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Die Schriftleitung
Leseprobe 1
50 Jahre Zweites Vatikanisches Konzil
Neuorientierung im Selbstverständnis der Kirche. Die Kirchenkonstitution »Lumen Gentium«
Die Magna Charta des Konzils

»Magna Charta des Zweiten Vatikanischen Konzils« hat man die Dogmatische Konstitution über die Kirche »Lumen Gentium« (LG) genannt. Sie ist zentral für die anderen Beschlüsse. Ihre Entstehungsgeschichte war eine konfliktreiche Neuorientierung im Selbstverständnis der Kirche. Seit der Neuzeit war man auf die Kirche als »streitende Kirche« (ecclesia militans) fixiert: Wie eine »dicht gedrängte Streitmacht« (agmen confertum) steht sie im Kampf, zuerst gegen den Protestantismus in der Gegenreformation, seit dem 19. Jahrhundert allge- mein gegen die moderne Gesellschaft und den »Zeitgeist«, den man pauschal für glaubenslos, sogar für glaubens- und kirchenfeindlich hielt. Auf dieser Linie lag auch die Konzilsvorlage der vorkonziliaren Kommission. Die Konzilsväter hingegen wollten eine Darstellung von Wesen und Sendung der Kirche, die umfassend aus den biblischen und liturgischen Quellen und den Kirchenvätern schöpft. Bischof Huyghe forderte: »Das vorgelegte Schema muss völlig umge- staltet werden.« Zu zeigen ist eine Kirche, die »ganz vom Geist des Evange- liums durchdrungen ist, das heißt vom Geist der Offenheit und der katholischen Weite, der missionarischen Sendung, der Demut und des Dienstes«. Und: »Es gibt in der Kirche kein Zweiklassensystem: Hier die Klasse der Herrschenden (Klerus), dort die Klasse der Gehorchenden (Laien).« Bischof de Smedt will einen Text über die Kirche, der frei ist von allem »Klerikalismus«, »Juridismus« und »Triumphalismus«, von jeder »Sorge um Ruhm und Prestige« und von allen »indiskreten Superlativen«.

Es gab stürmische Diskussionen. Auch Beobachter, die von der Kirche nichts erwarteten, begannen zu staunen: »Das Fossil bewegt sich!« Die Konstitution wurde neu abgefasst. Die Hauptleitlinien seien genannt.

»Das Licht der Völker ist Christus«


Der Beginn ist Programm: »Das Licht der Völker ist Christus.« Nicht die Kirche ist das Licht; sie leuchtet nur, soweit das Licht Christi »auf ihrem Antlitz wider- scheint«. Das Konzil »wünscht dringend«, dass Christi Licht allen Menschen auf leuchtet, allein deshalb verkündet die Kirche das Evangelium (LG 1).

Das 1. Kapitel heißt »Das Mysterium der Kirche«, nicht etwa, weil es in ihr oft »mysteriös« zugeht, sondern weil sie »wie ein Sakrament« (lateinisch für Mysterium) ist und sein soll, d. h. »Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit« (LG 1). Eine hochbedeutsame Konsequenz: Früher hieß es, die Kirche müsse alle Menschen zu Katholiken machen, weil es »außerhalb der Kirche kein Heil« gebe. Jetzt: Sie soll in der Welt Gnadenzeichen des Heils sein für alle Menschen, gleich welcher Religion und Weltanschauung, und selbstlos der Menschheit und ihrem Heil dienen. Sie weiß und bezeugt: Auch wer das Evangelium nicht kennt, steht in Gottes Gnade und kann »das ewige Heil erlangen« (LG 16).

Die Kirche – »stets der Reinigung bedürftig«


Neue programmatische Töne bringt auch LG 8: Die Kirche wird »nicht irdische Herrlichkeit suchen«, sondern ein Beispiel von »Demut und Selbstverleugnung« sein. Der Auferstandene stärkt sie, »ihre Trübsale und Mühen, innere gleicher- maßen wie äußere, durch Geduld und Liebe zu besiegen und sein Mysterium, wenn auch schattenhaft, so doch getreu in der Welt zu enthüllen, bis es am Ende im vollen Lichte offenbar werden wird«. Wichtig ist: Früher sah man nur äußere Feinde der Kirche. Jetzt sieht man »Trübsale und Mühen« auch im Innern der Kirche. Man denke da an Konflikte aller Art, ausweglose Situationen, versäumte Chancen, verschleppte Reformen, auch an den mühsamen, oft aufreibenden Umgang mit eigensinnigen, begriffsstutzigen, engstirnigen Menschen, die man auf allen kirchlichen Ebenen erleben kann.

