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Die Schriftleitung
Leseprobe 2
Christkönigssonntag – 25. November 2007
I. »Ich bin doch da« (thematisch)

Zielsatz: Das feudalistische Bild von Christus als einem »guten König« spiegelt nicht nur vergangene Idylle; es weckt in besonderem Maße die Sehnsucht nach Verlässlichkeit, Halt und Beistand: ein guter König ist seinem Volk nahe.


Vier Worte, die die Welt bedeuten
Wenn es gut geht, ja, wenn alles gut geht, dann haben wir zeitlebens Menschen um uns, die uns vier unendlich wichtige Worte zusagen. An diesen Worten hängt nicht weniger als unsere gesamte Lebenseinstellung. Wo sie ausgesprochen werden, bewirken sie alles: Weltvertrauen, Glaubensstärke, Zukunftszuversicht. Als Satz formuliert lauten sie: »Ich bin doch da.« Diese Worte – Ich-bin-doch-da – sind der Kraftstoff für unser Leben. Und wo sie unausgesprochen bleiben, fängt der Seelenmotor an zu stottern (oder kommt erst gar nicht richtig in Fahrt).
– Der winzige Säugling, der mit seinen Augen neugierig-ängstlich versucht, die Welt zu entdecken, schaut – eben wenn es gut geht – nicht ins Leere. Er sieht immer wieder die Gesichter von Mutter und Vater, die ihm liebevoll zusagen: »Ich bin doch da.«
– Das kleine Kind, dessen Lebensradius sich weitet; das fällt, von Spielkameraden gehänselt wird oder sich einsam fühlt. Wie gut, wenn jemand zur Stelle ist, der das Pflaster aufs verletzte Knie klebt und ihm sagt: »Hab keine Bange – ich bin doch da.«
– Der Schüler, der seine Klassenarbeit versemmelt hat, der beim Sport immer der letzte ist, der nicht mitsingen darf, weil er ‹brummt‹. Welche Erlösung, wenn es einen robusten Schulfreund gibt, der ihm dann sagt: »Mach dir nichts draus – ich bin doch da.«
– Der Heranwachsende, dem sein Zuhause peinlich wird, der mit der Trennung seiner Eltern nicht zurechtkommt und chronisch zu wenig Geld in der Tasche hat; der dann aber seine erste Liebe entdeckt, die tapfer zu ihm sagt: »Was soll’s – ich bin doch da.«
– Der Ausbildungs- oder Studienabbrecher, der nichts wirklich hinbekommt, der sich schwertut mit Strukturen und Rhythmen, der nicht weiß, wohin und wozu. – Wie unendlich aufbauend, wenn ihm jemand den Arm auf die Schulter legt und sagt: »Wir kriegen das hin – ich bin doch da.«
– Der Gekündigte, der seinen Beruf liebte und der nun wegrationalisiert wurde; der Übergangene, Verratene oder Betrogene. – Was für ein Potential steckte in Freunden und Familie, wenn sie ihm sagten: »Es wird gut weitergehen – wir sind doch da.«
– Aber auch der Kranke mit finsterer Diagnose auf der Intensivstation liegend; ratlos, konfus und voller Angst. Sicher, man kann nicht die Aufgaben des Arztes übernehmen. Aber nicht davonlaufen, das kann man schon: »Ich bin doch da.«
– Und unsere alt gewordenen Eltern? Wenn sie sich allein und überflüssig vorkommen? Wenn die Gebrechen zunehmen und sich das Leben dem Ende zuneigt? Welche Erlösung für sie, wenn ihnen jemand wie selbstverständlich sagt: »Macht euch keine Sorgen – ich bin doch da.«

