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Die Schriftleitung
Leseprobe 1
6. Sonntag im Jahreskreis
II. Jesus setzt Zeichen (Mk 1,40–45)

Neues Ansehen

Vor einigen Jahren ging ihr Gesicht um die Welt. Das neue Gesicht von Isabelle Dinoire. Sie konnte wieder lächeln, auch wenn es ihr noch Mühe machte. Die Französin war durch einen tragischen Unfall total entstellt worden. Die Ärzte versuchten etwas, was bislang noch nie versucht worden war: Sie transplantierten ihr ein neues Gesicht – das Gesicht einer toten Frau. Der spektakuläre Eingriff gelang. Heute kann Isabelle Dinoire wieder lachen, hat ein Gesicht wie alle anderen und führt wieder ein normales Leben. Sie kann wieder unter Menschen gehen, sich zeigen, hat ihr Ansehen zurückbekommen. Doch es gab damals auch kritische Stimmen, die den Fall begleiteten: Darf man auf diese Weise einem Menschen sein Ansehen wieder zurückgeben, mit dem Gesicht einer Toten?

»Das Lied des Aussätzigen« Vielleicht haben sich die Kritiker zurzeit Jesu das auch gefragt: Darf er das? Darf er Tabus und Gesetze brechen, um Aussätzige zu heilen? Für ihn war das keine Frage, denn aussätzig zu sein war mehr als nur ein ekelerregender Hautausschlag, der unheilbar war. Genauso schlimm war der »soziale Tod« und den beschreibt der Dichter Rainer Maria Rilke in seinem »Lied des Aussätzigen« so: »Sieh, ich bin einer, den alles verlassen hat. Keiner weiß in der Stadt von mir, Aussatz hat mich befallen. Und ich schlage mein Klapperwerk, klopfe mein trauriges Augenmerk in die Ohren allen, die nahe vorübergehn. Und die es hölzern hören, sehn erst gar nicht her, und was hier geschehn, wollen sie nicht erfahren.

Soweit der Klang meiner Klapper reicht, bin ich zu Hause; aber vielleicht machst Du meine Klapper so laut, dass sich keiner in meine Ferne traut, der mir jetzt aus der Nähe weicht. Sodass ich sehr lange gehen kann ohne Mädchen, Frau oder Mann oder Kind zu entdecken. Tiere will ich nicht schrecken.«

Jesus überhört den Hilferuf nicht Die Heilung des Aussätzigen ist eine Geschichte voller Tabubrüche und Übertretungen. Ein Kranker kommt auf Jesus zu und bittet ihn um Hilfe. Schon das war verboten, denn kein Aussätziger durfte sich einem gesunden Menschen nähern. Doch Jesus überhört einfach den Klang der Klapper. Aber er überhört nicht den Ruf des Menschen. Mit einer Berührung wischt er alles beiseite, was den Kranken zum endgültig Verlassenen macht. Er streckt die Hand aus nach dem, der nach dem Gesetz der Menschen als nicht mehr gesellschaftsfähig gilt. Jesus gibt ihm nicht nur seine Gesundheit zurück, sondern etwas, ohne das der Mensch nicht wirklich leben kann: Ansehen, Würde, Zuneigung und den Platz unter den Seinen. Der von allen verlassen war, wie tot, kehrt zu den Menschen zurück. Und es ist verständlich, dass der Geheilte nicht schweigen kann, sondern davon erzählen muss, auch wenn es Jesus anders will. Er muss davon erzählen, dass er wie tot war und auferstanden ist, wiedergeboren wurde, neues Leben geschenkt bekommen hat. Wer wollte es ihm übel nehmen? Auch die Französin Isabelle Dinoire zeigte sich nach ihrer Operation der Presse und erzählte unter Tränen von ihrer Freude und Dankbarkeit, weil sie endlich wieder im Leben zurück war. Mit neuem Ansehen zurück unter Menschen.

Andere Erscheinungsformen


Auch wenn es solche Formen dieser Krankheit in unseren Breiten nicht mehr gibt, Aussätzige gibt es trotzdem nach wie vor. Und die Auswirkungen, mit denen sie zu kämpfen haben, sind ganz ähnliche wie damals.

Menschen werden auch heute isoliert, abgestempelt und manchmal gemieden wie die Pest. Sind sie gezeichnet von Alkohol und Drogen gruppiert man sie gerne als asozial ein und lässt sie spüren, dass sie Randexistenzen sind. Sind sie Asylanten oder gehören bestimmten Minderheiten an, zweifelt man an ihrer Integrationsfähigkeit und weist ihnen bestimmte Räume zu, die Stück für Stück immer mehr zu Gettos werden, aus denen es oft kein Entkommen gibt. Auch wenn man es ihnen nicht immer offen sagt, spüren sie, dass sie nicht dazugehören, dass man sie im Grunde nicht haben will und deswegen einen großen Bogen um sie macht. Was es damals zur Zeit Jesu gab, gibt es heute in neuen Formen immer noch. Ausgesetzte, isolierte Menschen, denen es so ergeht, wie der Dichter Rilke es beschreibt: »Und ich schlage mein Klapperwerk, klopfe mein trauriges Augenmerk in die Ohren allen, die nahe vorübergehn. Und die es hölzern hören, sehn erst gar nicht her, und was hier geschehn wollen sie nicht erfahren.«

