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Die Schriftleitung
Leseprobe 1
Palmsonntag – 17. April 2011
I. Palmsonntagsbetrachtungen (thematisch)

Vorbemerkung: Heute ist in der Liturgie wenig Zeit für die Sonntagspredigt. Darum hier vier einzelne Betrachtungen zum ernsten Spiel der Palmsonntagsliturgie, das zum Miterleben und Mitfeiern des Einzugs Jesu in seine Stadt einlädt.


Erste Betrachtung: Der Palmsonntag und die Heilige Woche
Als gemeindenahe Christen können wir in der Österlichen Erneuerungszeit vom Aschermittwoch bis zum Ostersonntag ein dramatisiertes Zeitkunstwerk entdecken. – Der Zyklus des christlichen Jahres-Pascha hat im Ostertag, in der Osterliturgie, der Dankfeier für den hingerichteten und auferweckten Jesus Christus, seine natürliche Mitte. Alle einzelnen Feste im Rhythmus des (lunaren) liturgischen Jahreskreises laufen auf den Ostersonntag zu bzw. strahlen seinen Osterglauben im Jahreslauf wider. Den vorbereitenden Rahmen um das Osterfest herum bildet zuerst die österliche Umkehrzeit der Vierzig Tage (Quadragesima) und dann die Heilige Woche. Die Osterwoche mit den anschließenden Vierzig Tagen bis Christi Himmelfahrt und mit den ausdrücklichen zehn Tagen der Vorbereitung auf das Pfingstfest (Pentekoste) bindet nicht nur Ostern und Pfingsten zusammen, sondern zeigt auch die Vollendung des Messiaswirkens Jesu Christi im Oster- und Pfingstereignis an.
Selbstverständlich ist Ostern das älteste Fest des dankenden Lobpreises der Christen für das göttliche Christus-Geschenk. Um diese Ostermitte herum legt die Liturgie (noch vor dem großen Jahres-Pascha-Rahmen, s. o.) einen ausdrücklichen Osterrahmen. Schon im zweiten Jahrhundert sind erste Formen dieser Rahmung zu erkennen: zuerst ein vierzigstündiges Fasten der unmittelbaren Vorbereitung auf den Ostersonntag und dann schrittweise die drei Heiligen Tage Gründonnerstag, Karfreitag, Karsamstag (Triduum sacrum). Damit wollen die Christen die Einheit von Karfreitag und Ostermorgen herausstellen, denn hier ereignet sich keine bloße Abfolge von Katastrophe und Triumph, von Trauer und Freude, sondern hier wird in der gefeierten Zeit die geheimnisvolle Einheit von Erniedrigung und Erhöhung Jesu Christi eingeholt, so wie es der Philipper-Hymnus (wohl schon um 40 nach Christus als Tauflied entstanden) ausspricht (vgl. dazu die Tageslesung, Phil 2,6–11): der Übergang, der Durchgang durch die alte Welt des Todes in die neue Welt des Lebens. Oder heilsgeschichtlich, typologisch gesprochen: Jesus zieht als neuer Mose aus dem Land der Knechtschaft in das Land der Verheißung. Noch einmal anders gesprochen: die Heiligen Drei Tage breiten die Einheit von Kreuz und Herrlichkeit im Christus-Geheimnis dramatisch-liturgisch aus: zum Mit-Glauben im Mit-Gehen.

