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Die Schriftleitung
Leseprobe 1
18. Sonntag im Jahreskreis
II. Gotterfüllte Gegenwart (Koh 1,2; 2,21–23)
Unsere Kreaturen beherrschen uns In einem Wirtschaftsmagazin habe ich von einem Manager gelesen, der sein Handy verloren hat und daraufhin einen Nervenzusammenbruch erlitt. Er musste ins Krankenhaus eingeliefert werden und bekam dort dieselben Beruhigungsmittel wie ein Drogenabhängiger, der auf kaltem Entzug ist.

Darüber mögen wir schmunzeln oder verwundert sein, aber nehmen Sie Ihrer vierzehnjährigen Tochter einmal das Smartphone ab. Dann erleben Sie hautnah Nervenzusammenbrüche und Entzugserscheinungen. Für viele, nicht bloß Manager, ist dieses kleine Ding die wichtigste Verbindung zur Welt, sein Verlust gleichbedeutend mit dem sozialen Tod. Und für die vielen Flüchtlinge bei uns ist das Handy tatsächlich oft die einzige Verbindung zu Familienangehörigen, die zuhause geblieben oder über ganz Europa verstreut sind.

Es besteht kein Zweifel, dass moderne Kommunikationsmittel einen unglaublichen Fortschritt und vielerlei Erleichterung gebracht haben. Gleichzeitig gilt, frei nach Goethe, dass die Kreaturen, die wir zu unserem Nutzen erschaffen, letztlich uns insgeheim beherrschen. Ich weiß zum Beispiel von einem Rechtsanwalt, der sich im Urlaub nicht traut, sein I-Phone auszuschalten, weil sein Kanzleichef selbstverständlich erwartet, dass er als leitender Angestellter jederzeit für Nachfragen erreichbar sein muss.

Diese Erwartungshaltung findet sich nicht nur in Konzernetagen, sondern genauso mitten unter uns. Wenn zwei Erwachsene miteinander reden und ein Kind kommt dazu und plappert drauf los, sagen die Großen: » Warte bitte, bis wir ausgeredet haben, dann kommst du dran.« Aber dieselben Großen unterbrechen sofort ihre Unterhaltung, wenn das Handy in ihrer Hose brummt, um nachzuschauen, wer da geschrieben hat.

So haben die kleinen Dinger ihre Besitzer im Griff. Sie haben ständig in Bereitschaft zu sein, gewissermaßen im Stand-by-Betrieb, ganz egal, was sie auch immer gerade tun. Wen wundert es, dass überall Wellness-Hotels aus dem Boden sprießen wie die Pilze. Ein Mensch, der ständig auf Empfang ist, braucht professionelle Hilfe, um sich zu entspannen; allein kann er das anscheinend nicht mehr.

Der Geist will nicht zur Ruhe kommen


»Windhauch, Windhauch«, sagte Kohelet, »Windhauch, Windhauch, das ist alles Windhauch … Was erhält der Mensch dann durch seinen ganzen Besitz und durch das Gespinst seines Geistes, für die er sich unter der Sonne anstrengt? Alle Tage besteht sein Geschäft nur aus Sorge und Ärger, und selbst in der Nacht kommt sein Geist nicht zur Ruhe. Auch das ist Windhauch« (Koh 1,2.22–23).

Handys und Computer sind ganz neue Erfindungen, aber die Neigung, sich die Herrschaft über die eigenen Gedanken und Gefühle rauben zu lassen, ist so alt wie die Menschheit selbst. Warum können uns Geschäfte, die Sorgen um Besitz, aber genauso gut die Sucht nach Unterhaltung bis hin zu Klatschgeschichten über Leute, die ich nicht kenne und mich nichts angehen, so beherrschen? Oder umgekehrt gefragt: Warum fällt es mir so schwer, meinen Geist zur Ruhe zu bekommen?

