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Leseprobe 2
Fünfundzwanzigster Sonntag – 18. September 2011
II. Sich auf der Ziellinie umdrehen (Mt 10,1–16a)

Zielsatz: Ich möchte die Zuhörer und Zuhörerinnen spüren lassen, dass in der Gemeinschaft mit Christus unser Leben anderen Bewertungskriterien unterworfen ist, als nur die von Leistung und Erfolg. Ich möchte sie entdecken lassen, dass wir in Jesus angesehen sind und darum immer Ansehen bei Gott haben werden.

Immer schneller
Olympische Spiele, China im Sommer 2008: Eine Filmsequenz von 9,68 Sekunden wird man auch in Zukunft immer wieder einmal zeigen: Viele von Ihnen werden sich an den 100-Meter-Lauf bei den olympischen Spielen in Peking erinnern: Usain Bolt aus Jamaika gewinnt die Königsdisziplin der Leichtathletik. Weltrekord. Aber was für ein Weltrekord.
Die Szene, so skurril sie ist, bleibt unvergessen: Usain Bolt, der das ganze Rennen über nach rechts schaut, wo sein Landsmann Powell läuft. Wie er die Arme ausbreitet, als er ihn nicht mehr sieht. Da sind noch zwanzig Meter zu laufen. Wie er sich auf die Brust schlägt. Da ist er immer noch nicht im Ziel. Wie die Uhr stehen bleibt, bei 9,68 Sekunden, die wenig später auf 9,69 korrigiert werden. Kein Wind. Alles schreit.
Die ganze Kurve braucht er zum Auslaufen. Irgendwann hält er an, nimmt die schwarz-grün-gelbe Flagge Jamaikas, von irgendwoher kommen noch ein paar goldene Schuhe. Usain Bolt tanzt, er herzt, er küsst. Und im Publikum schauen sich alle ungläubig an: Dass wir da dabei waren! Und alle fragen sich, wie viel schneller als 9,69 Sekunden er hätte laufen können, wenn er durchgelaufen wäre und nicht schon 20 Meter vor dem Ziel mit dem Jubeln angefangen hätte. 9,60? 9,50?
Fragen kommen dem Kommentator sofort über die Lippen. Wie ist eine solche Leistung möglich? Sogar Verdachtsmomente werden geäußert. Aber ein Jahr später verbessert Usaim Bolt den Weltrekord auf der Leichtalthletik-WM in Berlin auf 9,58 Sekunden. Das ist zwischen der 60- und 80-Metermarke umgerechnet eine Geschwindigkeit von fast 45 km/Std. Schneller kann ich mir einen laufenden Menschen kaum vorstellen.

Ein anderer Sieg
Erneut China. Wiederum 2008. Vier Wochen später. Eine ganz andere Szene: 9. September 2008. Keine Demütigung der Konkurrenz, keine Geste der Überlegenheit:
Es war eine angenehm zurückhaltende Freude, die Oscar Pistorius im Ziel des 100-Meter-Finales ausstrahlte. Wärmer und menschlicher ging es zu an diesem Dienstagabend im Nationalstadion von Peking als noch gut vier Wochen zuvor bei den Olympischen Spielen, als Usain Bolt seinen unglaublichen Lauf zu Gold auf beinahe anstößige Art und Weise zelebriert hatte.
Pistorius überläuft die Ziellinie, kehrt dann aber um und nimmt sich die Zeit zurückzulaufen, um den gestürzten Titelverteidiger Marlon Shirley zu trösten, bevor er sich zaghaft den voll besetzten Tribünen näherte.