Zweite Betrachtung: Palmsonntag und Palmprozession
Ein weiterer Rahmen, der um das Pascha-Mysterium gelegt wird, ist zunächst der Palmsonntag und dann die Heilige Woche; er will die geglaubte Einheit von Erniedrigung und Erhöhung Jesu Christi noch gründlicher zur Erfahrung bringen. Schon die spanische (oder südfranzösische) Heilig-Land-Pilgerin und Klosterfrau Egeria erlebt um 380 eine Prozession am Palmsonntag vom Ölberg in die Stadt Jerusalem: ein Nachgehen des Jesus-Weges, um so seinen paschalen Durchgang am eigenen Leib nachzuerleben. Rasch verbreitet sich im 9./10. Jahrhundert dieser Brauch der Palmprozession in den europäischen Ländern, gefördert durch die gallisch-fränkische Liturgie und noch verstärkt durch die spätere Kreuzzugsbewegung. Die Weihe der Palmzweige wird fester Bestandteil der Palmsonntagsliturgie. Um das Erleben des heiligen Spiels des festlichen Einzugs Jesu in die Stadt Jerusalem noch zu verstärken, wird zunächst auf einer Sänfte das Evangelienbuch mitgetragen oder auch eine Pyxis mit dem Heiligen Sakrament. Zugleich entsteht schon im 10. Jahrhundert im süddeutsch-schweizerischen Raum der Brauch, einen lebensgroßen hölzernen Esel mit einer sitzenden Jesus-Figur mitzuführen. – Alle diese Zeichen und Gesten gestern wollen in ihrem Naturalismus dazu dienen, die Jesus-Geschichte in die eigene Gegenwart zu holen und so über ihren Erlebnisgehalt an ihrem Bedeutungsgehalt teilnehmen zu können: Teilnehmen durch Nachahmen. – Heute schauen wir Christen eher mit den fragenden und staunenden Augen des Glaubens auf den Jesus-Weg, auf den messianischen Einzug in die Heilige Stadt. Wer ist das, den wir da Gott nennen, der seine liebende, wirkende, verborgene Gegenwart bei den Menschen verspricht – bei seinem Heiligen Volk? Wer ist das, den wir als den Sohn der Maria, als den Mann aus Nazaret kennen und in dem wir als Christen die menschgewordene Liebe Gottes zu seiner Welt, zu seinen Menschen glauben? Ja, wir wissen und glauben Jesus als Messias, als Gottes Wort, als Gottes Hand, als Gottes Sohn. Aber die Warum-Fragen bleiben, vor allem das dunkle Geheimnis der Einheit von Karfreitag und Ostermorgen. Selbst die Augen des Glaubens sehen nur ein fern-nahes Licht.
Auch wir machen heute unseren Weg bei der Prozession mit den Palmzweigen, und zwar am besten ein längeres Stück außerhalb der Kirchenmauern, um die öffentliche, die soziale, die politische Dimension des Jesus-Wirkens und unseres Christus-Glaubens vor uns selbst und vor anderen zu zeigen. Wenn Jesus in seine Stadt einzieht, so ist das keine feindliche Okkupation, sondern eine friedliche Proklamation: auf einem Eselsrücken in die Mitte des Alltagslebens. Wie in einer deutenden Geste, in einer prophetischen Zeichenhandlung, spricht Jesus in diesem Einzug seine neue Sicht von Gott und Welt, von Gott in Welt in Niedrigkeit aus. Darum ist der Palmzug von draußen nach drinnen so wichtig: Der Kirchenraum steht hier für die Stadt und ihr Innenleben.
Der Palmsonntag und seine Prozession sind also mehr als nur das Eingangstor in die Heilige Woche, sie sind der erste Akt der geheimnisvollen Thronbesteigung des Messias, des Neuen Davids. In der Theologie des Johannes-Evangeliums gesprochen steigt Jesus auf den Thron des Kreuzes (eingespannt in die Gebräuche des jüdischen Laubhüttenfestes: Winken mit Palmzweigen). Wenn wir in diesem Huldigungszug bewusst mitgehen, dann tut es gut, das »Hosanna dem Sohn Davids!« mitzusingen, aber auch im Stillen zu bedenken, welche Folgekosten ein solches bekennendes Einverständnis mit dem Messias auf dem Eselsrücken und auf dem Kreuzthron für uns haben wird. Vielleicht tut es darum gut, daheim die beiden Palmsonntags-Psalmen: Psalm 24, ein Stück Introitus-Liturgie, und Psalm 22, das Schreien und Stöhnen des Gottverlassenen, betrachtend zu beten. Denn der Palmsonntag und seine Prozession sind und bleiben eine Provokation gegen unsere alltäglichen Selbstverständlichkeiten.