Nähe rettet
Offenkundig braucht es keine Heldentaten, um Menschen aufleben zu lassen. Rettung liegt bereits in der schlichten und einfachen Nähe, die wir einander schenken könnten: in der Zeit, die wir dem anderen widmen, in der Solidarität, die uns das Schicksal des anderen mittragen lässt, vielleicht auch im stillen Aushalten und Schweigen. Durch unsere anteilnehmende Nähe ändert sich die prekäre Grundsituation kaum (der Arbeitslose bleibt arbeitslos, der Kranke bleibt krank, der alte Mensch bleibt alt). Aber trotzdem erscheint alles in einem völlig neuen, milderen und damit heilsamen Licht. Und die zur Lebenskrise oft mitgelieferte Einsamkeit verliert ihren dunklen Schrecken und ihre destruktive Kraft. Bereits darin liegt Heil.
Die reale Nähe eines Menschen macht deutlich: Du stehst nicht allein. Du bist nicht von Gott und der Welt verlassen. »Ich bin doch da« heißt: Du bedeutest mir etwas; mir ist nicht egal, was dir geschieht und wie es mit dir weitergeht; ich lasse dich nicht hängen, sondern ich verbinde und verbünde mich mit dir und deinem Schicksal. Ich-bin-doch-da – bewegende Worte, die unendlich viel bewegen können.
Selig der Mensch, der im Laufe seines Lebens diese Nähe immer wieder erfährt.

Angst vor Nähe

Allerdings steckt in dem Ich-bin-doch-da ein nicht zu unterschätzendes Problem – nämlich die Angst vor Nähe. Dabei liegt die Schwierigkeit auf beiden Seiten: Bei dem, der Nähe empfängt, ebenso wie bei dem, der Nähe schenkt.
Zuzulassen, dass wir der Nähe eines Menschen bedürfen, zwingt zu dem ehrlichen Eingeständnis: Ich schaff es nicht allein. Ich bin auf Unterstützung angewiesen. Ich brauche Hilfe.
Es erfordert schon eine gewisse Demut und die Abkehr von unserem Stolz, sich und anderen einzugestehen, dass man auch mal klein, hilflos und schwach ist. Schließlich wollen wir doch immer alles machen, managen und unter Kontrolle behalten. Hilfe von anderen anzunehmen, gilt als Niederlage und Souveränitätsverlust. Da wurschteln wir doch lieber für uns selbst und schlagen angebotene Nähe aus – obgleich gerade sie uns retten könnte.
Aber auch Nähe zu schenken ist nicht einfach. Ja, vielleicht wollen wir dem anderen sogar ernsthaft nahe sein – aber so nahe dann auch wieder nicht. Echte Nähe bedeutet, Berührungsängste zu überwinden, die eigenen Bedürfnisse nach hinten zu stellen und sich wirklich einzulassen auf das Schicksal eines anderen – einschließlich alles Abgründigen, Ekeligen, Unangenehmen und Peinlichen. Und Nähe zieht Verantwortung nach sich; sie bindet den, der sich darauf einlässt. Wer Nähe schenkt, muss wissen, dass er einen Teil seiner Freiheit einbüßt. – Und ob wir das dann wirklich wollen? Oberflächliche Beruhigungssätze sind schnell gesagt, verbindliche Nähe legt uns fest. – Wieso nur tun wir uns so schwer mit dem, was uns das Leben leicht machen könnte?

Jesus und die Nähe
Ein Blick in die Evangelien zeigt uns, wie es in guter Weise mit heilsamer Nähe gehen könnte. Jesus, der Christuskönig und das »Ebenbild des unsichtbaren Gottes« (Kol 1,15), besitzt erstaunlicherweise keinerlei Berührungsängste. Seine Nähe fasziniert – und rettet. Durch sein Reden und sein Handeln schimmert immer wieder das erlösende Ich-bin-doch-da hindurch:
– Den Bettlern und Dirnen, mit denen niemand Umgang haben wollte, macht er deutlich: Ich-bin-doch-da.
– Die Aussätzigen und Unberührbaren nimmt er in den Arm und fasst sie unbekümmert an: Ich-bin-doch-da.
– Zur Grabhöhle des schon riechenden Lazarus geht er hin und ruft ihn heraus: Ich-bin-doch-da.
– Die Tauben und Blinden berührt er mit Speichel, den Jüngern wäscht er die Füße, zu den Ängstlichen steigt er ins Boot: Ich-bin-doch-da.
– Den Abgeschriebenen und Versagern erscheint er als Auferstandener und vertraut ihnen sein Reich an: Ich-bin-doch-da.
Es klingt fast wie Jesu Lebens- und Sendungsprogramm: Ich lasse euch in eurem Schicksal nicht allein; ich nehme es an; ich teile, was ihr zu tragen habt; ich laufe nicht davon, sondern erlöse euch durch meine (und Gottes) Nähe aus eurer abgründigen Einsamkeit. Kurzum: »Ich bin doch da«.

