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Die Schriftleitung
Leseprobe 1
Pfingsten – 19./20. Mai 2013
I. In der Muttersprache des eigenen Lebens (thematisch)

Zielsatz: Das Sprachwunder damals in Jerusalem und heute betrifft Sprecher und Hörer gleichermaßen und besteht darin, dass jeder das Evangelium auf seine Weise verstehen kann.


Ein Sprachenwunder

Die Lesung am Pfingstfest ist der Aquaplaning-Test für jeden Lektor und jede Lektorin: Parther, Meder, Elamiter … Mesopotamien, Kappadozien, Phrygien und Pamphylien, Libyen und Zyrene. Der Evangelist Lukas scheint es geradezu darauf angelegt zu haben, den Vortragenden ins Stolpern zu bringen. Man kann ihm wohl gar ein gewisses Vergnügen dabei unterstellen, der Liste der verschiedenen Völker und Volksstämme, die Zeugen des Pfingstwunders geworden sind, schon lautmalerisch einen möglichst exotischen Klang zu geben. Ein Sprachenwunder sei es gewesen, dieses erste Pfingstfest, heißt es: »Alle wurden mit dem Heiligen Geist erfüllt und begannen, in fremden Sprachen zu reden, wie es der Geist ihnen eingab.« Die einfachen Fischer aus dem Provinzwinkel Galiläa beherrschen auf einmal eine Fülle von Weltsprachen und Dialekten. Und – folgt man dem Text wörtlich – beginnen sie auch alle sofort, offenbar mehr oder weniger gleichzeitig, in diesen verschiedenen Sprachen zu reden.

Ich versuche mir vorzustellen, wie sich das angehört haben mag. Das kann nur ein ziemliches Durcheinander gewesen sein. Umso erstaunlicher, allein schon aus akustischen Gründen, was dann passiert. Die zusammengeströmten Menschen verstehen! Jeder hört sie in seiner Muttersprache reden.

Ein Verstehenswunder

Nicht primär bei den Sprechern ereignet sich doch da das Wunder, sondern bei den Hörern, genauer: bei Sprechern und Hörern gemeinsam. Nicht bei den Sprechern, also den Aposteln allein wirkt der Geist, sondern bei den Sprechern und Hörern, d. h. dem zusammengeströmten Volk, gemeinsam. Ein bloßes Sprachenwunder hätte sich in unserer Zeit durch professionelle SimultanÜbersetzungsanlagen erledigt. Die Pfingstgeschichte handelt aber von mehr: von den immer neuen Wundern des Verstehens, die die Kirche von Anfang an begründen und durch die Zeiten am Leben erhalten.

Die Pfingstgeschichte steht wie eine Ouvertüre am Beginn der Apostelgeschichte. Sie nimmt bereits verdichtet vorweg, was dann in den folgenden Kapiteln erzählt wird: Das Evangelium von Jesus Christus sprengt die Grenzen seiner Ursprungsreligion. Es geht hinaus in die Welt, zu den Menschen mit ganz unterschiedlichen »Muttersprachen«, unterschiedlicher ethnischer Herkunft, unterschiedlicher sozialer Prägungen und Milieus, mit unterschiedlichen Lebensgeschichten und -erfahrungen. Und diese verstehen das Evangelium, nehmen es auf mit ihrem Herzen und ihrem Leben und werden so zur »Kirche«, zur »kyriake ekklesia«, wie es im Griechischen heißt, zur Versammlung des Herrn.

Die Kirche entsteht und wächst heran durch das Evangelium und durch die Resonanzen, die es im Herzen der Menschen findet. Das Evangelium kommt erst zum Klingen im Leben und durch das Leben der Menschen, in den verschiedenen Lebensformen und Lebenssituationen, in die hinein es gesprochen wird.

Die Muttersprache: das eigene Leben

Mein Leben, meine Lebensgeschichte, meine Lebenssituation heute: Das ist der Raum, in den hinein das Evangelium heute gesprochen wird. Ob ich heute fröhlich oder traurig bin, ob sich mein Leben zur Zeit leicht anfühlt oder mit Sorgen belastet ist, die Aufgaben und Beziehungen, in die ich gestellt bin, die Erfahrungen, die mich zu dem Menschen werden ließen, der ich heute bin – das alles macht meine »Muttersprache« aus. Es prägt die Art und Weise, wie ich zuhöre, aufnehme und verstehe. Es macht, dass mich das eine leichter, anderes schwerer oder gar nicht »anspricht«. Die Kinder unter uns verstehen das Evangelium auf ihre besondere Weise, wie vielleicht nur sie es können. Als junge Erwachsene verstehen wir anders als die Älteren und die ganz Alten. Jeder versteht es auf seine besondere Weise – in seiner »Muttersprache«.

Niemand vermag die ganze Fülle der Wahrheit des Evangeliums allein zu erfassen. Und dennoch ist auch in dem Wenigen, das einer im Glauben erfasst, das ganze Evangelium da. Auf den 2005 verstorbenen Prior von Taizé, Frère Roger Schutz, geht das Wort zurück: Lebe das, was du vom Evangelium verstanden hast und sei es noch so wenig. Das genügt.

Dialog – ein Weg zur Fülle der Wahrheit

Wir sollten aber einander erzählen: von unserem Leben und wann und wo ein Impuls der Botschaft Jesu für uns bedeutsam geworden ist. Auch: Welche Fragen sich uns stellen, womit wir nicht fertig sind und vielleicht auch nicht fertig werden – gottlob.

Tun wir das, dann wachsen wir gemeinsam nach und nach mehr in den Reichtum des Evangeliums hinein. Das wäre der tiefe, geistliche Sinn des derzeit viel beschworenen Dialogs: gemeinsam Hörende sein, was der Geist Gottes der Kirche – also uns allen – durch das Leben und die vielfältigen Erfahrungen der Menschen hindurch sagen will; und uns so hineinführen lassen, in die ganze Wahrheit, die uns Christus durch seinen Geist verheißen hat.

Judith Müller

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