Jesus setzt Zeichen

Die Gesellschaft Jesu war in vielen Bereichen nicht besser als die Gesellschaft heute. Er setzt ein Zeichen gegen Unbarmherzigkeit und Ausgrenzung, deswegen streckt er die Hand aus nach denen, die in den Augen der Menschen keine Zukunft haben und schafft Berührungspunkte für die, die andere längst aufgegeben haben. Sein Weg heißt: Nicht mit den Fingern auf sie zeigen, um sie verächtlich zu machen, sondern den Zeigefinger heben, um auf ihr Schicksal aufmerksam zu machen. Jesus setzt Zeichen. Zeichen für das anbrechende Gottesreich, das mit ihm beginnt. Dieses Gottesreich grenzt niemanden aus, es lässt nicht zu, dass Menschen andere zu Randexistenten erklären. Und deswegen bricht Jesus Tabus, nicht weil er die Gesetze gering achtet, sondern weil ihm der Mensch so wichtig ist. Papst Franziskus spricht oft davon, dass sich die Kirche an die Ränder begeben muss, dorthin, wo Menschen am Rand stehen oder an den Rand gedrängt werden. Das ist der Ansatz Jesu gewesen und das soll in den Augen des Papstes der Ansatz der Kirche von heute sein.

Eine Kirche, die Zeichen setzt

Kirche setzt Zeichen, wenn ihre ureigenste Stärke die Menschensorge ist, die über allem steht. Wenn sie sich an die Seite der Menschen begibt, die an den Rand gedrängt sind oder werden, die isoliert, verkannt, krank, abhängig oder Hilfe suchend sind. Deren Klapperwerk unüberhörbar ist, die aber schlichtweg gerne übersehen und überhört werden. Jesus war hellhörig für den Hilferuf der Menschen. Die Kirche muss es auch sein, ohne Berührungsängste die Hände ausstrecken und Hände reichen, offene Türen haben, die einladend sind. Eine Sprache sprechen, die warmherzig und anrührend wirkt, konsequent in der Sache, aber gut zum Menschen. Sie darf sich als Ort verstehen, der Platz hat für alle, die sich verlassen fühlen, gescheitert und ausgegrenzt sind. Wo auch die unbequemen und manchmal lästigen Töne zugelassen sind und nicht totgeschwiegen werden. Unmenschlich, hart und damit unjesuanisch wirkt sie dort, wo das Klappern der Gesetzesrollen lauter zu hören ist als die Worte der Versöhnung, der Barmherzigkeit und des Neuanfangs. Wo Menschen mit ihrer brüchigen Biografie in dieser Kirche auf verschlossene Ohren und verschlossene Herzen treffen, weil einmal gemachte Fehler ihnen ein ganzes Leben lang nachhängen und nicht verziehen werden; »aber vielleicht machst Du meine Klapper so laut, dass sich keiner in meine Ferne traut, der mir jetzt aus der Nähe weicht.«

Persönliche Heilungsgeschichten

Jesus hat mit seinem Handeln Zeichen gesetzt. Er hat Aussätzige berührt und geheilt. Weil er aufmerksam war für Menschen.

Wie befreiend solche Momente liebender Aufmerksamkeit sind, erfahre ich immer wieder. Wenn einer auf mich aufmerksam wird und spürt, wie es um mich steht. Wenn ich das Gesicht verloren habe und um mein Ansehen kämpfe, dann ist es gut, wenn mir jemand eine Brücke baut, statt sie zwischen ihm und mir abzubrechen. Wenn einer mit einem Lächeln auf mich zukommt und den ersten Schritt macht, statt mir aus dem Weg zu gehen. Wenn einer ein gutes Wort für mich übrig hat und mir die Hand reicht, statt mir die Tür zu weisen. Solche ganz persönlichen kleinen Heilungsgeschichten des Alltags kann jeder erzählen und je größer die Befreiung war, die er dabei erlebt hat, um so mehr will er manchmal davon sprechen.

Jesus war ein Mann liebender Aufmerksamkeit, der keinen übersehen und überhört hat. So wünsche ich mir Kirche in seiner Nachfolge. Die mit ihm an die Ränder geht, mit ausgestreckten, offenen Armen. Berührungspunkte schafft, hereinholt statt ausgrenzt. Das Klapperwerk heutiger Menschen wahrnimmt, Barrieren niederreißt, versöhnende und heilende Wort spricht, die Mut machend in den Ohren der Menschen klingen. Eine Kirche, die Zeichen setzt und Freude am Leben zurückgibt. Damit Menschen wieder ihren Platz haben, ihr Ansehen und Zukunft. Und die dann mit einem Lachen davon überall weitererzählen, was sie mit ihm und seiner Kirche erlebt haben: Begegnungen liebender Aufmerksamkeit.

Matthias Effhauser

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