Ein naher König
Kein Zweifel: Als der von Gott gesandte Messias, als Sohn des Allerhöchsten, genießt Jesus absolute, königliche Würde. Aber seine Majestät verführt ihn nicht zur Distanz zu seinem Volk. Er will nicht der ferne und unnahbare König sein, dem über das Schicksal der Menschen durch Medien und Referenten berichtet werden müsste. Jesus entschließt sich gegen das abstrakte Kollektiv und für den konkreten Einzelnen. Ihn will er sehen – und ihn durch seine Nähe würdigen.
Freilich, er zahlt einen hohen Preis dafür: Man nimmt ihm seinen Herrschaftsanspruch nicht ab, man verlacht und verhöhnt ihn, man erklärt ihn für verrückt, zum Sonderling und schließlich zum Gotteslästerer. Denn ein Gott, der dem ›Menschen auf der Straße‹ vorbehaltlos nahe und treu sein will, der keine Bedingungen stellt und sich mit den sündigen Geschöpfen gemein macht – das kann nicht sein! Ein Gott, der sogar den Menschen-Tod berührt und selbst schmeckt – das ist die Widerlegung aller Theologie.
Welch ein Irrtum!

»Ich-bin-der-ich-bin-da«
Wenn Jesus sich als ‹König der Nähe‹ offenbart, dann liegt er auf einer Linie mit seinem himmlischen Vater. Denn auch der Gott des Ersten Testamentes hatte sich im brennenden Dornbusch dem Mose als väterlich-mütterlicher Gott gezeigt, der seinem Volk treu und nahe sein will. Auf die Frage des Mose, wie denn sein Name sei, hatte er geantwortet: Mein Name ist JHWH, der Ich-bin-der-ich-bin-da (vgl. Ex 3,14) – in etwas freierer Übersetzung: Ich-bin-doch-da.
Das Wesen JHWHs ist es, im verbindlichen Bund mit seinem Volk durch Zeit und Geschichte zu schreiten. Jesus verkörpert genau diesen Heilswillen des himmlischen Vaters, wenn er der Nähe zum Menschen oberste Priorität gibt. Und JHWH bewahrheitet die Selbstoffenbarung seines Namens, wenn er seinen Sohn im Kreuzestod nicht fallen lässt, sondern bewirkt, was er zusagt: »Ich bin doch da« – und ihn auferweckt.

Ich-bin-doch-da – die Zusage des Geistes
Die versprochene Gottes- und Menschennähe ist kein Privileg für biblische oder vergangene Zeiten. Wenn Jesus den Menschen seinen Geist einhaucht, sie zu seinen Schwestern und Brüdern macht – sie damit für den Heilsdienst bevollmächtigt –, dann liegen himmlische Verheißung und weltlicher Auftrag ganz dicht beieinander: Verheißung, weil uns die verbindliche Nähe des Auferstandenen zugesagt ist: »Ich bin bei euch alle Tage bis zum Ende der Welt« (Mt 28,20). Und Auftrag, weil auch wir in der Kraft dieses Geistes so handeln könnten, wie Jesus gehandelt hat: Heilsame Nähe dort schenken, wo wir es können; die Menschen in unserer Umgebung wirksam erfahren lassen, dass jemand für sie da ist. Aber auch heilschaffende Nähe annehmen, wo wir ihrer bedürfen; uns tröstend zusagen lassen: »Ich bin doch da.«

Stefan Peitzmann

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