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Die Schriftleitung
Leseprobe 1
Sechzehnter Sonntag – 20. Juli 2008
I. Wildkräuterrealismus (Weish 12,13.16–19; Röm 8,26–27; Mt 13,24–43)

Zielsatz: Die Hörerinnen und Hörer sollen das Gleichnis vom Unkraut im Weizen auf ihr eigenes Leben beziehen und dazu ermutigt werden, seine gewinnbringende Dialektik auf die Realität von Ehe und Partnerschaft anzuwenden.


»Unkraut vergeht nicht!«
»Unkraut vergeht nicht!« Diese allseits bekannte Redensart könnte Ihnen nach dem heutigen Evangelium vielleicht durch den Kopf gehen. Es ist Hochsommer und die Pflanzenwelt ist seit Monaten wieder in vollem Wachstum. Aber kann man das darauf zugespitzte Evangelium dann immer noch als Frohe Botschaft hören?
»Unkraut vergeht nicht!« – Ist das nicht ursprünglich der so gar nicht frohe, von Resignation gezeichnete Ausruf des Gärtners, angesichts der sich endlos selbst wiederholenden Überwucherung durch unerwünschte Kleingewächse?! Ein im vollen Wortsinn eher radikal gesinnter Blumenfreund greift nun machtbewusst ins Regal der floralen Überlebensretter: Pflanzenschutzmittel, Herbizide, Insektizide, Fungizide, UnkrautEx macht’s möglich! – Lebensretter? Oder eher biochemische Präzisionswaffen im Kampf gegen die Anarchie des Gemüsebeets? Zugegeben, das klingt arg militärisch (ist aber gar nicht so weit hergeholt: UnkrautEx wurde in der Vergangenheit in Form eines Gemisches mit Zucker immer wieder zum Bau von selbst gebastelten Sprengkörpern missbraucht!), aber mal ehrlich: Wird nicht derjenige Hobbygärtner, der mit giftig-gelber Flasche und Sprühdüse vor das Blumenbeet tritt – gleichsam bereit zum Angriff – wird der heutzutage nicht von seinen ›ökosiegelliebenden‹ Nachbarn herablassend beäugt und misstrauisch gemustert? Noch nicht immer, doch immer öfter – ­erfreulicherweise.

Die Botschaft vom Himmelreich
Nicht dass Sie sich wundern: ich möchte heute mit Ihnen keine Unkrautkunde betreiben – ›Herbologie‹ sagen die Fachleute dazu. Aber der spontane Pragmatismus der Knechte aus dem Evangelium regt doch dazu an. Mangels chemischer Keulen wollen sie einfach Hand anlegen: »Sollen wir gehen und es ausreißen?« (Mt 13,28) Mehr als verständlich, denn: bereits im Ersten Testament wird der Kampf mit dem Unkraut als Strafe Gottes für den Sündenfall erwähnt. Im Buch Genesis lesen wir: »So ist verflucht der Ackerboden deinetwegen. Unter Mühsal wirst du von ihm essen alle Tage deines Lebens. Dornen und Disteln lässt er dir wachsen … « (Gen 3,17–18) Doch ebenso direkt wie deren Frage schlägt den Knechten die unmissverständliche Antwort ihres Herrn entgegen: »Nein, sonst reißt ihr zusammen mit dem Unkraut auch den Weizen aus. Lasst beides wachsen bis zur Ernte.« (Mt 13,29) Eine deutliche Absage an alle Unkrautvernichter. Das lästige Bild vom Unkraut im Weizen war den landwirtschaftlich geprägten Menschen damals sehr vertraut – und ist es uns Heutigen wohl auch immer noch.
Der Evangelist Matthäus hat – trotzdem, müsste man jetzt eigentlich sagen – dieses Bild gebraucht, um auf das Himmelreich zu verweisen: auf das Reich des göttlichen Friedens, der göttlichen Gerechtigkeit, des allumfassenden ›Shalom‹ auch hier auf Erden. Dieses Himmelreich soll sich durchsetzen unter den Menschen, in den frühen christlichen Gemeinden, in der Kirche als Ganzer, in jeder einzelnen zwischenmenschlichen Beziehung. Das war und ist der Kern der Botschaft Jesu: das beständige Wachsen des Himmelreichs unter den Menschen, das sich verhält wie ein Senfkorn, erst klein und unscheinbar, dann zum überragenden Baum geworden; wie der Sauerteig; wie die selbstwachsende Saat. (Mt 13,31–33) Der Vergleich mit dem Unkraut im Weizen (Mt 13,24–30) aber birgt demgegenüber eine nicht uninteressante Dialektik, insbesondere auch als Bild für das partnerschaftliche Zusammenleben von Menschen.

