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Die Schriftleitung
Leseprobe 1
Karfreitag – 21. März 2008
II. Vergebung ist wieder möglich (Hebr 4,14–16; 5,7–9; Joh 18,1–19,42)

Zielsatz: Mit der johanneischen Passionstheologie von Erhöhung und Verherrlichung soll den Zuhörern erschlossen werden, dass es durch den Kreuzestod Jesu keine Schuld mehr gibt, die nicht verziehen werden könnte.

Hochschauen
Zu den Grundbefindlichkeiten des Menschen gehört es, dass er zu Beginn seines Lebens hochschauen muss.
Als Kinder erscheint uns die Erwachsenenwelt immer als etwas, was sich auf einer höheren Ebene abspielt und darum oft unzugänglich erscheint. Aber auch später, im Erwachsenenalter, mal mehr, mal weniger, bleibt uns etwas davon erhalten. Jeder von uns schaut zu anderen hoch. Im übertragenen Sinne sind uns Mitmenschen Vorbilder. Sie haben Fähigkeiten, die wir uns auch wünschen. Ihnen sind Begabungen zuteil, von denen wir auch gerne einige hätten. Manchmal ist es schon der Glanz und Glamour der Sternchen und Promis, der uns klein sein lässt. Und wie oft haben wir zu Menschen hochgeschaut, weil wir ihren Intellekt bestaunt haben oder voller Anerkennung für eine bestimmte Leistung. An anderen Menschen hoch zu schauen gehört zu unseren Lebenshaltungen.
Allerdings gilt es, hier vorsichtig zu sein. Nicht alles, was uns hochschauen lässt, dient schon dem Leben. Deshalb achten Eltern darauf, dass ihre Kinder gute Freunde finden. Es gibt ein »Oben«, das schnell zum Fall werden kann. Und es gibt eine Orientierung an Gaben und Fähigkeiten von anderen, die eine positive Motivation und damit einen lebensfördernden Anstoß bewirken.

Passion als Erhöhung
Der Passionsbericht des Johannes, den wir jedes Jahr am Karfreitag vorlesen, hat eine besondere Prägung. Auch wenn der Evangelist viele historische Fakten in seinen Passionsbericht einbettet, die eine genaue Kenntnis der geschichtlichen Hintergründe offenbaren, so ist die Leidensgeschichte, wie das ganze Evangelium, für Johannes eine Siegesgeschichte.
Jesus geht zwar den Weg des Leidens, aber in der Auseinandersetzung mit Pilatus wird spürbar, dass die Messianität Jesu keine politische ist. Auch wenn seine Gegner, der Hohenpriester und Religionsführer seines Volkes, immer wieder hervorbringen, dass er als politischer Unruhestifter eine Gefahr für die römische Herrschaft ist, macht Jesus in einer spürbar geistlichen Hoheit öffentlich, dass seine Macht nicht von dieser Welt ist. Darum wird das Kreuz für ihn nicht die Niederlage, sondern es wird zu einem neuen Offenbarungsort. Durch das Kreuz kommt etwas in den Blick, was bislang so in dieser Deutlichkeit den Menschen von Gott her nicht klar sein konnte.
Johannes spricht darum von Erhöhung: »Wenn ich von der Erde erhöht bin, werde ich alle an mich ziehen« (Joh 12,13).
Der Evangelist Johannes gestaltet den ganzen Passionsbericht so, dass wir nicht mehr umhin können, an dem Gekreuzigten hoch zu schauen. Was ist dabei in den Blick zu bekommen, wovon wir heute am Karfreitag sprechen müssen?

