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Die Schriftleitung
Leseprobe 2
Christkönigssonntag – 20. November 2011
I. Das Leben lesen lernen (Mt 25,31–46)

Zielsatz: Die Predigt möchte das Bild vom Weltgericht als Hoffnungsbild und in diesem Sinne als Inspiration für das alltägliche Leben heute erschließen.

»Ein Schüler kam zu seinem Rabbi und fragte: ›Früher gab es Menschen, die Gott von Angesicht zu Angesicht gesehen haben. Warum gibt es die heute nicht mehr?‹ Darauf antwortete der Rabbi: ›Weil sich niemand mehr so tief bücken mag.‹«

Spiritualität für die Welt
Es ist eine atemberaubende Rede, mit der Jesus die Unterweisung seiner Jünger abschließt. Und nicht nur das. Die Rede vom »Weltgericht« ist überhaupt seine letzte Rede, bevor die Passionsgeschichte beginnt. Entsprechend bedeutsam erscheinen diese Worte, die Jesus dennoch im engsten Kreis ausspricht. Kein Volk ist zugegen, sondern »nur« die, die Jesus schon kennengelernt und sich ihm anvertraut haben. Für sie bringt er noch einmal auf den Punkt, worum es vor Gott und den Menschen im Leben geht. Wir dürfen getrost hinzufügen: Auch für uns tut er das.
Was Jesus zu sagen hat, ist nichts wirklich Neues. Die Jahre des gemeinsamen Unterwegsseins haben allen hier Versammelten gezeigt, was für das Leben der Einzelnen ebenso wichtig ist wie für Kirche und Gesellschaft: eine Liebe, die nicht aufrechnet. In seiner religiösen Unterweisung setzt Jesus dafür auf eine Spiritualität, die sich in einem konkreten Verhalten ausdrückt; ein Verhalten, das die Welt mitgestaltet und verwandelt und die Menschen zu einem neuen Miteinander befähigt.
»Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer!« Dieses uralte Gotteswort aus dem Buch des Propheten Hosea benennt in der Tradition des Matthäusevangeliums auch im Blick auf Jesu Leben den entscheidenden Akzent. Zweimal hören wir Jesus diese Worte selbst sagen: als die Pharisäer das Abreißen der Ähren am Sabbat anprangern (vgl. Mt 12,1–8), und als sie sich bei den Jüngern darüber beschweren, dass Jesus sich mit Zöllnern und Sündern an einen Tisch setzt und Mahl hält (vgl. Mt 9,10–11). Der so Angeklagte entgegnet den vermeintlich Gerechten wörtlich: »Geht und lernt, was es heißt: Barmherzigkeit will ich, nicht Opfer« (Mt 9,13).
»Geht und lernt«, das ist eine rabbinische Schulformel. Seine Jüngerinnen und Jünger, Menschen am Weg, das sich immer wieder versammelnde Volk und selbst noch seine Ankläger – also wirklich alle –, lädt Jesus damit ein, ihm zu folgen: in die Glaubens- und Lebensschule des Himmels auf Erden.

Lebendiges Wort
Wenn wir an der Seite Jesu Kapitel für Kapitel durch das Matthäusevangelium hindurchgehen, dann begegnen wir darin einem ganz bestimmten Muster: den großen Reden Jesu folgt immer ein Handlungsgeschehen. Der Bergpredigt (Kapitel 5–7) etwa folgen zehn Heilungswunder (Kapitel 8–9). Das ist eine buchstäblich wundervolle Komposition. In Jesu Art der Verkündigung ergänzen sich Worte und Taten nicht »nur«, sie brauchen einander, legen sich gegenseitig aus, interpretieren und bekräftigen sich. Das Wort, das nicht ins Leben kommt, ist in Jesu Augen frömmelndes, heuchlerisches Geplapper (vgl. Mt 6,5–8). Wo das Wort aber ins Leben kommt, da bringt es Heil und Licht denen, die im Schatten des Todes wohnen (vgl. Mt 4,16): Armen, Kranken, Aussätzigen, von Dämonen Besessenen, Ängstlichen, Gottfernen, Verzweifelten, Gelähmten, Sündern, Blinden, Mundtoten.