Ideal und Realität: Gelebte Partnerschaft zwischen Unkraut und Weizen
Bleiben wir also für den heutigen Predigtmoment bei dieser speziellen Frage. Könnte man dann in Übertragung des Gleichnisses nicht auch sagen: ›Mit der Partnerschaft zwischen zwei Menschen ist es wie mit einem Acker, auf dem zugleich Weizen und Unkraut wachsen …‹ Die Ehe als institutionalisierte Partnerschaft zwischen Mann und Frau hat in der Katholischen Kirche den besonderen Status eines Sakraments. Theologisch heißt das, dass die gelebte Beziehung von zwei Menschen der sichtbare Ausdruck göttlicher Gnade ist. Anders gesagt: Indem sich zwei Menschen gegenseitig das Sakrament der Ehe spenden, verwirklicht sich ein Stück des göttlichen Himmelreiches in der Welt, im Kleinen, im Alltäglichen, im ganzen Leben.
Soweit das Ideal! Vielleicht denken Sie jetzt: Was für ein überhöhtes Theologengeschwätz, purer Idealismus ohne jegliche Bodenhaftung! Nicht zuletzt die schonungslose Realität mit ihren Scheidungsstatistiken, mit all den Schlagzeilen über Gewalt in der Ehe belehrt uns doch schon längst eines Besseren! Aber auch schon unsere Erfahrungen mit den kleinen Alltäglichkeiten hinterlassen da vielleicht ein ganz anderes Bild. Wie sollen Ehe und Partnerschaft da noch ein gelebtes Zeichen himmlischer Gnade und göttlichen Heils sein?!
Doch genau da bringt es das Gleichnis Jesu doch auf den Punkt: kein Ideal ohne den offenen Blick für die Realität, kein Idealismus ohne Realismus, kein ­Weizen ohne Unkraut!

Geduldig wachsen lassen
Das Unkraut in zwischenmenschlichen Beziehungen und Partnerschaften ist nicht einfach wegzudenken; es kann nicht schön geredet, kann nicht vorneweg ausgerissen werden, um dann lebenslang eine reine Ernte einzufahren. Unkraut wächst an den unmöglichsten Stellen und beginnt überraschend plötzlich zu wuchern, schießt schnell empor; oder es wird nur allmählich größer, bis es irgendwann aber auch nicht mehr zu übersehen ist: Da sind die winzigen Sticheleien und kurzen Seitenhiebe des Alltags, in denen wir die Schwächen des anderen ausnutzen, um vermeintliche Stärke zu demonstrieren. Da sind die allzu selbstverständlich gewordenen Gewohnheiten, die uns nicht einmal mehr ein leises Bitte oder Danke sagen lassen. Da sind die verpassten Chancen, das richtige Wort zur rechten Zeit zu sagen oder ein notwendig gewordenes Gespräch zu führen.
Doch: auch der gute Samen hört währenddessen nicht auf zu wachsen, so versichert es uns das Gleichnis. Dann und wann wird es Zeit zum Ausreißen, Zeit für die Ernte. Wachsen lassen heißt geduldig bleiben – mit dem Weizen und mit dem Unkraut gleichermaßen. Dazu will das Gleichnis ermuntern: Geduld üben im Warten auf das herannahende Himmelreich, wann auch immer und wo auch immer es sich zu zeigen beginnt.
Ein Leben ohne Unkraut gibt es ebenso wenig wie eine unkrautfreie Beziehung. Beide sind ein »corpus permixtum« (Helmut Merklein): eine Mischung aus gutem Willen und persönlichem Unvermögen, aus Mut und Unentschlossenheit, aus Demut und Stolz, aus Sich-Öffnen und Sich-Verschließen, eben aus Unkraut und Weizen.

Göttlicher Trost und himmlische Hoffnung

Zugleich hält das Gleichnis einen Trost bereit: Gott allein ist es, der endgültig darüber richtet, was gelungen ist und was nicht – nicht der Mensch und keine menschliche Institution. Gerade deshalb wird das Gleichnis von einer starken Hoffnung getragen: auf den gnädigen und menschenfreundlichen Gott und auf sein göttliches Himmelreich, das sich durchsetzen wird, mit unserer Hilfe und im geduldigen Umgang mit all dem Unkraut. Unkraut, das aber von Zeit zu Zeit auch ausgerissen werden muss. Wachsen lassen, bis es den Weizen überwuchert, ist ebenso wenig geboten wie ein zu frühes Ausreißen mitsamt den noch jungen Weizenpflanzen!

Von Unkräutern zu Wildkräutern
Ist es dann letztlich nicht nur eine Frage der Sichtweise, ob wir von Unkraut sprechen oder nicht besser von ›Wildkräutern‹? Letztere nämlich sind nicht mehr nur unnütz, sind nicht mehr nur das ›Kraut zur Unzeit‹: vielmehr holen sie uns zurück in den Realismus des gelebten Lebens. Und außerdem haben nicht nur bei vielen überzeugten Hobbygärtnerinnen und Hobbygärtnern die ›Wildkräuter‹ das ›Unkraut‹ schon längst abgelöst, ebenso wie die ›Beikräuter‹ oder die im Fachjargon sogenannten ›Kulturpflanzenbegleiter‹. Letztere nämlich durchwurzeln den Boden und wirken auf diese Weise Erosionen entgegen. Gar nicht unnütz in so manchen Zeiten partnerschaftlicher Herbst- und Frühjahrsstürme …
Unkraut – pardon: Wildkraut vergeht nicht! Und das ist gut so!

Jan Woppowa

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