Angst vor dem »zuletzt«

Die überraschende Antwort lautet. Weil mir diese Ruhe Angst macht. Es gibt Denker (wie z. B. der große Kulturphilosoph und Ägyptologe Jan Assmann), die eine tiefschürfende Erklärung geben, was der Motor aller Kultur ist. Der Motor ist das Wissen des Menschen um seinen Tod. Während alle anderen Kreaturen im Augenblick leben, kein Denken an ein Morgen kennen, ganz im Jetzt existieren, ist der Mensch das Wesen, das weiß, dass jedes »Jetzt« ein »Danach« und schließlich ein »Zuletzt« hat. Und deswegen füllt er seine Zeit rastlos aus mit Geschäftigkeit und Unterhaltung, denn jede unausgefüllte Zeit wirkt wie eine bedrohliche Leere, wie ein Vorbote der letzten Leere.

Ich meine, mit dieser Einsicht lässt sich leichter verstehen, warum wir oft so viel »Wind«, wie Kohelet sagen würde, machen, soviel oberf lächliche Betriebsamkeit an den Tag legen.

Die Leere ist ein Tor

Und was hat all das mit Gott, mit Religion zu tun? Weil alle heilsame Religion versucht, dem Menschen diese Angst vor der Leere, vor dem Tod zu nehmen. Denn unausgefüllte Zeit ist nicht nur das Tor, in dem uns das Wissen um unser »Zuletzt« entgegentritt, es ist auch das Tor, in dem Gott ins Leben tritt. Ein rastloser Geist, der bis obenhin ausgefüllt ist mit Geschäften, Sorgen, Suche nach Genuss, kann nur schwer eine Gotteserfahrung machen. Der reiche Mann im Evangelium ist dafür ein gutes Beispiel. Er ist ganz mit der Planung der Zukunft und mit der Erwartung kommender Genüsse ausgefüllt. Und dabei scheint er vollkommen das »Zuletzt« vergessen, besser verdrängt zu haben.

Alle religiösen Traditionen, erst recht die christliche, kennen deswegen die Notwendigkeit der Stille, der Meditation und des Fastens. Denn Fasten heißt nicht Fett abbauen. Fasten heißt, den Geist abspecken, die Leere aushalten können.

Und was ist der Gewinn, wenn ich meinen Geist entrümpele, um Platz zu machen für Ihn? Ich bin wieder bei mir, ich bin aufgehoben im Hier und Jetzt, mein Leben ist nicht mehr ausgeborgt an das Morgen oder Übermorgen. Und Lebensgenuss und Zufriedenheit gibt es nur im Jetzt und im Hier, in diesem Augenblick. Das ist die einzige Zeit, die mir gehört, das Gestern und das Morgen hingegen nicht.

Ratschläge für ein gotterfülltes Leben


Was das ganz konkret für den Alltag bedeuten kann, lesen wir, wenn wir im Buch Kohelet ein paar Seiten weiterblättern. Im Kapitel neun gibt Kohelet ganz überraschende Ratschläge für ein gotterfülltes Dasein: »Also, iss freudig dein Brot und trink vergnügt deinen Wein, denn das, was du tust, hat Gott längst so festgelegt, wie es ihm gefiel. Trag jederzeit frische Kleider, und nie fehle duftendes Öl auf deinem Haupt« (Koh 9,7–8).

Man könnte dasselbe mit wenigen Worten auf den Punkt bringen: Essen und Trinken sind ein elementarer Gottesdienst. Gemeint ist nicht das Herunterschlingen, nicht das Auffüllen des Magens, während die Gedanken ganz woanders sind. Gemeint ist, jetzt diesen Bissen zu schmecken, zu genießen und dafür dankbar zu sein. Schon das Kochen kann »Gottesdienst« sein. Dabei lernt man Eigenarten, Geschmäcker, Düfte der verschieden Naturgaben wahrzunehmen. Das ist Erziehung zum Da-Sein und zum Hier-Sein. Bewusst kochen, essen, trinken ist Medizin gegen die Unrast. Und wenn da auch noch andere sind, die mit am Tisch sitzen und Zeit haben für das Essen und füreinander, ist das eine elementare Form religiöser Erfahrung.

Warum sonst hätte Jesus das Miteinander-Essen als Bild und Symbol für das Reich Gottes gewählt?

Werner Konrad

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