafen und forderten heraus. Sie trösteten und heilten. In ihnen lag Leben und Macht, Wahrheit und Licht. Vieles wird geredet, und vieles wird geschrieben – manchmal zu viel. Das Wort Gottes, Jesus, ist anders als alle Wörter der Welt. Es ist ein Wort mitten in unser Leben. Ein Wort des Anfangs, an dem unsere ganze Lebensgeschichte haftet.

Deshalb ist es auch kein leichtfertiges Wort. Kein lockeres Gerede, kein schneller Spruch. Denn wie sollte das Wort sonst in einer Welt gehört werden, die von Schmerz und Unheil, von Krieg und Schmerz bedroht ist. Dieses Wort lässt uns aufmerken und aushalten: »Wenn wir die Wunden dieser Welt ignorieren, haben wir kein Recht, wie der Apostel Thomas ›mein Herr und mein Gott‹ zu sagen.« (Tomáš Halík, Herder Korrespondenz, Heft 2/2013) Darum kommt keine Kirche ohne das Kreuz aus. Unsere Kirchen tragen bewusst das Symbol des Leidens. Denn gerade diese Theologie ist lebenstauglich. Sie muss Leid nicht aussparen, sie kann stille Zeiten ertragen, sie hat die Kraft, nicht »Wird schon!« zu sagen, sondern hinzusehen und mit auszuhalten, wo Verzweiflung, Kummer, gar Tod das Leben zeichnen.

Dieses Wort macht uns den Glauben nicht leicht. Zwischen dem Anfang und dem Ende, dem Ursprung und dem Ziel, stellen wir die Frage nach dem Sinn, immer wieder. Wenn wir als Christen von Hoffnung sprechen, dann darf man uns nicht für Naivlinge halten, die den Blick für die Realität verloren haben. Oft macht das Leben uns die Hoffnung schwer und der ewige Anfang gerät aus dem Blick. Auch das muss gesagt werden. Vielleicht werden wir aber auch glaubhafter in dem, was wir sagen, wenn unsere Worte nicht einfach über das Leben gleiten, sondern aufmerksam und achtsam bleiben.

An den Wunden lernen wir die alte Frage der Psalmen und kehren damit zurück an den Anfang: Wo bleibst du Gott? Wo bleibst du, Trost der ganzen Welt? Wo vernehmen wir deine Worte? Und damit halten wir den Anfang fest. Wir geben den Grund des Glaubens nicht auf. Er hat mit uns begonnen, er wird die Geschichte weiter schreiben mit und durch uns. Er wird das Leben nicht der Vernichtung überlassen. Und einmal wird er alles in allem sein. Wie am Anfang, so auch am Ende und in alle Ewigkeit. Amen.

Ralf Meister

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