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Die Schriftleitung
Leseprobe 1
3. Sonntag im Jahreskreis
I. Ortswechsel (Mt 4,12–17)

Kardinal Martini
Sie kennen vielleicht noch Kardinal Carlo Maria Martini. Er war bis 2002 Erzbischof von Mailand. Er war Jesuit, Rektor des Römischen Bibelinstituts und Autor vieler geistlicher Bücher. Er galt als einer der progressiven Vordenker in der katholischen Kirche. Er wurde 2005 als »papabile« gehandelt, war aber wegen seiner Parkinsonkrankheit gesundheitlich beeinträchtigt. Er ist 2012 gestorben. Kardinal Martini hielt 1989 in Rom vor Bischöfen einen Vortrag zum Thema »Geburt und Tod als Herausforderung der Evangelisierung«.1 Er wollte damit eine angemessene Geisteshaltung für das Anliegen der Evangelisierung vermitteln. Er stützte sich dabei auf den Text des Evangeliums, das wir gerade gehört haben. Er forderte in seinem Vortrag die Zuhörer auf, einen ähnlichen »Ortswechsel« vorzunehmen, wie Jesus ihn vorgenommen hat. Matthäus berichtet ja als einziger der Evangelist davon. Wir haben den Abschnitt gerade als Evangelium gehört: Jesus »verließ Nazaret, um in Kafarnaum zu wohnen, das am See liegt, im Gebiet von Sebulon und Naftali. Denn es sollte sich erfüllen, was vom Propheten Jesaja gesagt worden ist … (Mt 4,13f )«. Dieser Ortswechsel, so betont der Kardinal, mag nach außen hin einfach erscheinen, ist aber eine »Tatsache von tiefer Bedeutung«.

Ortswechsel damals
Nazaret war ein Ort mit keinerlei Bedeutung. Die Siedlung lag abseits der bekannten Handelsstraßen. Ein Nest mit einem Gewirr aus kleinen Häusern, Höhlen und Grotten. Ein Ort, an dem nur so viele Menschen leben konnten, wie es das Wasser der einzigen Quelle ermöglichte. Große Politik und Fortschritt gingen an der Siedlung vorbei. Sie wird im Alten Testament kein einziges Mal erwähnt. »Ein Ort ländlicher Ruhe, einfacher Lebensformen, kleiner Eifersüchteleien und begrenzter Horizonte«.

Kafarnaum dagegen war eine »offene und bunte Stadt«. Sie lag als Handelsstadt an einer der bedeutendsten Verkehrsadern der Antike, an der sog. via maris. Sie bot günstige Bedingungen für Begegnungen mit Menschen aus Dörfern und Städten der näheren und ferneren Umgebung. Kein Gebiet war dichter besiedelt, keines günstiger zu erreichen zu Wasser und zu Lande. Die Stadt war Grenzort mit einer kleinen Garnison unter einem Zenturio und einem Zollhaus. Sie hatte aufgrund ihrer Lage starke Verbindungen zum Heidentum. Sie war alles in allem »ein Ort der Arbeit und des Handels, der Banken und des Verkehrs, Grenzstadt im Galiläa der Heiden, Sitz der römischen Verwaltung, Ort der Begegnung zwischen den Kulturen«.

Kardinal Martini betont: Der Ortwechsel von Nazaret nach Kafarnaum bedeutete für Jesus, »Gewohnheiten, das Vorhersehbare zu verlassen und sich dem Wandel, den Begegnungen auszuliefern, dem, was wir heute Auseinandersetzung mit der ›Moderne‹, mit der ›Komplexität‹, mit dem ›Pluralismus‹ nennen. Nach Kafarnaum hinabsteigen hieß also, sich mit einer neuen Lebensweise auseinanderzusetzen, mit Leuten, mit dem täglichen Leben, das gekennzeichnet ist von harter Arbeit und Leiden, von Neuem und Unsicherheit. Nicht umsonst beschreibt der Evangelist Markus den ersten Aufenthalt Jesu in Kafarnaum als eine Begegnung mit Besessenen und mit allen möglichen Kranken«.

Der Kardinal sagt weiter von Jesus: Er »begegnet diesem Wandel nicht widerwillig, so als ob er nostalgisch Nazaret verbunden geblieben wäre«. Er hat diese Stadt zum besonderen Stützpunkt seiner Wirksamkeit gemacht, so dass man sie »seine Stadt« nannte. Er hat nirgendwo sonst eindrucksvoller gepredigt, nirgends sonst hat er mehr Wunder getan. Kafarnaum war aber auch die Stadt der bitteren und schmerzlichen Enttäuschung. Jesus verschweigt nicht die Ablehnung der Menschen, spart nicht mit Kritik und Schelte. »Aber«, so schließt der Kardinal seine Ausführungen, »alles nimmt seinen Ausweg von einer tiefen Liebe, von einer täglichen Anwesenheit, von einem Teilnehmen am Geschick und den täglichen Leiden seines Volkes«.