Liebeswort
Jesus konzentriert Gottes Wort – religiös gesprochen könnte man auch sagen: das Gesetz oder die Dogmatik – ganz auf das Doppelgebot der Gottes- und Nächstenliebe. Und er verschärft die Nächstenliebe zur Feindesliebe. Das will nicht überfordern, sondern auf Grundlegendes hinweisen: dass es zwischen Himmel und Erde nichts Wichtigeres gibt, als dass der Mensch fähig wird zu lieben und sich zu solidarisieren – vor allem mit denen, von denen man nicht weiß, was man von ihnen zurückbekommt, wenn man sich ihnen zuwendet. Das ist weniger ethische Forderung als vielmehr eine Einladung zum (Mit-)Leben in dieser Welt. Und diese Einladung gilt allen Menschen – ganz gleich, ob sie Jesus, den Menschensohn, kennen oder nicht.

Königliche Würde
Jesu Predigt in Wort und Tat bringt andere Glaubens- und Lebensmöglichkeiten in den Blick als gewohnt. Das gilt für Zeit und Ewigkeit. Die grundlegende Ermutigung besteht darin, dass wir das Kreisen um uns selbst aufgeben und damit beginnen, ehrlichen Herzens nach unseren Mitmenschen Ausschau zu halten – und in ihnen nach Gott. Auch hier geht es nicht um eine ethische oder spirituelle (Über-)Forderung, nicht darum, immer und überall in der rechten religiösen Gesinnung als selbstlose Helfer parat zu stehen. Es ist eine eher nüchterne, alltägliche und eigentlich unspektakuläre Mitmenschlichkeit, in der sich doch nicht weniger als der Himmel öffnet.
Dabei ist die aktive Solidarität, wie Jesus sie uns in seiner Rede vom Weltgericht vor Augen führt, nicht dazu da, zuerst unserem Selbstwert zu dienen oder unser (schlechtes) Gewissen zu beruhigen. Sie degradiert den Bedürftigen auch nicht zum bloßen Hilfsempfänger. Im Sinne Jesu beginnt das Reich Gottes da Wirklichkeit zu werden, wo Menschen einander aufrichten, weil sie sich gegenseitig als königliche Menschen zu sehen beginnen. Das ist der erste und es bleibt der entscheidende Schritt. Es soll kein oben und kein unten mehr unter den Menschen geben – und nie wieder ein »von oben herab«. Das wäre himmlisch.

In den Himmel eintreten
Wo Menschen beginnen, in den Himmel einzutreten, lernen sie in ganz eigener Weise, das Leben zu lesen. Aus Fremden werden Nächste. Die nahen oder fernen Nächsten werden zu Schwestern und Brüdern. In den Geringsten unter den Geschwistern begegnet uns Gott. So entsteht ein Reich, in dem kein Mensch unwichtig, kein Leid gleichgültig, kein Opfer übersehen ist. Dieses Reich zu erben und für die Ewigkeit in Besitz zu nehmen, darum geht es im heutigen Evangelium. Dabei liegt die Antwort auf die Frage danach, wem es zusteht, zur Rechten »des Menschensohns in seiner Herrlichkeit« (Mt 25,31) zu sitzen, nicht einfach auf der Hand. Es gibt hier keinen »natürlichen« Vorrang. Für niemanden. Für die Jünger nicht. Und nach ihnen auch für die Kirche nicht.
Jesus, der Menschensohn, fragt im Bild vom Weltgericht nicht nach der rechten Religion, nicht nach diesem oder jenem Bekenntnis. Vielmehr schaut der Christkönig darauf, zu welcher Lebenspraxis ein Mensch sich hat anstiften lassen. Dabei steht das Urteil schon fest. Doch es liegt nicht in der Hand eines strafenden Gottes. Und es ist auch nicht vorherbestimmt. Die Entscheidung liegt beim Menschen selbst, der sich zu einer engagierten Mitmenschlichkeit bewegen lässt – oder nicht.
Die Jünger, die Jesus jetzt im engsten Kreis zuhören, haben ihn bis hierher in der Mitte der Menschen stets als »Heiland« erfahren. Mit ihnen dürfen auch wir das Bild vom Weltgericht als Hoffnungsbild lesen lernen, in dem die Welt endgültig geheilt wird. »Scheidung« und »Gericht« sollen und wollen uns keine Angst einjagen. Sie sind weniger eine Information über Zukünftiges als vielmehr ein Aufruf, uns jeden Tag neu für das Leben zu entscheiden: Wo bauen wir mit am Himmel auf Erden? Und wo leben wir an Gott und den Menschen, in deren Gesichtern uns Gott begegnet, vorbei?
Nein, es geht auf unserer Welt nicht überall gerecht zu. Das gilt im zwischenmenschlich Kleinen wie im weltpolitisch Großen. Das Christkönigsfest stellt uns mitten hinein: in das Kleine wie in das Große. Jesus, der Weltenrichter, traut uns zu, Liebe-voll das Antlitz der Erde zu erneuern.

Vera Krause

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