Ferner: Früher (1832) lehrte Papst Gregor XVI.: »Wahrhaft absurd ist es, eine Erneuerung und Wiedergeburt der Kirche zu verlangen, als wenn sie einem Mangel oder einer Verdunklung ausgesetzt sein könnte.« Das Erste Vatikanum sollte lehren (es kam nicht dazu), die Kirche sei »unveränderlich« in der Ver- fassung, »frei und unberührt von jeder Gefahr des Irrtums und der Falschheit«, eine »vollkommene Gesellschaft«. Jetzt heißt es: Die Kirche verkündet das Mysterium Christi getreu, aber auch schattenhaft, unklar, dunkel. Sie ist »zugleich heilig und stets der Reinigung bedürftig, sie geht immerfort den Weg der Buße und Erneuerung« (LG 8). Ihre Heiligkeit ist unvollkommen, sie geht der Vollendung erst entgegen (LG 48). Sie ist »zur dauernden Reform (reformatio) gerufen« (Ökumenismusdekret 6), ecclesia semper reformanda. Daher steht in einem Hochgebet: »Mache deine Kirche zu einem Ort der Wahrheit und der Freiheit, des Friedens und der Gerechtigkeit, damit die Menschen neue Hoffnung schöpfen.«

Weiter – der große Impuls für die ökumenische Bewegung: Früher war man überzeugt, dass die Kirche Christi des Glaubensbekenntnisses allein und ausschließlich die römisch-katholische Kirche sei; andere Kirchen seien nur dem Schein nach Kirche. Jetzt sieht man anders: »Die einzige Kirche Christi … ist verwirklicht (besser: existiert) (subsistit) in der katholischen Kirche« (LG 8). Aber auch die anderen Kirchen werden »Kirchen und kirchliche Gemein- schaften« genannt (Ökumenismusdekret 19); denn, so bestätigt die Enzyklika Ut unum sint (1995), auch in ihnen ist kraft ihrer »vielfältigen Elemente der Heiligung und der Wahrheit« (LG 8) »die eine Kirche Christi wirksam gegenwärtig«.

Das Volk Gottes – das gemeinsame Priestertum der Gläubigen

Noch vor dem Kapitel über die hierarchische Verfassung der Kirche thematisiert das zweite Kapitel das, was allen Gläubigen gemeinsam ist: Sie sind »das Volk Gottes«, das »von Christus zu einer Gemeinschaft des Lebens, der Liebe und der Wahrheit bestellt« ist, »als Licht der Welt und Salz der Erde in alle Welt gesandt« (vgl. Mt 5,13–16), »auf der Suche nach der kommenden und bleibenden Stadt« (vgl. Hebr 13,14). (LG 9).

Für den ökumenischen Dialog höchst bedeutsam ist LG 10: Alle Gläubigen sind, allen Unterschieden der jeweiligen Verantwortung voraus, in der Taufe zu »einem heiligen Priestertum geweiht« (vgl. 1 Petr 2,4). Wichtig ist, dass hier das »gemeinsame Priestertum der Gläubigen« betont wird, ohne dass wie früher sogleich dazugesagt wird, das sei nur in uneigentlichem Sinn gemeint. Ferner LG 12: Früher sah man nur die Unfehlbarkeit des Papstes. Jetzt heißt es: »Die Gesamtheit der Gläubigen … kann im Glauben nicht irren, wenn sie ›von den Bischöfen bis zu den letzten gläubigen Laien‹ ihre allgemeine Übereinstimmung in Sachen des Glaubens und der Sitten äußert«. Die Tragweite dieser Lehre für das Leben der Kirche ist bis heute kaum ausgelotet. Ferner LG 13: Früher verstand man Einheit der Kirche meist als Einheitlichkeit und Uniformität, jetzt ist die Einheit in Vielfalt betont. Das Volk Gottes besteht zu Recht aus ver- schiedenen Teilkirchen mit eigenen Ordnungen und eigenen, auch kulturell bedingten Überlieferungen. Einheit der Kirche ist Einheit in Verschiedenheit. Der Dienst des Primats ist, dass er die rechtmäßige Verschiedenheit vor voreiliger Vereinheitlichung schützt und zugleich wacht, »dass die Besonderheiten der Einheit nicht nur nicht schaden, sondern ihr vielmehr dienen«.