Bilder des Lebens
Bilder des Lebens. Das eine Bild ist das Bild des Lebens, das sich nach dem Prinzip des Taschenrechners erschließt. Alles wird aufgerechnet. Nur die Spitzenwerte zählen. Ausschließlich der Rekord ist berichtenswert. Es zählt, was vermarktet werden kann in Euro und Cent.
Das andere Bild: Leben ist nicht nur »höher, schneller, weiter«. Was mehr zählt, ist Menschlichkeit, die sich zuwendet. Das war bei den Paralympics zu sehen. Wie oft wurde auf dem Siegertreppchen geweint? Selbst dem Bundespräsidenten verschlägt es die Stimme, als er zu den Leistungen der behinderten Sportler befragt wird. Das Bild, wie spastisch gelähmte Schwimmer für 50 Meter vier Minuten benötigen, sich mit einer ungeheuren Disziplin durchkämpfen, Meter für Meter ringen und sich selbst überwinden und sich dann aber gegenseitig bestaunen und beachten, das ist eine andere Lebensphilosophie als die, die mit einem Taschenrechner dargestellt werden könnte. Hier gilt wirklich noch: »Dabeisein ist alles.«

Religiöse Leitungssportler?
Kurz vor dem Evangelium vom so genannten »ungerechten Verwalter« steht die Frage des Petrus an Jesus: »Wir haben alles verlassen und sind dir nachgefolgt. Was werden wir bekommen?« Petrus macht Jesus darauf aufmerksam, dass er und seine Freunde so etwas geworden sind wie Leistungssportler in Sachen Nachfolge! Mehr kann man doch nicht mehr für das Reich Gottes vorzeigen, als dass man alles verlassen und hergegeben hat, um nun ganz für die Sache da zu sein.
Und dann erzählt Jesus das Gleichnis, das da unmissverständlich vor Augen hält: Auf die Leistung, die mit dem Taschenrechner beziffert werden kann, kommt es nicht an. Gott ist kein Freund der Rekorde. Er lässt sich nicht davon irritieren, wer zuerst ins Ziel einläuft. Er hat anderes im Blick, weil sein Blick gütig ist. Gott operiert nicht nach der Maxime: Hier die Gewinner im Rampenlicht des pulsierenden Lebens und dort die Verlierer, die in der Vergesslichkeit und Namenlosigkeit des Lebens untergehen. Bei Gott sollen alle aufs Treppchen. Für Gott sollen alle so viel bekommen, dass sie leben können. Das ist seine Gerechtigkeit. Für jeden ein Denar: Davon konnte eine Familie einen Tag leben.

Andere Bilder des Lebens
Wir leben in einer Zeit, in der es auch in der Kirche um Leistung geht. Wir fragen oft aus gutem Grund: Wie effizient ist die Pastoral in einer Kirchengemeinde? Lohnt sich die gottesdienstliche Feier noch bei wenigen Teilnehmern? Macht es in einer Gruppe noch Sinn zusammenzukommen, auch wenn nur noch die Hälfte von denen da sind, die vor zehn Jahren zusammengekommen sind? Aber wer nur so fragt, der lebt nach der Regie des Taschenrechners. Man muss auch anders fragen: Wo findet unter uns Begegnung statt, die aus Zuwendung und Freude aneinander hervorgeht? Wo wird Gott aus dem Herzen Lob und Preis entgegengebracht, sodass die, die dabei sind, von einem heiligen Schauer berührt werden? Und wo bezeugen Menschen ihren Glauben, weil sie die Hoffnung haben, es lassen sich auch heute Menschen von einer Botschaft gewinnen und anstecken, die mehr verkündet, als dass es in diesem Leben nur immer um nackte Zahlen geht?

Wir brauchen andere Bilder des Lebens als die, in denen Menschen mit Überheblichkeit und Größenwahn ihre Leistung beklatschen. Wir brauchen Bilder einer anderen Gerechtigkeit, Bilder, die deutlich machen, dass der Unterlegene Anteil am Sieg hat.
Wir brauchen eine kirchliche Mentalität, die sich auf der Ziellinie umdreht und sich dem zuwendet, der nicht mehr mitgekommen ist. Bei Jesus hieß das: Er war ein Freund der Dirnen, Zöllner und Sünder, der Männer und Frauen mit zweifelhaftem Ruf. Wir brauchen sein Bild, ein Bild, das zeigt: Gerechtigkeit und Güte gehören zusammen.

Heinz-Günter Bongartz

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