Wann ist Vergebung möglich?
In seiner Erzählung »Die Sonnenblume«, schildert Simon Wiesenthal, später Leiter des Dokumentationszentrums jüdischer Verfolgter, wie er 1942 als Häftling in Lemberg ans Krankenbett eines sterbenden SS-Mannes gerufen wurde, der vor seinem Tode von einem Juden eine Art Absolution für seine begangenen Taten suchte. Wiesenthal aber verließ nach dessen langer Beichte wortlos den Raum. Er legt in seinem Buch dar, warum er jenen Mann, der ihm im Todeskampf seine Verbrechen gestand, nicht vergeben konnte – er hatte nach seinem Dafürhalten nicht die Macht, ihm im Namen anderer zu verzeihen. Die Frage nach Schuld und Vergebung ließ Simon Wiesenthal jedoch nicht los. So schreibt er in seiner Erzählung:
»Ich denke oft an den jungen SS-Mann. Er kehrt zu mir zurück, wenn ich eine Krankenschwester sehe, wenn ich einem Mann mit Kopfverband begegne. (…) Oft habe ich mir vorzustellen versucht, wie sich wohl jener junge SS-Mann ein Vierteljahrhundert danach als Angeklagter verhalten hätte. (…) Wenn ich die aufsässigen Antworten und das höhnische Grinsen vieler Angeklagter sehe, dann kann ich mir nur schwer vorstellen, dass auch jener junge SS-Mann so reagiert hätte. (…)
Das alles sind Überlegungen, die für ihn sprechen. Und dennoch – hätte ich, hätte überhaupt jemand, ihm verzeihen sollen, verzeihen dürfen?«2
Simon Wiesenthal schickt diese Frage mit seiner Erzählung an 43 in der Öffentlichkeit wirkende Personen mit der Bitte um eine Antwort auf die Frage, ob Vergebung möglich ist.
Wer in diesen Antworten liest, spürt, dass Vergebung keine Selbstverständlichkeit ist. Wie kann ich für jemanden Verzeihung aussprechen, dessen schuldhaftes Verhalten, wie bei diesem SS-Soldaten, mich nicht getroffen hat? Wie kann ich im Namen anderer Vergebung zuteil werden lassen, wenn diese gar nicht mehr leben und ich somit nicht weiß, ob sie selbst bereit wären, Vergebung zu gewähren?

Die Vergebung des Kreuzes
Der Evangelist Johannes gestaltet sein Evangelium aus dem Glauben, dass in Jesus Christus, Gott die Welt nicht richtet, sondern rettet. »Und wie Mose die Schlange in der Wüste erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, damit jeder, der (an ihn) glaubt, in ihm das ewige Leben hat. Denn Gott hat die Welt so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn hingab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht zugrunde geht, sondern das ewige Leben hat« (Joh 3,14–16). Darin liegt die Rettung und das Fundament für das Ewige Leben: Jesus, der ganz und gar Gerechte, Jesus, der ohne Sünde war, Jesus, der von Gott kam und die Gemeinschaft mit Gott zu keiner Zeit seines Lebens verloren hat, dieser Jesus wird auf schändliche Weise an das Holz der Heiden geheftet, erträgt die grausamste Hinrichtung seiner Zeit ohne aber auch nur eine Sekunde die Liebe zu Gott und den Menschen aufzugeben.
Es gibt ein physisches Leiden körperlicher Schmerzen. Die gehören wahrlich auch zum Kreuz Jesu. Aber es gibt noch mehr die unerträglichen seelischen Schmerzen der Einsamkeit, nämlich unschuldig und ohne Grund verachtet und geschändet zu werden. Diese Ohnmacht mit dem Gefühl, dabei auch noch von Gott verlassen zu werden, ist für Jesus in der Stunde des Kreuzes das eigentliche Leiden. Aber dennoch verliert er sich nicht in Gram, sondern bleibt der Liebe treu: »Vater, vergib ihnen!« und »In deine Hände gebe ich meinen Geist!«

Hochschauen zum Kreuz, um Vergebung zu leben

Darum schauen wir zum Kreuz hoch: Weil hier uns eine Vergebung entgegenkommt, die wir aus menschlicher Vernunft und menschlicher Höflichkeit nicht hervorbringen können. Das Sterben Jesu am Kreuz offenbart, dass es eine Vergebung gibt, die alles einschließt. Seit Golgota gibt es keine Tat des Menschen mehr, die nicht vergeben werden könnte.
Das meint nicht, dass damit Vergebung nur leicht gemacht ist. Aber die Passionsgeschichte endet mit dem Zeugnis des Johannes: »Sie werden auf den (hoch) blicken, den sie durchbohrt haben« (Joh 19,37). Der Hebräerbrief erinnert noch einmal, warum: »Obwohl er der Sohn war, hat er durch Leiden den Gehorsam gelernt; zur Vollendung gelangt, ist er für alle, die ihm gehorchen, der Urheber des ewigen Heils geworden« (Hebr 5,9). Urheber des ewigen Heils, weil wir im Gekreuzigten eine Vergebung finden, die wir uns und allen immer wieder neu zusprechen können.

Heinz-Günter Bongartz

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