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Leseprobe 2
Kasualpredigt | Zur Beerdigung
»Abschied ist ein scharfes Schwert«

Anlass: Traueransprache für eine 83–jährige Frau.

Abschied ist ein scharfes Schwert,
das oft so tief ins Herz dir fährt.
Du bist getroffen und kannst dich nicht wehren,
Worte sind sinnlos, du kannst sie nicht hören.
(Aus einer Ballade von Roger Whithaker).

Der Tod ist wohl das schärfste Schwert, das wir kennen.
Die Wunden, die dieses Schwert schlägt, sind besonders tief, sie gehen wirklich bis ins Herz. Und dann wird unsere ganze Hilflosigkeit angesichts des Todes deutlich. Wir können uns nicht wehren. Weder als Betroffene, als Sterbende, noch als Angehörige, als Freunde, die nichts anderes tun können, als ohnmächtig dabeizustehen. Medizinisch wird zwar alles versucht, den Zeitpunkt hinauszudrängen. Aber letztlich schlägt das Schwert des Todes unbarmherzig zu. Und alles, was dann an Worten folgt, an guten, liebgemeinten Worten, sie erreichen uns eher nicht. »Worte sind sinnlos, du kannst sie nicht hören.«
Damit ist vor allem unser Herz gemeint, das kaum zu irgendwelchen Wahrnehmungen fähig ist. Wir hören nichts, wir sehen nichts. Wir sind nur unendlich traurig. Wie soll es weitergehen?

Schweigend und still vor Gott stehen
Wir suchen Trost, wir brauchen Trost. Was, wer kann uns trösten? Die Worte der Heiligen Schrift, Gottes Wort, unser Glaube? Vom Verstand her gesehen, ist unser Glaube an den Auferstandenen, an die Erfüllung seiner Verheißung, dass unsere Toten mit Christus auferstehen, der einzig wirkliche Trost. Aber spüren wir in diesen Tagen tatsächlich diese Nähe zum gütigen Gott, die uns innig beten lässt?
Oder hadern, ja schimpfen wir, sind wir ärgerlich, ja zornig? Wir dürfen vor Gott sehr wohl eingestehen, dass uns das Beten in diesen Tagen schon sehr schwer fällt. So schwer, dass wir kaum in der Lage sind, unsere Gedanken zu ordnen, geschweige denn ein Gebet zu formulieren.
Ich glaube, wenn wir unsere Schwächen, unser Unvermögen zu beten, vor Gott so vortragen, dann ist das schon ein Gebet. Er weiß doch um unsere Tränen, er weiß doch um unseren Schmerz. Da dürfen wir auch schweigend, ja ganz still vor ihm stehen.
Und dann werden Erinnerungen wach, Bilder tauchen auf, aus dem Leben des Menschen, der von uns gegangen ist. Spuren werden erkennbar, die dieser Mensch durch unser Leben gezogen hat.

Erinnerungen
Das gilt sicher auch für unsere Erinnerung an W. Und wenn ich sie so vor Augen habe, dann ist dies folgendes Bild. Sie kommt gerade vom Grab ihres Mannes. Schiebt ihr Fahrrad durchs Friedhofstor, und ist noch ganz in sich versunken, nicht selten mit Tränen in den Augen. Sie ist sehr schnell wieder gefasst, so als müsste sie sich entschuldigen, dass sie eigentlich mit ihren Gedanken ganz woanders war, bei ihrem Mann eben.