Dritte Betrachtung: »Ruhm und Preis und Ehre sei Dir!«
In manchen Gemeinden wird zum Einzug der Palmprozession in die Kirche »Macht hoch die Tür, die Tor macht weit« (GL 107, 1–5) gesungen, eine hintersinnige Sitte: der neue Advent des Messias wird ausgerufen. Noch passender vielleicht zur Prozession und zur Feier der Palmsonntagsliturgie ist der Hymnus »Gloria, laus et honor« des Bischofs Theodulf von Orleans (um 815, vgl. GL 197). Dieses Lied mit seinen ursprünglich zweizeiligen 37 Strophen (Distichen) mit der immer wiederholten Antiphon »Ruhm und Preis und Ehre sei Dir!« führt die doppelte Ankunft Jesu Christi, des Gottessohnes in Menschengestalt, und den Einzug des Davidssohnes in seine Königsstadt Jerusalem zusammen mit der Ankunft des Ostersiegers im Haus seines Vaters, im Himmel. Diese eschatologische Ausweitung gibt der Feier des Palmsonntags die entscheidenden Dimensionen: die gefeierte Erinnerung holt das Messiaswirken Jesu in unsere Gegenwart und öffnet zugleich unsere Menschengeschichte in die messianische Zukunft hinein: die endzeitliche Palmprozession, der neue Exodus in das Land der Verheißung, beginnt heute neu – mit uns.

Vierte Betrachtung: Der Palmzweig und sein Bedeutungsprisma
Der Palmzweig ist zuerst ein Mitbringsel aus der Palmsonntagsliturgie, ein Stückchen Erinnerung an ein Christusfest in der Gemeinde; darum ist sein geeigneter Platz am Kreuz im Wohnraum oder im Eingangsbereich des Hauses. – In manchen Familien ist es noch heute ein lebendiger Brauch, einzelne Zweige des Palmbusches im ganzen Haus, im Keller und in der Garage anzubringen, nicht zur Abwehr von Gefahren, sondern umgekehrt: als Segenszeichen für alle Lebensbereiche. Die ganze Familie geht durch alle Räume, betet überall ein kleines freies Segensgebet und steckt den kleinen Palmzweig an. – Hinter diesem Brauch steht ein stilles Bekenntnis zu diesem Messias des Palmsonntags, zu diesem Friedenskönig auf dem Esel, zum Sohn Gottes auf dem Thron des Kreuzes. Dieser kleine Palmzweig ist so ein zeichenhaftes Bekenntnis: »Ich gehöre zur Jüngerschaft dieses Christus!« – Endlich ist dieser grüne Zweig – möglicherweise an das dürre Holz des Familienkreuzes geheftet – ein kühnes, ein paradoxes Hoffnungszeichen: das Kreuz ist seit Jesu Tod und Auferweckung kein Zeichen des Todes und der Schande mehr (vgl. Dtn 21,22f.; 1 Kor 1,18; Hebr 12,2), sondern ein Zeichen der Hoffnung, des neuen Lebens für alle – diesseits und jenseits der Todesschwelle. Der grüne Zweig am scheinbar dürren Holz sagt trotzig: das Kreuz ist ein immer grünender, immer blühender Lebensbaum (Gen 2,9), wir alle können von seinen Früchten essen. Denn das Kreuz Jesu Christi ist das Pfand unserer Hoffnung, dass die Geschichte der Liebe Gottes zu uns Menschen nicht an unseren öffentlichen und privaten Kreuzen endet, sondern – was auch kommen mag – Gott selbst uns wie unseren Bru­der Jesus ins Leben trägt – über alle unsere Irrwege hinweg (vgl. Q 15,4f.; Mt 18,12ff. par). Auf diese Osterhoffnung weist der grüne Palmzweig hin für alle, die mitgehen wollen mit dem Messias auf dem Esel. Palmzweige sind Osterzweige.

Gottfried Bitter

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