Der Hirtendienst in der Kirche in Kollegialität

Das dritte Kapitel: »Die hierarchische Verfassung der Kirche, insbesondere das Bischofsamt«. Das Erste Vatikanum behandelte nur das Papsttum; dann musste es abgebrochen werden. Das Zweite Vatikanum will ergänzen und vor allem über Stellung und Aufgabe der Bischöfe sprechen. Die Amtsträger sind dem Gottesvolk dienstbar (inserviunt), als Hirten, nicht als Oberbefehlshaber (LG 18). Wesentlich und zukunftsweisend ist die Betonung von Kollegialität und Synodalprinzip. Kurz gesagt: Nicht »einer schafft an, die anderen gehorchen« ist die Grundstruktur der Kirche, sondern Konzil (= zusammen beraten) und Syn- ode (= zusammen gehen). Nicht der Papst allein, auch das Kollegium der Bischöfe (zu der der Bischof von Rom gehört) trägt Verantwortung für Einheit und »rechtmäßige Verschiedenheit« in der Kirche. – Offen blieb jedoch das Wie: Wie kann man die überkommenen monarchischen, absolutistischen Strukturen in kollegiale und synodale Prozesse, in denen sich die gemeinsame Verantwort- ung zeigt, überführen? Über Anfänge ist man bis heute nicht hinausgekommen.

Die Würde und Verantwortung der Laien in der Kirche

Im Kapitel 4 über »die Laien« wird ihre Würde neu betont. Sie haben Teil »am priesterlichen, prophetischen und königlichen Amt Christi« (LG 31). Eigens heißt es: Laien und Amtsträger, »unter allen waltet wahre Gleichheit in der allen Gläubigen gemeinsamen Würde und Tätigkeit zum Aufbau des Leibes Christi« (LG 32). »Das Apostolat der Laien ist Teilnahme an der Heilssendung der Kirche selbst« (LG 33). Für die Praxis gilt: Die Laien haben »auch die Pflicht, ihre Meinung in dem, was das Wohl der Kirche angeht, kundzutun«, »immer in Wahrhaftigkeit, Tapferkeit und Klugheit, mit Ehrfurcht und Liebe«. Und die »geweihten Hirten« (auch die Pfarrer!) sollen »die Würde und Verantwortung der Laien in der Kirche anerkennen und fördern. Sie sollen gerne deren guten Rat benutzen, ihnen vertrauensvoll Aufgaben im Dienst der Kirche übertragen und ihnen Freiheit und Raum im Handeln lassen, ihnen auch Mut machen, aus eigener Initiative Werke in Angriff zu nehmen« (LG 37). Dazu die Pastoral- konstitution Gaudium et spes, »Der Dialog mit allen Menschen«: Vor allem in der Kirche selbst ist »ein immer fruchtbareres Gespräch zwischen allen in Gang zu bringen, die das eine Volk Gottes bilden, Geistliche und Laien«. Dabei sei »im Notwendigen Einheit, im Zweifel Freiheit, in allem die Liebe« (GS 92).

Verantwortung in der Gegenwart

Diese Leitlinien weckten viel Hoffnung in Kirche und Welt; sie faszinieren noch heute, sie sind nicht veraltet, wie manche meinen. Das Konzil wollte die Kirche erneuern und zurüsten für den Weg in die Welt des 21. Jahrhunderts. Allerdings: Wille zu aggiornamento und Reform ist noch nicht aggiornamento und Reform selbst. Das Programm muss nach und nach den Gläubigen, Amtsträgern und Laien, in Fleisch und Blut übergehen und sich konkretisieren.

Mühsame Prozesse! Vieles hat sich gut entwickelt, genannt seien nur die Reform der Liturgie und das Selbst- und Sendungsbewusstsein der Laien. Freilich: Re- formmüdigkeit, Angst vor Zerfall, verklärter Blick zurück bringen viele Re- formen ins Stocken. Und es gibt auch hastigen Reformeifer mit wenig Umsicht und wenig Respekt vor anderen Meinungen und vor den Schmerzen, die jeder Abschied von lieben Gewohnheiten bringt. All dies gehört zu den »internen Trübsalen und Mühen«, von denen das Konzil spricht. Es weiß, dass es im Geist Christi nicht anders geht, als sie »durch Geduld und Liebe zu besiegen« (LG 8). Uns gegenseitig dazu zu ermutigen, ist Gebot der Stunde.

Karl-Ernst Apfelbacher

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