Jesus hat damals einen Ortswechsel vollzogen. Was bedeutet ein solcher Ortswechsel für die Kirche von heute, die sich auf Jesus von Nazaret beruft? Ein Ordensbruder von Martini hat in unseren Tagen ausführlich darüber nachgedacht. Er sitzt heute auf dem Stuhl Petri, Franziskus ist sein Name.

Ortswechsel heute
Manche sagen: Die Kirche solle sich auf ihr Kerngeschäft konzentrieren, sie sei nicht vorrangig für Sozialarbeit zuständig; sie solle das Evangelium verkündigen, dann würden sich auch nahezu von selber die Gotteshäuser wieder füllen. Manche wollen die Kirche zurückverweisen in den Bereich, in dem es ihrer Überzeugung nach um das Eigentliche und Wesentliche gehe: auf die Kanzel, an den Altar. Manche werfen der Kirche vor, ihr soziales Engagement liege außerhalb des Eigentlichen ihrer Botschaft. Sie erwecken dabei oft den Anschein, als ob sie über ein klares Wissen verfügen, was das Eigentliche ist und wo die Peripherie liegt. Das also, was »nur« noch die Peripherie, die Ränder der Kirche sind und was man folglich angesichts knapper werdender Ressourcen zurückstellen könne oder müsse.

Papst Franziskus ruft mit seinen Predigten, Ansprache und durch beeindruckende Gesten immer wieder auf, eine solche Überzeugung zu überprüfen. Zum Innersten der Kirche gehört für ihn, die Botschaft nicht »in ein Gotteshaus einzuschließen und zum Schweigen zu bringen« (EG 183). Eine Kirche, die den Ortswechsel Jesu mit- und nachvollzieht, ist, so sagt es bereits Kardinal Bergoglio im Vorkonklave, »aufgerufen, aus sich selbst herauszugehen und an die Ränder zu gehen. Nicht nur an die geografischen Ränder, sondern an die Grenzen der menschlichen Existenz: die des Mysteriums der Sünde, die des Schmerzes, die der fehlenden religiösen Praxis, die des Denkens, die jeglichen Elends«. Eine Kirche, die den Ortswechsel Jesu mit- und nachvollzieht, kreise nicht um sich selbst und beanspruche Jesus nicht für sich selbst, sondern lasse ihn nach außen treten.

In all dem klingt eine Gegenbewegung an zu einer Tendenz, die es in der Kirchengeschichte immer wieder gab und die gegenwärtig auch als eine Strömung deutlich zu spüren ist: Angesichts des weit verbreiteten Bedeutungsverlustes und des offenkundig unaufhaltsamen Autoritäts- und Vertrauensverlustes der Kirche, vor allem in den westlichen Gesellschaften sowie vor dem Hintergrund der Gleichgültigkeit der Kirche und ihren Einrichtungen gegenüber, sei es das Beste, in Nischen am Rande der Gesellschaft als kleine Herde und als heiliger Rest zu »überwintern« in der Hoffnung, dass irgendwann wieder bessere Zeiten für die Kirche und ihre Wahrheit kommen müssten. Dieser Vorstellung zufolge solle die Kirche sich davor hüten, sich mit dieser sündigen und verderbten »gottlosen« Welt einzulassen. Dem hält der Papst in »Evangelii gaudium« entgegen: Es kommt darauf an, »die Initiative zu ergreifen,… die Fernen zu suchen, und … die Ausgeschlossenen einzuladen,… Barmherzigkeit anzubieten« (EG 24). Der Papst spricht in deutlichem Unterscheid zu einer Kirche, die sich abschottet, von einer »verbeulte(n) Kirche, die verletzt und beschmutzt ist, (die ihm) lieber (ist) als eine Kirche, die aufgrund ihrer Verschlossenheit und ihrer Bequemlichkeit sich an die eigenen Sicherheiten zu klammern, krank ist« (EG 49).

Der Ortswechsel, wie Jesus ihn vorgenommen hat, als er von Nazaret nach Kafarnaum hinabstieg, war motiviert, wie Kardinal Martini betont hat, »von einer tiefen Liebe, von einer täglichen Anwesenheit, von einem Teilnehmen am Geschick und den täglichen Leiden seines Volkes«. Diese Bewegung finde ich wieder bei Papst Franziskus und seiner Aufforderung, an die Grenzen zu gehen. Wo die Kirche sich um jeden und alle Menschen, speziell um die Armen und am Rande der Gesellschaft Stehenden sorgt, da lässt sie den Kern der christlichen Heilsbotschaft Wirklichkeit werden, da wird sie ganz transparent auf Jesus und seinen Ortswechsel hin.


1 Den Hinweis auf die Rede von Martini habe ich gefunden bei Paul M. Zulehner: Ders., Mitgift. Autobiografisches anderer Art, Ostfildern (2. Auflage) 2015, 96–100. Die Zitate der Rede von Martini finden sich in: Die europäischen Bischöfe und die Neu-Evangelisierung Europas. Rat der europäischen Bischofskonferenzen (CCEE), hg. Vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz und dem CCEE Sekretariat, Bonn/St.Gallen 1991,316–327.

Peter Seul

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