Dieses Bild spiegelt vieles wider. Sie musste schon als Kind stark sein. Gefühle zulassen und dann auch noch zeigen, das galt als Schwäche. Und so lernte sie schon früh den sprichwörtlichen Ernst des Lebens kennen. In einer großen Familie aufgewachsen, musste sie schon bald Verantwortung übernehmen. Das hieß mithelfen, mitarbeiten. Für Spaß und Spiel, für Lust und Lachen sah sie wenig Anlass und Raum. Das prägte sie und zog sich durch ihr weiteres Leben. 1955 heiratete sie ihren Mann H. Sie stand ihm zur Seite beim weiteren Auf- und Ausbau der 1950 von ihm gegründeten Tischlerei, sie schenkte ihm vier Kinder.
Zweimal stand die Familie vor dem Nichts. Zweimal brannte die Firma ab. Doch gemeinsam schafften es H. und W. Das Leben ging weiter, mit einem hohen Maß an Fleiß, Sparsamkeit und Disziplin, mit Selbstvertrauen und mit Gottvertrauen.
1984 konnten sie die Verantwortung für das Unternehmen ihrem Sohn W. übertragen. 2002 verstarb ihr Mann. Im letzten Sommer wurde sie selbst sterbenskrank und hatte zuletzt nur noch einen Gedanken, wieder bei ihrem Mann zu sein. Dann aber für immer.

Nun wurde ihr Wunsch erfüllt, sie hat das Ziel ihrer Hoffnung und Sehnsucht erreicht. Sie ist bei ihm. Wir glauben sogar ein Lächeln entdecken zu können, als Jesu sie abholt, um sie zu ihrem H. zu führen? Ein Lächeln, als Jesus ihr sagt, nun ist alles gut, du hast ausgelitten, dein H. erwartet dich im festlichen Hochzeitssaal meines Vaters. Welch eine geradezu selige Freude mag sie durchströmt haben, eine Freude, für die unsere Sprache keine Worte hat. Und genau an dieser Stelle dürfen wir sehr still werden. Wir dürfen darüber nachdenken, ob unsere Art des Trauerns eigentlich dieser Situation des Wiedersehens mit ihrem geliebten Mann überhaupt angemessen ist. Wir dürfen darüber nachdenken, ob wir uns nicht mitfreuen sollten, darüber, dass sie nun das Glück ihres Lebens für immer und ewig genießen darf, in unglaublicher Fülle, geradezu im Übermaß. Dann bekommt unsere Trauer eine andere Färbung, eingetaucht in die Herrlichkeit Gottes, in ein anderes Licht, in ein Licht der Freude, der Mitfreude. Schaffen wir das? Können wir diese Freude zulassen? Es mag ungewöhnlich sein, am Tag einer Beerdigung so zu denken und zu fühlen. Aber mit Blick auf H. und W. fällt mir einfach nichts Besseres ein. Ich glaube, die beiden würden sich über nichts mehr freuen, als wenn wir ihnen das Wiedersehen im Himmel gönnen würden, und zwar mit Freude, von ganzem Herzen.
Und was bleibt dann uns? Vor allem die Erinnerung, an ihr Fahrrad, an ihre Frisur, an ihre Handtasche, an ihre Art zu denken und nachzudenken, zu sprechen, zu gehen, an ihre Art sich zu kleiden. Ja, ihre Nachbarn, Freunde und Verwandten werden sich an sie erinnern, ihr Kartenklub, ihre Kinder und Schwiegerkinder, und vor allem ihre Enkel. Sie können ihre Oma gar nicht vergessen. Wenn ihre Enkel irgendwo und irgendwann Stippmilch mit Zimt essen werden, müssen sie an ihre Oma denken, denn Omas Stippmilch war so einmalig auf der Welt, mehr noch, sie schmeckte einfach himmlisch.

Ja, W. wird in unserer Erinnerung weiterleben. Und wir werden sie nicht selten gemeinsam mit ihrem Mann H. vor Augen haben, mit dem sie jetzt für immer verbunden ist. Und so verneigen wir uns in Respekt vor einer bemerkenswerten Frau und sagen: Herzlichen Dank W. Wir gratulieren zu ihrem neuen Zuhause mit besten Grüßen aus der alten Heimat, auch an ihren lieben Mann H. Amen.

Gisbert Wellerdiek

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